// Den 50. Geburtstag feiert man nur einmal, aber dann richtig. John Zorn mietete den New Yorker Tonic Club an, um mit musikalischen Weggefährten zurückzublicken. Aber nicht etwa nur ein paar Stunden lang, mit ein, zwei Konzerten. In jenem September 2003 stand Zorn während 30 Tagen jeden Abend non-stop auf der kleinen Bühne. Mit ständig wechselnden Sparringspartnern, die alle seit jeher auf sein Kommando gehört haben. Mal war es die Noise-Band PainKiller, mit der Zorn sein hyperventilierendes Saxophon reichlich Galle spucken ließ. Dann wieder verknüpfte er mit dem Masada Quartet jüdische Tradition mit Modern-Jazz. Mit Locus solus feierte jenes Rock-Jazz-Trio Wiederauferstehung, dessen Wurzeln bis zurück in die frühen 1980er Jahre reicht. Jeder Normalbürger hätte zwischendurch unters Sauerstoffzelt gehört. Nicht so John Zorn, der zugleich noch die Gesamtaufführung seiner Streichquartette überwachte sowie die Klang-Hommages an Marguerite Duras und Marcel Duchamp.
Einen Monat war also der eher schmächtige Sound-Zehnkämpfer im Einsatz. Dennoch hätte das Jubiläums-Ständchen munter so weiter gehen können: mit zahllosen Underground-Filmen, zu denen er die Soundtracks komponierte, oder mit der Formation Naked City, mit der er sich atemberaubend schnell und bisweilen ohrenbetäubend durch alle Stile von Hardbop bis Hardcore, von Punk über Country bis Rockabilly zappt. John Zorn war schon immer ein musikalischer Allesfresser und Verschlinger. Jemand, der über rabiaten Appetit verfügt und zwischen Fast- und Slow-Food keinen Unterschied macht.
Zorns künstlerisches Credo fällt denkbar einfach wie radikal-demokratisch aus: »Was ich völlig von mir weise, ist die Vorstellung, dass Musik eine Hierarchie hat – die so genannten komplexeren Formen, sprich Klassik, höher gestellt als der Jazz, der wiederum komplexer und somit höher gestellt als der Blues, der wiederum höher gestellt als Popmusik oder was immer. Alles ist auf demselben Level! Alles sollte auf gleiche Weise respektiert werden.«
An dieser Prämisse, die Zorn 1988 in einem seiner seltenen Interviews aufstellte, hat sich bis heute nichts geändert. Nur der Blickwinkel auf den postmodernen Alchemisten hat sich mittlerweile konzentriert. Was sich auch an der Geschichte des Moerser Festivals festmachen lässt, bei dem Zorn jetzt nach knapp zwanzig Jahren, und diesmal nur mit seinem Saxophon, wieder auftritt. Als er zwischen 1982 und 1989 in die niederrheinische Jazz-Metropole kam, um auch als Dozent die aktuellen Werkstatt- Berichte seiner New Yorker Avantgarde-Factory abzuliefern, galt er als Prototyp des bunten Hundes. Obwohl Zorn in jener Zeiten zwar längst prominente Gefolgsleute wie die Gitarristen Bill Frisell und Fred Frith um sich geschart und sogar mit Ennio Morricone zusammengearbeitet hatte, verkörperte er ausschließlich die provozierende Spaß-Fraktion, die anscheinend keine Ehrfurcht mehr vor der Tradition und dem Erbe hat.
Wenn Zorn etwa in einem CD-Booklet als Quellen seiner Inspiration Namen wie Anton Webern, Carlos Santana, Frank Sinatra und Quincy Jones auflistete, wurde das eher augenzwinkernd verstanden. Dabei ging es Zorn nicht darum, sich vom archivierten Klang-Müll vergangener Jahrzehnte zu trennen, sondern ihn nur neu zu sortieren, ihn zu recyclen. Je mehr er sich seiner Sammler- und Jäger-Mentalität hingab, umso größer und fast unüberschaubar geriet sein Output (akribische Zornologen wollen rund 250 CDs ausgemacht haben). Gleichzeitig aber nahm – das eben verblüfft auch – das Bild vom ernsthaften Komponisten und umfassend gebildeten Saxophonisten mehr und mehr Kontur an.
In der anarchischen Durchlüftung herkömmlicher Kompositionsmodelle knüpft Zorn an zwei Musiker an, die ihn, der 1953 in New York geboren wurde, schon früh beeinflussten hatten. Zum einen Charles Ives mit seinen collageartigen Überblendungen von klassischer Moderne mit Fundstücken des musikalischen Alltags. Von John Cage übernahm Zorn dagegen den Parameter »Lärm« als archaisches, damit unmittelbar wirkendes Ausdrucksmittel. Mit schockartigen, aggressiven Kaskaden lässt er seitdem jede noch so trügerische Oberfläche in tausend Einzelzeile zerspringen. Aus jedem musikalischen Lebensfunken schlägt er Lust und Leiden zugleich.
Für diesen auf das Körperliche abzielenden Akt des Musik-Machens und -Hörens hat Zorn sich in den letzten Jahren auch offiziell immer tiefer in das Werk eines Mannes gebohrt, der als sein wahrer geistiger Vater gelten muss. In Antonin Artauds Manifest »Das Theater der Grausamkeit« wird das Schreien und Klagen als eigentliche menschliche Gebärdensprache beschworen, mit der Zorn auch seine schwarze Folterseelenkammer »Astronome« zum Klingen gebracht hat. Ein Projekt, das zugleich an eine nie realisierte Oper anschloss, für die der Neue Musik-Pionier Edgard Varèse in den 1930er Jahren Artaud hatte gewinnen wollen.
Solche Aufnahmen sind nichts für schwache, zartbesaitete Nerven. Weshalb auch die Tonträger-Branche bislang nicht ungeduldig auf derart experimentalintensive Alben gewartet hat. Also entschied sich Zorn 1995 zur Gründung des eigenen Labels Tzadik, das weniger auf Gewinn ausgerichtet ist, als vielmehr ein Forum für Gleichgesonnene bietet. In der Reihe »Radical Jewish Movement« bekennt sich der Jude Zorn zum Klezmer und porträtiert Musiker wie Serge Gainsbourg. Mit »New Japan« huldigt er seiner Wahlheimat, in der er das halbe Jahr lebt. In den »Composer Series« finden auch strenge Zwölfton-Apologeten wie Milton Babbitt Platz und die US- Minimalismus-Szene um Morton Feldman.
Selbstverständlich ist Tzadik ein nahezu lückenloser Gradmesser für das, was John Zorn in 35 Jahren im Kopf herumging und in ihm brannte. Wie gleich die ersten Solo-Aufnahmen des 20-jährigen Saxophonisten dokumentieren, die er als das »Verrückteste« bezeichnete, was er jemals gemacht habe. Auch mit seinen 54 Jahren ist er weiterhin für jede Zumutung gut, worauf man sich bei seinem einzigen Europa-Auftritt einstellen darf – in Moers. //
9. bis 12. Mai 2008; www.moers-festival.de