Es war eine Zeit, in der die Stadt Essen wie durch ein Märchen schwebte. Erst gewann sie, das Aschenputtel unter den Bewerberinnen, den Goldenen Schuh der Kulturhauptstadt. Das war 2006 und für diese Belohnung mussten die Essener noch richtig kämpfen. Ein Jahr später aber brauchten sie nur noch das Hemdchen aufzuspannen, und es regneten die Sterntaler eines neuen Museums herein, hinabgeworfen von dem über alles Krupp’sche und vieles Essenerische thronenden Mäzen Berthold Beitz. Dabei waren die Beschenkten zwar so arm, aber keineswegs so lieb gewesen wie das Märchenkind, sie hatten sich nämlich über Sanierung und/oder Neubau ihres beinah einzigen Schatzkästleins Folkwang wie die Räuber gezankt, was den großen BB sehr erzürnte. Weil er aber eben groß war, strafte er nicht, sondern spendete: 55 Millionen; bei einem Spaziergang auf Sylt sollen ihm Herz und Beutel aufgegangen sein. Und noch ein zweiter gab sich in diesem märchenhaften Jahr uneitel souverän: der berühmte Architekt David Chipperfield. Der dachte sich einen Folkwangneubauentwurf aus, der nicht auftrumpfend den Ruhm seines Schöpfers mehren, sondern klassisch-modern-zurückhaltend der Kunst dienlich sein sollte. Im Februar 2007 gewann er die Ausschreibung – gegen weitaus spektakulärere Ideen von Zaha Hadid oder SANAA. Und nicht einmal zwei Jahre später, pünktlich zum Start der Kulturhauptstadt, stand das Museum fertig da: kubisch-klare Baukörper, gruppiert um Zen-stille Innenhöfe, außen mit mintgrüner Glaskeramik bekleidet, innen von Tagesoberlicht erhellt. Seitdem wartet der Essener Oberbürgermeister allnächtlich vor seinem Rathaus im bloßen Hemd auf weitere Taler, damit er die Betriebskosten des Wunderbaus zahlen kann. | UDE
2003–2013 EIN RÜCKBLICK
01. Feb. 2013