Nein, den Begriff »Groschenroman« hört Oliver Leimann nicht gern. In der Tat, seit dem ersten Erscheinen hänge dem Romanheft das lästige Image an, bestätigt der Verlagsleiter für Romane und Rätsel des Bastei Lübbe Verlags. »Das wird schnell mal belächelt und als einfache Literatur abgetan. Oder als etwas, das im Aussterben begriffen ist. Aber ich glaube, wir sind noch ganz lebendig!«, sagt Leimann selbstbewusst. Die Zahlen sprechen für sich – die Gesamtauflage aller Romanheftserien des Hauses liegt, seit dessen Gründung 1953, bei über zwei Milliarden verkauften Exemplaren; die »Silvia«-Liebesromane gingen 418 Millionen mal über die Ladentheke, die Kriminalfälle des FBI-Agenten »Jerry Cotton« 950 Millionen mal.
Auch das »Bastei-Heimat-Berg-Programm« ist weiterhin erfolgreich. Titel wie »Der Bergdoktor«, »Alpengold«, »Bergkristall« und »Das Berghotel« sehen heute immer noch beinahe so aus, wie man sie vom Couchtisch der Großeltern in Erinnerung hatte. Etwas größer als DIN A5, der Umschlag aus leicht glänzendem Papier mit rotem Hintergrund und dem bekannten, festungsartigen »Bastei«-Logo, der »Zinne«. Der Titel gesetzt in fetter Fraktur – schließlich ist man in den Alpen –, darunter ein Foto, auf dem entweder fesche Madeln in Dirndln, trachtentragende Paare oder knuffige Kinder abgebildet sind, meist vor majestätischer Bergkulisse oder blühend-saftigen Almen. Rund um das Titelbild gruppieren sich gezeichnete Buketts aus Enzian, Edelweiß und Alpenrosen. Man muss unwillkürlich an Dietmar Schönherr denken, der in den 50er und 60er Jahren in einigen Heimatfilmen mitgespielt hat und Jahre später in einem Interview erzählte, dass während der Produktion stets ein Auto mit Töpfen voll blühender Kirsch- und Obstbäumchen mitfuhr. War das Set nicht schön genug, stellte man kurzerhand die Bäume in den Szenen-Hintergrund – »Hauptsache, es blühte!«.
Das Heimatfilm-Setting ist unverkennbar, auch im Sprach-Duktus der Romantitel: »Noch einmal dein Lächeln sehen« oder »Vergiss, was dich zum Weinen brachte«. Die Geschichten sind zweispaltig auf einfachem Zeitungspapier gedruckt; eingeleitet von einem dramatischen Vorspanntext, der auf die kommenden Verwicklungen und Schicksale der Geschichte neugierig macht. Natürlich habe sich die Titelanmutung über die Jahre geändert, sagt Oliver Leimann. »Aber gerade das Segment Heimat- und Bergromane ist heimelig. Wir geben von der Optik den Lesern das, was sie von diesem Genre erwarten.« Hat der Verlag denn schon einmal versucht, das Design zeitgemäßer zu gestalten? Gerade auch mit Blick auf die Fernsehserie »Der Bergdoktor« im ZDF, die ebenfalls modernisiert wurde? Nein, einen radikalen Schritt in diese Richtung gab es bisher nicht, sagt Leimann. »Denn das ist immer mit der Gefahr verbunden, dass wir treue Kunden verlieren oder verprellen. Nicht, dass wir nicht den Mut hätten, etwas Neues auszuprobieren. Aber denken Sie an den Zwieback von Brandt oder an die Kinderschokolade. Seit den 70er Jahren hat sich der Bursche vorn auf den Packungen immer ein wenig geändert, aber sehr marginal. So, dass das Produkt immer noch so aussieht wie früher. Insofern sind wir auch zeitlos aktuell.«
Früher, das war 1953, als der junge Feuilletonredakteur Gustav H. Lübbe aus Osnabrück den kleinen Kölner »Bastei«-Verlag aufkaufte und in einer Garage in Bergisch Gladbach begann, daraus einen der wenigen großen konzernunabhängigen Verlage Deutschlands zu machen. Serien wie »Jerry Cotton«, »Geisterjäger John Sinclair« und »Dr. Stefan Frank« wurden zum Inventar der Bundesrepublik. 2010 zog das Familienunternehmen »Bastei Lübbe« nach Köln-Mülheim in das Carlswerk um, direkt gegenüber befinden sich die Fernsehstudios von Brainpool und die Ausweichspielstätte des Schauspiel Köln. »Jedem seine Welt«, lautet der Firmenslogan, der alle Leserschichten und Genres umarmt.
Der Slogan passt, wenn auch unfreiwillig, zum aktuellen Trend des Rückzugs auf das Private. Weltflucht wäre ein zu großes Wort, aber je unübersichtlicher das Leben draußen wird, desto mehr wächst die Sehnsucht nach dem Einfachen. Jüngere ziehen sich in ihre Filterblasen der sozialen Medien zurück oder flüchten sich in nächtelanges Binge-Serien-Watching von Streaming-Diensten, während die Älteren Volksmusik hören und Heftromane lesen. Aber ist das so einfach? Nein, sagt Oliver Leimann, die Romane würden von der ganzen Bevölkerung gelesen, vom einfachen Arbeiter bis zur Rentnerin, aber auch von Akademikern und jüngeren Leuten. Es kommt halt immer auf den Titel an – ein »John Sinclair« hat ein anderes Publikum als »Der Bergdoktor«. »Bei den Heimatromanen ist der überwiegende Teil der Leserschaft weiblich«, ergänzt Leimann. »Wobei wir bei einer Markterhebung rausbekommen haben, dass es dort etwa 15 Prozent männliche Leser gibt, genauso wie ein großer Teil der Sinclair-Romane weiblich ist. Strikt kann man das nicht trennen. Trotzdem sind es die Bergromane, die das älteste und auch treueste Publikum ansprechen. Die Hälfte dieser Leserschaft ist aber unter 60 Jahre alt.«
Wer steckt nun aber als Autor hinter den Geschichten? Wer ist dieser »Andreas Kufsteiner«, dessen Name auf den Heften steht? Die Google-Suche führt zurück zum Verlag – kein Wunder, es gibt Herrn Kufsteiner nicht. Hinter dem Fantasienamen verbergen sich fünf bis zehn Autoren, darunter Katrin Ulbrich aus dem Erzgebirge. Die 44-Jährige hat während ihres Mathematik- und
Philosophiestudiums erste Geschichten geschrieben, sich irgendwann ein Herz gefasst und das Ganze an den Verlag geschickt. Seit 2001 schreibt sie nun regelmäßig Romane; zwei bis drei Hefte im Monat, die wöchentlich erscheinen, stammen von ihr. Der Name »Andreas Kufsteiner« wurde damals erfunden, weil der Name so gut zur Heftserie passt, sagt Katrin Ulbrich. »So kann man sich gut jemanden vorstellen, der in seiner Hütte sitzt, eine Pfeife im Mund hat und diese Geschichten schreibt.«
Eine Lektorin im Kölner Verlagshaus wacht über die Geschichten und koordiniert die Autoren. Die bringen selbst Ideen ein, aber es muss darauf geachtet werden, dass sich nichts doppelt, nach 1906 erschienenen »Bergdoktor«-Romanen. Die Rahmenhandlung und das Setting sind festgelegt – der Ort der Handlung, St. Christoph im Zillertal, einige Nebenfiguren und die Hauptfigur, Dr. Burger.
»Der ist jetzt Anfang 50 und hat das große Glück, überhaupt nicht mehr älter zu werden!«, sagt Ulbrich lachend. Vom Verlag bekommt sie das Cover-Foto, Titel und Unterzeile, dann beginnt sie mit der Konzeption und dem Schreiben der Geschichte. Hilft es der Autorin bei ihrer Arbeit von erzgebirgischer Naturidylle umgeben zu sein? »Nein«, sagt sie, »nicht unbedingt«. Dafür legt sie sich gern Bilder und Postkarten aus dem Zillertal neben die Tastatur, um in Stimmung zu kommen. Ulbrich recherchiert die Themen ihrer Romane, baut physische und psychische Krankheiten sowie aktuelle Gesellschaftsprobleme in ihre Geschichten ein. Die Dialoge bekommen einen leichten Dialekt-Einschlag, so, dass es auch noch im Sauerland verstanden wird. Mal kommt ein »Mei« an den Satzanfang, und aus dem Wort »Nicht« wird »Net«.
Warum müssen die Heftromane eigentlich immer im Alpenraum spielen, warum gibt es keinen »Küstendoktor« oder »Ruhrarzt«? Es gab bereits die Nordsee-Reihe »Am Deich«, bei der sie auch mitgeschrieben habe, sagt Ulbrich. Die sei beim Publikum aber nicht gut angekommen. »Die Leser lieben eben die Geschichten aus den Bergen.« Die Hauptsache beim Schreiben sei sowieso das Happy-End«, sagt sie. Das sieht auch ihr Verlagsleiter so: »Was ich am faszinierendsten finde, ist, dass die Geschichte immer nach 64 Seiten zu Ende ist«, so Leimann. Er hat großen Respekt vor seinen Autoren und Autorinnen, die das so hinkriegen. »Zu Beginn der Geschichte gibt es Konflikte, es passieren Dinge wie Scheidungen, Schulden und Krankheiten. Aber auf der Seite 64, da gibt es das Happy-End. Immer.«