TEXT: STEFANIE STADEL
Vor ein paar Wochen noch sprangen hier starke Formen in allen möglichen Tönen ins Auge. Große Leinwände, auf denen die australischen Ureinwohner mit Pinsel und viel Farbe von uralten Mythen erzählten. Jetzt wirkt alles klein und grau. Man blickt auf unscheinbare Papierarbeiten, die fast etwas verloren wirken an den hohen, weiten Wechselausstellungswänden im Museum Ludwig.
Offenbar sieht sich selbst Direktor Kasper König in Erklärungsnot und eröffnet deshalb sein Katalog-Vorwort zur aktuellen Schau mit einer Art Rechtfertigung. Er weist darin hin auf das Risiko einer solchen Ausstellung, die fast ausschließlich kleinformatige schwarz-weiß-graue Blätter zeigt, ein Großteil davon auch noch Drucke. Nicht einmal der Name der Künstlerin macht hierzulande etwas her. Vija Celmins – wer ist denn das?
Eine beredte Dame, Anfang siebzig, humorvoll, auch schlagfertig. So zeigte sich die daheim durchaus recht prominente US-Künstlerin kürzlich bei der Ausstellungseröffnung inmitten ihrer Arbeiten. Vielleicht hätte man etwas mehr Stille und Verschlossenheit erwartet. Zumindest mit Blick auf die Bilder ringsum – denn die sind nur mit ernster Akribie und unermüdlicher Konsequenz zu erklären.
»Wüste, Meer & Sterne« listet der Ausstellungstitel – und tatsächlich ist nicht viel mehr als das zu sehen auf Celmins’ kleinen Blättern. Die Schau konzentriert sich auf diese, ihre Hauptmotive. Über viele Jahre, manchmal über Jahrzehnte dreht und wendet die Künstlerin sie. In etlichen Bildern, die oft Wochen oder Monate Arbeit erfordern. Da kann man wohl von einer Obsession sprechen.
Es beginnt Ende der 70er am kalifornischen Strand. Vor Celmins’ Haustür sozusagen. Jeden Abend kommt die Künstlerin mit ihrem Hund hierher ans Meer und fängt irgendwann an, das Licht auf der bewegten Oberfläche zu beobachten; sie führt Tagebuch darüber, macht Fotos. In Schwarzweiß, wie damals üblich.
Sehr bald kommen Bleistift und Papier ins Spiel – ausdauernd wiederholt Celmins das Bild der Wasseroberfläche. Dabei geht sie nicht vom Meer selbst aus, sondern immer von einer fotografischen Vorlage – das ist wichtig. Die Schwarzweiß-Aufnahme gibt die vielen Graustufen vor. Und sie schafft Distanz. »Die Fotografie ist etwas anderes, eine weitere Ebene, die Abstand schafft«, bemerkt Celmins. »Und Abstand sorgt für eine Möglichkeit, das Werk ruhiger zu betrachten und sein eigenes Verhältnis zu ihm zu finden.«
Nicht einmal, nicht zweimal, siebenmal zeichnet sie ein und denselben Ausschnitt. Ohne Oben, ohne Unten, ohne Anfang, ohne Horizont – aber mit sieben verschiedenen Bleistiften. Celmins testet das ganze Spektrum von super weich bis extra hart – 2H, H, HB, B, 2B…. Und jedes Mal kommt ein etwas anderes Bild dabei heraus. Unter dem Titel »Ocean 7 Steps« fügt sie 1973 eins neben das nächste.
Die Reihe macht gleich am Start der Ausstellung klar, worum es der Künstlerin in all ihren unbeirrten Wiederholungen eigentlich geht: jede farbliche Abstufung und die jeweils leicht veränderte Stimmung, die sie erzeugt. Als tragendes Thema ihrer Arbeit erweisen sich das Material und seine Eigenheiten.
In der Folge erweitert Celmins ihr Repertoire um wenige weitere Motive und probiert allerhand auch druckgrafische Techniken aus. Beim Zeichnen setzt sie neben Grafit auch Kohle ein – streicht das Blatt dick ein und setzt anschließend den Radiergummi an. Celmins verwendet einen zugespitzten, um etwa die hellen Sterne am finsteren Nachthimmel herauszuarbeiten. Oder den zarten Faden des Spinnennetzes, das sich zwischen den Rändern des Blattes verspannt – auch ein Lieblings-Sujet.
Die Stärke der Kölner Schau liegt im konzentrierten Nebeneinander. Farben und Motive versprechen wenig Abwechslung; will man irgendetwas mitnehmen, muss man sich schon auf den überall nahe gelegten Vergleich einlassen. Und ganz dicht herantreten, um zu erkennen, dass der mit Grafit gezeichnete Wüstenboden anders aussieht als ein lithografierter oder ein radierter, der sich wiederum himmelweit unterscheidet vom in Öl gemalten.
Das interessiert Celmins. Die Landschaft an sich aber überhaupt nicht – sie sei bloß »rohes Material«, wie die Künstlerin sagt. Das muss man wissen, um inmitten all jener unendlichen Wüsten, Ozeane, Sternenhimmel nicht in romantische Sehnsüchte à la Caspar David Friedrich abzugleiten. Meditation, Kontemplation, Narration, Emotion – all das sind Kategorien, die Celmins fern liegen.
Dies im Hinterkopf, wird einem auch schnell klar, warum die Künstlerin so beharrlich am fotografischen Vorbild hängt: Es ist sozusagen ein unbedingtes Muss. Sie braucht den Umweg, um sich, auch psychisch, von ihren Motiven zu entfernen.
Mit Caspar David Friedrich hat Celmins’ coole, konzeptuelle Haltung nichts gemein. Vielmehr mit einem anderen prominenten Kollegen aus der Kunstgeschichte: Auf der Hand liegen Verwandtschaften zu Ad Reinhardt, der bereits um die Mitte der 50er Jahre alles Subjektive, jede Erzählung, allen Ausdruck negiert hat in jenen »Black Paintings«, deren Geheimnis sich nur durch tiefe Betrachtung erschließen lässt. Wenn man ganz allmählich rote, blaue, graue Schichten, geometrische Formen durch die stumpf-schwarzen Oberflächen schimmern sieht. »Die Kunst lehrt den Menschen das Sehen«, hat Reinhardt einmal gesagt.
Man muss genau hingucken, um die samtige Oberfläche der Kohle in Celmins’ Blättern wahrzunehmen. Die zarten Nuancen des Grafits. Das Gewebe der Leinwand, wie es durch die vielfach lasierten Oberfläche scheint. Die Wirkung ein und desselben Motivs in unterschiedlichen Formaten. Die flachere Erscheinung einer Radierung gegenüber der manchmal fast räumlichen des Holzschnitts.
Nicht ohne Grund gibt die Künstlerin ihrem Publikum den guten Rat: »Hier schau es Dir an, und schau es Dir wieder und wieder an.«
Museum Ludwig, Köln; bis 17. Juli 2011; Tel. 0221/221-26165. www.museum-ludwig.de