// Die ersten Minuten lassen ahnen, dass es einem in den nächsten fünf Stunden die Sprache schon mal verschlagen wird, selbst wenn sie sich verdoppelt und Italienisch und Deutsch lautmalerisch vermischt. Irgendwann vergisst man sogar, auf die Übertitelung zu schauen, nimmt das hektische Parlando wie der Tourist beim Italien-Urlaub und sieht im wechselseitigen Radebrechen Differenzen in Mentalität und Temperament gespiegelt. Bei der Kommunion der Körper, dem Tanz der Triebe, dem Lamento der Liebe regiert ein anderer Choreograf neben dem Verwalter des Textes. Es knirscht, als hätten die Schauspieler Kies unter den Füßen, obwohl sie auf einem Holzplafond der Kölner Schauspielhaus-Bühne stehen, sich bewegen, flanieren, stolzieren. Bild und Ton klaffen auseinander in asynchroner Lautverschiebung. Man wird seinen Ohren nicht trauen dürfen während dieser schönen Ferienzeit, dem wilden Sommer. »Die Trilogie der Sommerfrische« führt von der Stadt aufs Land und wieder zurück, schlägt eine Schneise in die Herzen und legt Spuren der Verwüstung.
Eine aufgeheizte, gereizte Stimmung liegt über der mit ein paar Wartebänken auf Abschied und Abkehr eingerichteten Szene, auf die herab sich große Volieren mit umgitterten Lüstern senken. Der Optativ regiert. Es kommt etwas auf, eine Absicht, ein Vorhaben. Wind. Man ist nervös und scheint doch ruhig sein zu müssen angesichts dessen, was sich ankündigt durch einen gesteigert sirrenden Ton, als würden die Mauern von Zeit und Raum durchbrochen für die Buffonata.
Die Sommershow, wie es spielerisch radebrechend unter Zuhilfenahme des Wörterbuchs heißt, könnte auch Sommeroper heißen. Denn Regisseur Antonio Latella komponiert und organisiert mit seinen binationalen und lingualen Schauspielern in rasanten, dann wieder retardierenden Phasen ein physisch vitales, rhythmisch perfekt arrangiertes Improvisations- und Körpertheater aus pantomimischer Tradition, in noblen Tableaus und mit zeremoniellen Auftritten. Das virtuos musikalisierte Meisterstück erinnert an die Finessen und Fatalitäten von Mozarts / Da Pontes »Così« und »Figaro«. Die Dramaturgie gruppiert in stetem Wechsel das Personal um: zu Duetten, Terzetten, Quartetten und Ensembles. Anja Laïs hat zunächst an der Rampe als Spielmacherin (später als alternde Tante Sabina) das Sagen und trägt leicht angespitzt und patzig die Goldoni-Partitur vor, indem sie Stichworte liefert, Pausenzeichen ausruft, Regieanweisungen referiert und die Chose ans Laufen bringt.
Latella hält sich fern von Zuschreibungen und Ideologisierungen Goldonis. Ihn interessieren die Fragmente einer Sprache der Liebe, ob in Hemd und Hose und im Girlie-Look der Gegenwart wie im ersten Teil oder später im rauschenden Kostüm des Rokoko. Das gegen Versachlichung gerichtete Liebeskonzept einer vita nova erhält mit der Anrufung Dantes und Zitaten aus dessen Minnegesang für seine Beatrice schmerzlich existentielle Dringlichkeit. So korrespondiert das Finale des ersten Teils, in dem sich zu Mendelssohns Hochzeitsmarsch ein langsamer Trauerzug formiert, mit dem Ende des zweiten Teils, wenn sich nach und nach sechs Schauspielerinnen aufreihen, um einen Klagegesang und theatralen Choral anzustimmen.
Das Palaver um die Buffonata und die spekulativ richtigen Ferien-Konstellationen, die Prestige verschaffen, Status garantieren und die Gier nach Geld, Luxus, Sex befriedigen, füllt Teil Eins. Die Hauptfigur Giacinta, als Tochter des Filippo in den Abhängigkeiten des Vaters von seinem Finanzier, bedrängt vom armen Verehrer Leonardo und von der guten Partie Guglielmo umworben, repräsentiert die Autonomie des Gefühls. Sie will Liebe, nicht Ehe. Dieser Konflikt wird von Lucia Peraza Rios mit energischem Stolz und Selbstbewusstsein ausgetragen, die bei ihr natürliche Schwestern der Schönheit zu sein scheinen. Wenn sie ihrer Rivalin, Leonardos Schwester Vittoria, begegnet, treffen sich zwei Luder, die sich als Next Super Model erfolgreich bewerben könnten. Der Catwalk aber scheint direkt zur Via Dolorosa zu führen.
Bei Goldoni ist es die Landluft, die frei macht. Die Regellosigkeit der Lust durchbricht zeremonielle Ordnung. Das dolce far niente, ein kakao-süßer Müßiggang mit bitterem Nachgeschmack wird aufgeputscht vom artistischen Kampf um eine Tasse Schokolade zwischen Herrschaft und unverschämten Bediensteten in haarigen Perücken-Masken, bis sich die Handlung zur tosenden, kosenden, wirbelnden feria verflüssigt – und ziemlich ausufert, so dass man für den Schlussteil nicht mehr viel erwartet.
Umso überraschender dann das springlebendige Finale, in dem die Figuren aus Schlupflöchern im Dielenboden manisch elastisch hopsen, als würden sie von unsichtbaren Kräften herausgeschleudert. Diesem bis zum Letzten verzweifelt komischen Unglück, bei dem der Mann sein Potenzgehabe als Erektions-Slapstick vorführt, setzt eine Polka den Schlusspunkt. Amor fati in Dur und Moll. // AWI