Und das Wort wird Fleisch. Mit christlicher Transsubstantiations- Lehre liegt man beim Theater vielleicht nicht so falsch. Verwandlung heißt auch sein Auftrag, selbst wenn dieser Anspruch oft eine »Überforderung« an alle Beteiligten darstellt – Zuschauer, Macher, Darsteller. Valère Novarinas »Brief an die Schauspieler« nennt sich selbst ein Dokument der »Überforderung« und problematisiert damit indirekt seine Bühnentauglichkeit. Denn das Regelwerk der undramatischen Epistel, die der in Paris lebende Schweizer Novarina aufstellt, ist vor allem lautmalerisch. Ein Vokal-Gesang nahe bei Dada. Eine lallende Befreiungstheologie und Existenzialphysiologie der Sinne. Auge, Ohr und Mund sind angesprochen – und sprechen selbst. Im Kleinen Düsseldorfer Schauspielhaus verkosten, zerkauen und verdauen gleich sechs Schauspieler den »Brief«, der die absolute Kongruenz von Form und Inhalt herstellt. Die Anweisung zur Technik und Therapie für fremdbestimmte Schauspieler fordert auf zum rein rhythmischen Ausdruck. Und ist völlig inhalts- und handlungslos.
Deshalb spannen Philip Tiedemann (Regie) und Franz Lehr (Bühne) den dünnen knochenlosen Text-Lappen von 1974 bei der so genannten Uraufführung in einen Rahmen, um ihm Halt und Form zu geben. Eine Art hochkant gestelltes Sprungbrett dient als Gerüst für die Schauspieler-Körper. Die Fläche imitiert zudem einen Bogen Papier, auf dem das Ensemble – jeweils drei insektenhaft flinke Supermen und Spiderwomen in blau-weißen Trikots – kraxelnd Spuren hinterlässt, bis er kein unbeschriebenes Blatt mehr ist. Tiedemann kostümiert die Spielerei als artistischen Drahtseilakt, Frontbericht, schamanistische Séance. Er macht etwas aus Nichts, kokett, drollig, hübsch anzusehen. Weil ihm das noch nicht genügt, wird der konkrete Ortsbezug hergestellt. Eine Maske, halb und halb den Düsseldorfer Ex-Intendanten Beelitz und Canaris nachgepasst, nimmt in einem ölig floskelhaften Sermon Abschied von Haus und Publikum – ironische Vorwegnahme der scheidenden Anna Badora. AWI