Ein Märchen ohne Märchensprache erzählt, vielleicht aber in Märchenbildern: von S-Bahnen, die bei Nacht durch die erleuchtete Hauptstadt entlang des Spreebogens fahren; von einem Aquarium, dessen Glas in tausend Splitter zerspringt und mit einem enormen Schwapp Wasser die Frau und den Mann, Undine und Christoph, zu Boden wirft und sie beide überspült; ein matt schimmernder Swimmingpool, in dem eine Leiche schwimmen wird; schließlich die Szenen unter Wasser mit sich wiegenden Schlingpflanzen, einem großen Wels und versunkenem Gemäuer. Man kann es sich vorstellen als Ruine eines Schlosses, aber es ist nur die Schutzmauer eines Staudamms in Nordrhein-Westfalen, für den Christoph als Industrietaucher tätig ist und defekte Turbinen repariert.
Ein Sonderfall unter den Menschen
Christian Petzold ist kein Romantiker des Kinos oder höchstens auf eine so dezente, ausgenüchterte Weise, dass es sich nur ganz beiläufig ausdrückt. Und hier, in »Undine«, mittels der Musik: dem Adagio aus Johann Sebastian Bachs Cembalokonzert d Moll, das der Titelfigur zugeordnet ist und sie auszeichnet und als Sonderfall unter den Menschen erscheinen lässt.
Am Anfang, in einem Café, trifft Johannes – verwöhnt mit sich selbst und voll falscher Emotion – die promovierte Historikerin Undine Wibeau, um ihr zu sagen, dass er sich von ihr trennt. Sie sagt: »Wenn Du mich verlässt, muss ich Dich töten.« Undine spricht nicht viel, außer sie referiert für Reisegruppen über die Baugeschichte Berlins und das wiedererrichtete Stadtschloss. Da hätten wir nun also ein Schloss, wenn auch kein versunkenes, sondern eines, das nur aus Fassade besteht. So wie die Gegenwart nur noch Hülle sein kann für Märchen wie jenes, das der brandenburgische Friedrich de la Motte Fouqué im Jahr 1811 schrieb über die Meerjungfrau Undine.
Johannes (Jacob Matschenz) wird den Preis für den Verrat an der Liebe mit dem Tod zahlen müssen. Christoph hingegen, ein Mensch ohne Arg, den Franz Rogowski rührend unbeholfen, sanft und ernsthaft spielt, spürt jedes falsche Wort, hört, wie Undines Herz einmal aussetzt, geht zu Grunde und verliert das Bewusstsein. Sein Atem steht still. Die Liebe jedoch vermag ihn zurückzuholen ins Leben – und in ein anderes Leben, ohne Undine.
Ein Silberner Bär für Paula Beer
Wahre Liebe ist die, die verzichtet: ‚Undine geht’, wie Ingeborg Bachmann appellativ schrieb, aber wird den Geliebten nicht zu sich holen, nicht mit sich herabziehen. Erlösung der Erlöserin. Paula Beer, die für ihre Rolle den Silbernen Berlinale-Bären bekam, spielt – wie Petzolds Yella (Nina Hoss) in einem seiner früheren Filme –, als sei sie nicht von dieser Welt, beherrscht und doch wund und mit sich im Reinen.
In vielem ist es ein typischer Petzold-Film, heruntergekühlt, ohne Arabesken, Bordüre, Schleifen. Aber allegorisch. Doch so spröde, sparsam und reduziert – wie die Einrichtung von Undines ambulanter Wohnung am Hackeschen Markt – hat er noch nie eine seiner Kinogeschichten gedreht, die, wie diese auch, von der Einbildungskraft der Liebe erzählen.
»Undine«, Regie: Christian Petzold, D 2020, 90 Min., neuer Start: 11. Juni 2020