Freibäder sind wichtige, hochpolitische Orte. Hier treffen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, Kulturen, mit unterschiedlichen Körpern, Körperbildern und Schamvorstellungen aufeinander. In Städten in ganz NRW fallen öffentliche Freibäder seit Jahren indes Sparmaßnahmen zum Opfer. Das Stadtprojekt des Theaterfestivals Impulse fragt, was das für die Gesellschaft bedeutet.
Es ist kein Zufall, dass die Festivalmacher das Projekt »Schwimm City – Ein Bad für alle?« in Mülheim an der Ruhr angesiedelt haben. Im vergangenen Jahr sah es so aus, als könne die Stadt mit dem Naturbad im Stadtteil Styrum sein letztes öffentliches Freibad verlieren. Vor dem Start der neuen Saison gab es zwar ein Aufatmen: Der Betrieb ist bis 2028 gesichert. Doch ein einziges Freibad ist für eine große Ruhrgebietsstadt nicht wirklich viel – und die Versorgung sieht auch anderswo nicht viel besser aus. Immerhin hat die Stadt auch noch eine Badestelle an der Ruhr eingerichtet, wo Schwimmen offiziell erlaubt ist.
Als im vergangenen Jahr in der Schwebe war, ob Mülheim an der Ruhr in Zukunft überhaupt noch ein Freibad haben wird, stellten sich die Festivalmacher*innen eine Menge Fragen, wie Projektleiterin Anna Bründl berichtet: »Was bedeutet das für eine Stadt, wenn es diese Orte nicht mehr gibt, wo Begegnungen möglich sind, die sonst nicht möglich sind? Die Menschen treffen sich hier jenseits von Geldbeutel, Klasse, Herkunft. In circa 80 Prozent der Bäder in Deutschland sind auch Burkinis zugelassen – gleichzeitig ist immer öfter auch oben ohne Baden erlaubt. Welche Körperbilder stehen sich da gegenüber?«
Die Dramaturgin weiß, dass seit Jahren bundesweit vor allem Freibäder schließen, weil sie ein defizitäres Geschäft sind. »Sie sind ein Saisongeschäft, nicht wirklich rentabel. Es braucht politischen Willen, um sie am Laufen zu halten, man muss Geld drauflegen. Erschwerend hinzu kommt Personalmangel: Rettungsschwimmer oder Bademeister sind immer schwerer zu finden.«
Im Programm von »Schwimm City«, das vom 30. Mai bis 9. Juni täglich im MüGa-Park nahe des Ringlokschuppens geöffnet hat, gibt es die Hellblaue Stunde, um solche Themen zu verhandeln, die man exemplarisch am Ort Freibad aufmachen kann. Da ist zum Beispiel eine Soziologin der Universität Münster eingeladen, die sich mit Einführung von Burkinis befasst hat und damit, wie alltägliche, gesellschaftliche Aushandlungsprozesse in Schwimmbädern konzentriert versammelt sind.
»Schwimm City« soll die Anmutung eines neuen Sommerbads in der Stadt haben – allerdings eines fast ohne Wasser. Die österreichische Gruppe Conte Potuto will mit hintergründigen Kulissen einen Ort der Träume gestalten: Wasser gibt es zwar nur zur Abkühlung, zum Beispiel aus Schläuchen, aber es soll trotzdem wirken, als träfe man sich unter Wasser. Die Gruppe will ein Becken füllen »mit den Wünschen und Ideen der Besucher*innen«.
Deshalb wird auch die Unterwasserrugby-Mannschaft aus Mülheim an der Ruhr erstmals auf dem Trockenen spielen. Die Tanzperformer von TachoTinta haben sie dazu eingeladen, weil diese besondere Sportart eine erstaunliche Verbindung zur Stadt hat: Die historische Entwicklung von Unterwasserrugby begann in den 1960er Jahren und wurde in Deutschland erstmals von Tauchern des TSC Mülheim-Ruhr entwickelt. Wenn bei »Schwimm City« die Nischensportart zur Performance wird, müssen die Spielregeln geändert und neue Konstellationen gebildet, manchmal muss auch der Schiedsrichterin widersprochen werden. Das Training wird zur Choreografie und der Wettkampf zum Tanz.
Was in die weitgehend trockene Kulisse auf jeden Fall original Freibad-Atmosphäre bringen wird, ist die Pommesbude von Tigers’ Kitchen, in der nicht nur frittiert, sondern auch schmalziger Schlager produziert wird und täglich als Radiosignal versendet. Mit dem aus Australien stammenden Schauspieler und Performer Damian Rebgetz, den Theatergänger aus der wunderbaren Inszenierung »Das neue Leben« von Christopher Rüping am Schauspielhaus Bochum kennen, ist außerdem ein original Schwimmbad-Angestellter zu Gast. In Berlin arbeitet er eine Saison lang als Rettungsschwimmer. Warum?
Rolle: Rettungsschwimmer
»In Australien haben alle Schwimmbäder Bahnen und man schwimmt normalerweise ganz ordentlich in ihnen«, erzählt er. »In Deutschland gibt es immer nur diese zwei Bahnen, wo man ein bisschen Sportschwimmen kann. Das hat mich immer etwas genervt, aber ich fand es auch lustig: Diese Klischees über Ordnung und Regeln in Deutschland, die sind im Wasser nicht so präsent wie an Land. Ich lernte, dass ich im Schwimmbad deutscher bin als die Deutschen. Ich hatte den Frust, dass die Leute nicht schnell schwimmen in den Schnellbahnen – oder sie stehen am Ende einfach herum und checken nicht, dass andere sich drehen wollen.« Damian Rebgetz kam über seine Reaktion ins Grübeln: »Bin ich toxisch männlich, weil ich mich nach Ordnung sehne und weil ich schnell schwimmen möchte?«
Für »Schwimm City« hat Damian Rebgetz eine neue Version seiner musikalischen Lecture-Performance erarbeitet, für die er seine Erfahrungen im Berliner Freibad mit fiktiven Elementen angereichert hat: »Guy Working at a Pool« erzählt die Geschichte eines Performers, der für eine Rolle Rettungsschwimmer geworden ist – und die Leute im Freibad finden es heraus. Am Ende geschieht ihm etwas Schlimmes. Dabei erfahren die Besucher*innen auch viel Praktisches: Wie wird man in Deutschland Rettungsschwimmer? Welche Regeln gelten im Schwimmbad? Was ist ein Durchschreitebecken, und wie ist dieses zu befüllen? Wie kann man die Badegäste am besten im Blick behalten? Wer darf vom Sprungturm springen – und was hat das mit Theater zu tun?
Das Stadtprojekt will aber auch über das Thema Freibäder hinaus denken. »In Mülheim an der Ruhr und anderen Städten gibt es einen großen Leerstand«, sagt Dramaturgin Anna Bründl. »Bei Schwimm City wollen wir uns auch dafür andere und gemeinsame Realitäten vorstellen. Wir blicken der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft ins Auge und setzen ihr das gemeinsame Vergnügen entgegen, fragen: Was ist der kleinste gemeinsame Nenner, um wieder in konstruktive Aushandlungsprozesse zu kommen?«
»Schwimm City«
30. Mai bis 9. Juni täglich im MüGa-Park am Ringlokschuppen