Die Frühlingssonne blendet. Die weißen Bodenplatten in der fünfen Etage des Theater Gütersloh reflektieren das Licht. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Doch dann ist der Blick, der sich einem von hier über Gütersloh und sein Umland bietet, überwältigend. Christian Schäfer, der das Haus seit 2013 mit seiner Stellvertreterin Karin Sporer künstlerisch leitet, kennt dieses besondere Spiel des Lichts, das das gesamte Gebäude erstrahlen lässt. Es hat seine Tücken, man muss die richtige Position finden, um nicht geblendet zu werden.
Aber zugleich geht etwas Magisches von ihm aus. Es ist fast wie mit dem Theater an sich. Der von dem Hamburger Architekten Jörg Friedrich entworfene und 2010 eröffnete Teaterbau fügt sich mit seinem beinahe leeren Vorplatz perfekt in das Umfeld ein, zu dem die benachbarte Stadthalle, das Evangelisch Stiftische Gymnasium und ein Wasserturm gehören. Er zieht die Blicke an und öffnet sich durch seine vom Boden bis zum Dach reichende Fensterfront zur Stadt.
Diese Transparenz gleicht einer Einladung, das Haus und dessen Programm zu entdecken. Sie ist die ideale Antwort auf die Querelen, die dem Bau vorangegangen waren. »Als die Paul-Töne-Halle, die hier an etwa gleicher Stelle stand, aus brandschutztechnischen Gründen nicht mehr zu bespielen war, gab es ein Bürgerbegehren gegen einen Theaterneubau«, erzählt Christian Schäfer. Der Initiative »Bürger für Gütersloh«, kurz BfGT, war es 2003 per Bürgerentscheid gelungen, genügend Stimmen zu sammeln, um den damals geplanten Bau zu verhindern. Daraufin hatte Jörg Friedrich seine ursprünglichen Pläne noch einmal überarbeitet und einen deutlich preiswerteren Entwurf vorgelegt, der dann dank Spenden eines Fördervereins und der beiden in Gütersloh ansässigen Konzerne Bertelsmann und Miele 2008 realisiert wurde.
Auch wenn der BfGT-Vorsitzende das Theater bis heute nicht einmal betreten hat und seinen Boykott unverdrossen fortsetzt, haben sich die Wogen inzwischen geglättet. In den sechs Jahren, seit Schäfer das Theater von dem 2013 in den Ruhestand gegangenen Klaus Klein übernommen hat, ist einiges geschehen. »Ich wollte vom Thema Geld, das den Diskurs über das Theater in Gütersloh bestimmt hat, wegkommen. Es sollte wieder über Inhalte gesprochen werden.« Nicht ohne Stolz erzählt der 1975 im badischen Müllheim geborene Theatermacher von Zweiflern, die mittlerweile zu regelmäßigen Theatergängern geworden sind.
Überhaupt stimmen die Zahlen: »Im Abendspielplan haben wir eine Auslastung von über 90 Prozent, und insgesamt kommen wir auf über 80 Prozent.« Das Programm der kommenden Saison verspricht reichlich Gesprächsstoff: Eröffnet wird die Saison 2019/2020 mit einem Gastspiel von Hakan Savaş Micans am Berliner Maxim Gorki Teater entstandener Bearbeitung von Erich Maria Remarques Roman »Die Nacht von Lissabon« am 7. September. Sie endet mit Christoph Marthalers Inszenierung von Johann Nepomuk Nestroys »Häuptling Abendwind«, einer Produktion des Deutschen Schauspielhauses Hamburg. »Neues erleben«, so lautete das Motto, mit dem die Stadt 2010 für das gerade neueröffnete Teater geworben hat.
Für Schäfer ist das bis heute eine zentrale Leitlinie: »Ich versuche, diese auf das Haus gemünzte Maxime auch im Programm umzusetzen und Theaterästhetiken zu zeigen, die man hier so zuvor noch nicht gesehen hat.« Die über das alltägliche Bühnengeschäft hinausstrahlenden Arbeiten sind die eine Seite des Programms. Die andere sind Reihen mit Boulevardstücken und musikalischen Produktionen. In einem Gastspielhaus wie dem Theater Gütersloh muss die Mischung stimmen, oder wie Schäfer sagt: »Es ist wichtig, dass man bei der Programmarbeit möglichst wenig engstirnig ist.« Der Wunsch, ambitioniertes Theater auf der Höhe der Zeit zu machen, und die Verpflichtung, die Stadt Gütersloh und ihr ländliches Umfeld kulturell so umfassend wie möglich zu versorgen, müssen sich dabei nicht widersprechen.
Mit einem Stück wie Eric Assous’ »Der rechte Auserwählte«, das am 19. Januar 2020 in einer Inszenierung der Hamburger Kammerspiele in Gütersloh gastieren wird, beweist Schäfer, dass auch Boulevardtheater zu aktuellen Entwicklungen Stellung beziehen kann. Auch wenn das Haus in erster Linie ein Bespiel- oder, wie der Gütersloher Kulturdezernent Andreas Kimpel es nennt, »Programmtheater« ist, fasst Schäfer seine Arbeit weiter: »Wir bieten neben Gastspielen sämtlicher Sparten auch Workshops, Spielclubs, eine Bürgerbühne und Publikumsgespräche, also alles, was zu einem klassischen Stadttheater gehört.«