Was für ein Plan – und was für ein Buch! Der Himmel und seine Handlanger bewegen Geschichte: schlimmste deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, die an ihrem finstersten Punkt in Auschwitz endet. Im Roman des niederländischen Juden Harry Mulisch bereiten die oberen Ränge die Heimholung der in Stein gesetzten Zehn Gebote aus ihrer irdischen bzw. römisch-katholischen Gefangenschaft vor. Die Genealogie dreier Menschen, des Bürger-Aristokraten Onno Quist, des erotisch überaktiven Astronomen Max Delius mit mörderischem Nazi-Vater und jüdischer Mutter und der Cellistin Ada wird so miteinander verbunden, dass aus der Dreiecksbeziehung ein Ros’ entspringt: der anmutige Sohn Quinten. Dem Wunderknaben fällt der göttliche Auftrag zu. Die von Luzifer geimpfte Menschheit hat die Gnade verwirkt, das mosaische Gesetz vom Sinai länger zu behalten. Es kann nur von einem Ort aus zurückkehren: dem Allerheiligsten der monotheistischen Religionen – Jerusalem.
Wenn der Himmel Regie führt
Im Hintergrund des Bildungs-, Zeit- und metaphysisch beflügelten Weltende-Romans bewegt Mulisch die lebendigen Schatten von Goethes »Faust« und von Thomas Manns Tetralogie über »Joseph und seine Brüder«, die den Mythos ins Humane umschreibt und heilige Einfalt ins persönlich Gewitzte überträgt. Wenn der Himmel Regie führt und Satan das Böse ins Werk setzt, ist Zufall ausgeschlossen, ist das Wahrscheinliche suspendiert. Die das Transzendente streifende Groß-Erzählung beginnt in den 60er Jahren des Aufruhrs, der auch die Holländer trifft, und in denen Onno zum Kulturpolitiker wird, bevor seine Karriere so abrupt endet wie alles in seinem Leben, auch sein Status als Ehemann und Vater. Der geistreiche Egozentriker aus königstreuer, frommer Familie und Max mit der die Brüche des Jahrhunderts in sich tragenden Biografie sind innerhalb einer Sekunde Freunde, wesensverwandte, wenngleich konträre »Einlinge«.
Der blaue Planet hängt als nackte Kugel am Bühnenhimmel des Düsseldorfer Schauspielhauses, darunter eine leere Fläche vor einem elliptischen Bogen, der eine planetarische Laufbahn zieht und Projektionsraum bietet für Zeichen und Bilder. Ein untergeordneter Engel übernimmt zunächst die Funktion des Erzählers, die er seinem cherubinischen Vorgesetzten gegenüber rapportiert. Die Darsteller, in epischer Distanz zu ihren Figuren und umstellt von halben Apostrophen, sind vor allem eins: Sprechpuppen. Sie sondern so viel Text ab, wie 800 Seiten eben aufbringen, selbst nach rabiaten Strichen. Der Grundton ist künstlich aufgemuntert, neckisch und süffisant und wird von Christian Erdmann (Onno) und Moritz Führmann (Max) beflissen bedient.
Lauter abgenutzte visuelle Vokabeln
Die sich pur gebende Inszenierung tritt ihren Anspruch scheinbar bescheiden an den Videokünstler nebst Kamera- und Scheinwerfer-Adjutanten ab, zuständig für schwarz-weiße Großaufnahmen oder mit der Taschenlampe gemalte Milchstraße-Lichter. Lauter abgenutzte visuelle Vokabeln. Nach der Pause rackert Matthias Hartmanns uninspirierte Regie bloß noch den Plot ab und bringt ihn mit Quinten (Jonas Friedrich Leonhardi) zu Ende. Ein immerhin evangelisches Ende in seiner Bildlosigkeit, das nur berichtet, dass die Gesetzestafeln, sich auf- und erlösend in ihre Buchstaben und Quinten umhüllend, gen Himmel steigen. Mulischs Opus Magnum herabgemindert zum Illustrierten-Roman wie zum Hörbuch. Ach, du lieber Himmel.
7., 17. und 31. Dezember, 5. Januar
Schauspielhaus Düsseldorf
www.dhaus.de