Text: Ulrich Deuter
// Der Mann ist ein Eulenspiegel, ein boshafter Aufklärer. Sein Lächeln ist sardonisch: Joep van Lieshout, wie er da, wohlgenährt und mit dionysisch schwarz glänzendem Haarschopf, durch die Essener Ausstellung seiner Furchtbarkeiten schlendert. Der Mann ist natürlich harmlos, er ist ja Künstler, außerdem Niederländer, 1963 geboren, und sind nicht Niederländer immer irgendwie harmlos? Furchtbar ist seine Ausstellung, mit der er den Großteil des Restmuseums Folkwang füllt (nebenan wächst rasend der Neubau in die Höhe) – furchtbar ist sie auch mitnichten im qualitativen Sinne, sondern im politischen. Oder im moralischen, wenn man will. Die Schau heißt »Stadt der Sklaven«, aber eine solche sehen wir erstmal gar nicht. Wir vergessen den Titel auch sofort, denn wir wandern durch eine entgegenkommend gestaltete, gutgemeinte, gutgemachte Utopie: eine ganz und gar durchgeplante, in ökonomischen Berechnungen, architektonischen Rissen, Tabellen, Modellen und originalgroß erbauten Beispielen errichtete Mini-Gesellschaft, eine Arbeits-, Versorgungs- und Freizeit-Stadt für 200.000 Menschen auf 60 Quadratkilometern, die energetisch komplett aufkommensneutral wirtschaftet und unterm Bilanzstrich auch noch Gewinn erzielt (7,8 Milliarden Euro). Wollen wir genau das nicht alle? Ja.
Nicht unbedingt zwingend ist die organische, genauer: dem menschlichen Körper nachempfundene Form der meisten Gebäude, so zum Beispiel ähnelt das hochgebaute Einkaufszentrum (eine Entwurfszeichnung) verdächtig dem unteren Teil der Wirbelsäule samt Becken. Die Fortbildungsakademie für Männer (ein aufgeschnittenes Modell im Maßstab von vielleicht 1:50) irgendwie auch – will sagen, gleicht einem Schoß mit gespreizten Beinen. Und das Bordell für Frauen (ein Minimodell) sieht exakt wie ein Spermatozoon aus. Warum diese Orga-Architektur? Vielleicht weil Lieshout und seine mit ihm seit 13 Jahren unentwegt seltsame Objekte auf der Kippe zwischen Kunst, Möbeldesign und Architektur ersinnende und aus Holz und Glasfiber fertigende Crew, das Rotterdamer »Atelier van Lieshout« (AVL) – vielleicht also, weil Lieshout und sein AVL denken, dass der Mensch von seinem Körper nicht loskommt. Und der Säugetierkörper ist nun mal ein gewaltige Energien verschlingendes Ding. Oder weil man so eine Zukunftsgesellschaft auf keinen Fall eckig wirken lassen darf. Oder es gibt einen anderen Grund.
Warum es ein Bordell für Frauen gibt, erklärt sich hingegen leicht: Weil die Zukunftsstadt konsequent modern ist. Also grün sowie gendermäßig korrekt. Und weil, wenn man ökologisch bewusst leben will, und das wollen wir ja alle, man zwar ein paar Einschränkungen hinnehmen muss, auf der anderen Seite aber auch Vergünstigen erhält. Vergünstigungen (Bordelle, Wellness, Shopping, alles wie im richtigen Leben), sofern man sich korrekt verhält. Will heißen, täglich 14 Stunden in Betrieben und in der Landwirtschaft brav schuftet und auch sonst nicht aufmuckt. Aufmuckende, sagt Lieshout auf Nachfrage lächelnd, werden bestraft. Ja, auch mit dem Tod. Damit man sie kompostieren kann. Natürlich.
So liebevoll ist alles ausgedacht und aufgebaut. So furchtbar zu Ende geplant. Das Ende, das ist der Raum mit der Einrichtung aus hellem, ungehobeltem Holz. Riesig lange Bänke auf zwei Ebenen, zum Schlafen, zum drauf Sitzen und dran Arbeiten, alles ungetrennt in Reihe, selbst die Toiletten (Löcher im Holz!) – genau so, tatsächlich ganz genau so, wie wir es aus den Baracken der KZs kennen. Er habe Wert darauf gelegt, sagt Lieshout mit diesem Lächeln, dass der Raum (ein Modul, das hundertfach vorkommen soll in »Slave City«) freundlich wirkt. Ja, gibt er zu, das sei in der Tat zynisch. Aber es sei auch eine Warnung. Denn die Energiefrage provoziere eine Entwicklung in der Welt, die letztlich auf eine neue Form des Totalitarismus hinauslaufen könne. Und deutsche KZs, natürlich, die habe er sich angeschaut.
Eulenspiegel meint es ernst. Offen bleibt, wie RWE seine Rolle sieht – der Energiekonzern ist Sponsor der Ausstellung. //
Bis 6. Juli 2008. Tel.: 0201/88-45301. www.museum-folkwang.de. Umfangreiches Begleitprogramm.