Interview: Heinz-Norbert Jocks
// Es war nicht mein erstes Gespräch mit Gregor Schneider. Vor über einem Jahr trafen wir uns im Café der Maison Rouge, einem Privatmuseum nahe der Bastille in Paris. Schneider, der immer wieder den Gang seiner Sätze anhält, als müsse er sie erst mühevoll in seinen Bewusstseins-Kammern vorbilden, scheint jede Formulierung genau abzuwägen. Das erfordert enorme Geduld. Man muss ein Gefühl dafür entwickeln, wann die langsam, fast gebrechlich sich herauslösenden Sätze komplett beieinander sind. Aus aktuellem Anlass haben wir uns nun in seiner niederrheinischen Heimat Rheydt verabredet. Hier arbeitete er über lange Jahre in und an seinem »Haus u r«, lebte auch in dem von ihm eigenhändig geschaffenen labyrinthischen, beklemmenden Kosmos der Unterheydener Straße 12 – bis zur Kündigung des Mietvertrags.
Um sich nicht davon verabschieden zu müssen, schickte er das Innenhaus des elterlichen Außenhauses auf Reisen. Seit seinem Auftritt 2001 in Venedig, wo Udo Kittelmann »Totes Haus u r« als deutschen Beitrag der Biennale präsentierte, gehört Gregor Schneider, mit 32 Jahren Gewinner des »Goldenen Löwen«, zu den Weltkünstlern. Ein Jahr danach gab es heftigste Reaktionen, weil er auf dem Markusplatz von Venedig seinen Schwarzen Kubus, der die Maße der Kaaba in Mekka aufnimmt, ausstellen wollte. Weil befürchtet wurde, Muslime könnten sich in ihrem Glauben verletzt fühlen, wurde die Installierung voreilig verboten. Die »Schönheit des Raumes« wurde schließlich vor der Kunsthalle Hamburg zur Besichtigung freigegeben.
Jetzt gerät Schneider neuerlich in die Schlagzeilen. Auslöser waren zwei kurze, von Art Newspaper publizierten Sätze. »Ich möchte eine Person ausstellen, die eines natürlichen Todes stirbt, oder jemanden, der soeben gestorben ist. Dabei ist mein Ziel, die Schönheit des Todes zu zeigen.« Seither wurde in diese Ankündigung alles Mögliche und Unmögliche projiziert. Von einer Kunst zum Gruseln war ebenso die Rede wie vom Versuch einer Provokation durch Tabubruch. Missbrauch der künstlerischen Freiheit oder Aufmerksamkeits-Erpressung wurden unterstellt. Es ist an der Zeit, die eigentlichen Absichten zu erfahren, über Beweggründe und über die ästhetische Erfahrung des Todes mit Gregor Schneider zu sprechen.
K.WEST: Verstehen Sie die Empörung über die Ankündigung Ihres Projekts von einem real Sterbenden in einem von Ihnen entworfenen Sterberaum?
SCHNEIDER: Die Empörung ist eine falsche. Ich habe einen Sterberaum gebaut, der für mich als Bildhauer das eigentliche Kunstwerk ist. Doch kann er auch als solcher genutzt werden.
K.WEST: Können Sie genau beschreiben, was man da sieht?
SCHNEIDER: Es ist ein Nachbau eines Raums aus dem Museum Haus Lange/Esters, der für mich einer der empfindsamsten und künstlerisch anspruchsvollsten ist, die wir für Gegenwartskunst haben. Es handelt sich dabei um einen von Licht durchfluteten Wohnraum mit großen Fenstern und Holzboden. Von Mies van der Rohe konzipiert, ist er für mich ein Ausdruck räumlicher Freiheit. Als Nachbau und transportabel, könnte er an irgendeinem Ort aufgebaut werden. Gerade weil im Haus Lange/Esters seitens zeitgenössischer Künstler existentielle Fragen gestellt wurden, ist das Museum für mich der wichtigste Ort für Gegenwartskunst in Deutschland. Dadurch, dass mein Alltag so eng mit den Räumen verknüpft ist, kann ich mir dort auch den Tod sehr gut vorstellen. Dort hatte ich 1994 meine erste Museumsausstellung – ich wünsche mir, ich hätte dort auch meine letzte.
K.WEST: Worum geht es Ihnen bei dem Sterberaum?
SCHNEIDER: Als Bildhauer baue ich Räume, die für mich eine zweite Haut darstellen. Der Raum ist dabei die Kunst. So, wie ich eine Küche oder ein Schlafzimmer baute, schuf ich einen Raum für einen Toten oder Sterbenden vor dem Hintergrund der Frage: Warum sollen Künstler nicht humane Räume für den Tod und das Sterben hervorbringen, in denen auch Trauerarbeit praktiziert wird? Warum können wir den Tod nicht aus der Tabuzone herausreißen, wie eine Geburt feiern und ein Kunstwerk schaffen, in dem Sterbende bis zum Tod begleitet werden?
K.WEST: Warum sollte der Sterberaum real benutzt werden?
SCHNEIDER: Es gibt verschiedene Motive, weshalb Menschen sich darauf einlassen könnten. Ein Grund könnte sein, dass jemand möchte, dass sein Sterben dokumentiert oder plastisch verbildlicht wird. Auch wäre möglich, dass Menschen dagegen aufbegehren, den zweiten Tod zu sterben, der mit dem absoluten Vergessensein eintritt. Es kann auch pure Not sein. Die Angst vor dem Tod, vor Einsamkeit, medizinischer Übervorsorgung. Ich selbst interessiere mich für den Raum vor oder nach einem Ereignis. Was passiert in welcher Form auch immer mit dem Raum im Verhältnis zu dem Sterbenden oder demjenigen, der den Raum betritt?
K.WEST: Könnte man es nicht dabei belassen, den Raum gebaut zu haben? Warum liegt Ihnen so sehr an seiner Verwendung?
SCHNEIDER: Im Unterschied zu einem Bild, das nur angeschaut wird, ist ein Raum zum Betreten da. Es ist nicht das erste Mal, dass bei mir ein Raum eine tatsächliche Funktion erfüllt. Ein Sterberaum, dreidimensional und konkret erlebbar, ist ein Angebot und nicht nutzlos. Erst die plastische Darstellung schafft den Zugang zur Realität und reflektiert darüber.
K.WEST: Würden Sie den Raum ändern, wenn er dem Sterbenden nicht ganz entspricht?
SCHNEIDER: Es wäre doch wunderbar, wenn jeder sich seinen eigenen Raum bauen, also selbst bestimmen könnte, wo er stirbt.
In dem bewohnbaren Raum stünden das Befinden des Sterbenden, die Linderung von Schmerzen und Beschwerden, die Hilfe bei sozialen und spirituellen Problemen im Vordergrund. Als Bildhauer nähme ich mich voll- kommen zurück. Weil mit sterbenden oder toten Körpern Gebrechlichkeit, Verwundbarkeit und Zerstörung, also nichts Ideales assoziiert wird, werden ihnen beängstigende Eigenschaften zugeschrieben. Ideal wäre ein sanfter Tod ohne quälende Krankheit. Das würde der Dämonisierung des Todes entgegenwirken.
K.WEST: Was würde passieren, wenn sich gleich mehrere Sterbende meldeten?
SCHNEIDER: Es kann gut sein, dass für einen solchen Raum ein größerer Bedarf da ist und ein Hospiz dafür Verwendung hätte. Man könnte dann auch andere Künstler zum Bau von Sterberäumen einladen. Da ich überwältigende Reaktionen erhielt, weiß ich, dass es dieses von Vertrauen getragene Bedürfnis gibt, in einem Kunstwerk ›schön‹ zu sterben. Wenn man sich fragt, woran man bei mir Anstoß nimmt, hat es wohl damit zu tun, dass ein Sterbender oder Toter gezeigt wird. Aber denjenigen, die erfahren, dass der Raum ein Sterberaum ist, in dem der Sterbende selbst bestimmt, wie er ihn benutzt, ist der Schrecken sofort genommen. Sie machen sich Gedanken, wie sie ihren Tod gestalten können und finden das Angebot grundsätzlich würdig.
K.WEST: Sie legen Wert auf ein persönliches Verhältnis zu dem Sterbenden, suchen den unmittelbaren Kontakt …
SCHNEIDER: Einen Menschen beim Sterben oder nach dem Tod zu umarmen, empfand ich als eine seltene wie wertvolle Erfahrung. Eine Trauerbegleitung würde ich mir zutrauen. Jedoch sehe ich meine eigentliche Qualifikation im Bauen des Ortes für die Trauerarbeit.
K.WEST: Haben Sie das Sterben eines Menschen schon einmal persönlich erlebt?
SCHNEIDER: Ich habe meinen Vater sterben gesehen. Er hat es geschafft, als es soweit war, sich nicht länger mehr ans Leben zu klammern. Er konnte loslassen, und das fand ich nicht schrecklich. Schlimm fand ich die Art und Weise, wie er begraben wurde. Ich hätte ihn lieber noch etwas länger um mich herum gehabt. Die Frage, wie und wo jemand sterben möchte, ist eine so persönliche wie philosophische, die jeder für sich beantworten muss. Das kann ich keinem abnehmen. Der Sterbende wird uns zeigen, wie er stirbt.
K.WEST: Wie würden Sie selbst sterben wollen?
SCHNEIDER: Da ich in meinem Leben sehr eng mit Räumen verbunden bin, kann ich mir gut vorstellen, in einem meiner Räume, also umgeben von Kunst, schön und erfüllt zu sterben.
K.WEST: Die Arbeit an dem Schwarzen Kubus war auch eine Beschäftigung mit Religion. Spielt das Religiöse auch bei dieser Arbeit eine Rolle?
SCHNEIDER: Sterben ist heute vornehmlich ein Thema der Medizin. Bestattungsrituale werden von der Religion bestimmt. Ich wuchs als Messdiener mit den katholischen Ritualen auf und nahm, unter Höllenangst leidend, an Beerdigungen teil. Es wäre an der Zeit, dass die existierenden Rituale stärker den persönlichen Wünschen angepasst werden. Von der Diamantenbestattung, bei der die Asche zum Diamanten gepresst wird, bis zur Weltraumbestattung sehen wir individuelle Lösungen. Das Neueste ist die umweltschonende Bestattung, die so genannte Promession. Dabei wird der Leichnam mit flüssigem Stickstoff tiefgekühlt. Nach dem Flüssigkeitsentzug wiegt der Körper nur noch 30 Prozent seines ursprünglichen Gewichts. Im kompostierbaren, fünfzig Zentimeter unter der Erde bestatteten Sarg wird alles innerhalb von sechs bis zwölf Monaten zu Humus umgewandelt.
K.WEST: Wenn der Sterberaum als solcher genutzt wird, ist das dann als Ausstellung in Anwesenheit oder unter Ausschluss von Zuschauern gedacht?
SCHNEIDER: Weder als Event noch als Skandalisierung oder Kommerzialisierung des Todes. Es geht um eine pietätvolle Form. Im Grunde um einen Gestaltungsauftrag. Unser ambivalentes Verhältnis zum Tod drückt sich darin aus, dass der uns fremd bleibende, befremdliche Tod fasziniert. Öf- fentliche Betrachtung durch Zuschauer ist nicht a priori pietätlos. Sie liegt im Auge des Betrachters.
K.WEST: Warum soll ein so intimer Vorgang wie das Sterben in einem Museum öffentlich werden?
SCHNEIDER: Etwa 50 Prozent aller Menschen sterben öffentlich, umgeben von Fremden in Krankenhäusern, ohne die Umgebung selber be- stimmen zu können. Das ist der eigentliche Skandal. In den Reaktionen auf meinen Sterberaum zeigt sich ein Bedarf. In Briefen an mich ist die Rede von den Ängsten vor dem Tod, auch davor, beim Sterben allein gelassen zu werden, Leid und Schmerzen nicht mehr aushalten zu können und sich ausgeliefert zu fühlen. Dass Menschen würdig leben und sterben können, ist mein Wunsch. Da kann ein Kunstraum die häusliche Umgebung ersetzen. Das erfordert allerdings ein anderes Museum. Ich baue Räume in Museen, die diese verändern und etwa in private Räume verwandeln und einen anderen Zugang schaffen. Für mich ist das Museum ein Schutz- und Reflexionsraum, aufgeladen mit den schönsten Dingen, die einen umgeben können, nämlich mit dem Leben. Für mich hat das reale Leben seinen Platz in der Kunst; das schließt weder das Erleben noch den Ausdruck existenzieller Gefühle aus. Die Kunst kann dieser Sensibilität einen Ort geben. Der Prozess gedanklicher Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit des Verlustes rückt so mitten ins gesellschaftliche Bewusst- sein. Das stärkt den Trauerprozess, nach dessen Gelingen der Mensch lebensbejahend in die Zukunft blicken kann.
K.WEST: Ist Ihnen der Tabubruch bewusst, geht es nicht auch um Provokation?
SCHNEIDER: Das wird mir immer unterstellt. In erster Linie bin ich ein aus seiner Arbeit schöpfender Bildhauer. Das ist meine einzige Motivation. Übrigens musste ich im Laufe meines Künstlerlebens immer wieder mit Anfeindungen umgehen. Wenn ich mich daran erinnere, wie ich anfing, so war ich der Irre, der Material in das Haus trug. Dass ich Sachen mache, die zu Widerständen führen, zieht sich durch meine Biographie.
K.WEST: Sie sammeln jede noch so winzige, lächerliche oder bedrohliche Reaktion, studieren und archivieren sie …
SCHNEIDER: Weil ich das ernst nehme, daraus Rückschlüsse ziehe und Sicherheitsvorkehrungen treffe. Die IP-Adressen und auch Anrufe werden gespeichert. Jeder einzelne lässt sich zurückverfolgen. Bei solchen Todesdrohungen bleibt mir doch nichts übrig, als auf der Hut zu sein. Ich überlege ernsthaft, hier in Rheydt unterzutauchen. Bisher hatte ich gute Arbeitsbedingungen. Sollte ich sie eines Tages nicht mehr haben, würde ich mir ein anderes Lager suchen. Ich versuche durch Gespräche die Aggression, den Schrecken und die Dämonisierung aus der Debatte herauszunehmen. Mir geht es darum, zwischen Kunstwerk und Künstler zu differenzieren. Es kommt darauf an, über das Sterben und den Tod rational zu sprechen.
K.WEST: Heiner Bastian warf Ihnen Verrat an der Kunst vor?
SCHNEIDER: Diejenigen, die bisher ein Statement abgaben, wurden meines Erachtens überrumpelt. Sie äußerten sich, ohne wirklich informiert gewesen zu sein. Bastian unterschrieb einen an mich adressierten Brief mit ›Mein Freund‹. Ich habe in seinem Bett übernachten dürfen, und er betonte, ich sei nach Wim Wenders der Zweite, der dieses Privileg genossen habe. Wenn natürlich Reporter bei mir in der Mülltonne nach Leichenteilen suchen und die Nachbarn verschrecken, was für mich an Volksverhetzung grenzt, wenn es heißt, Gregor Schneider wolle öffentlich Menschen sterben lassen, dann verstehe ich allerdings die Empörung. Bastian sprach von Verrat an der Kunst, das ein legitimes Statement, und Kritik ist etwas Wunderbares. Aber es darf nicht so weit gehen, dass in Zeitungen Gewaltaufrufe toleriert werden. Was man mir unterstellt, klingt, als würde ich mit geladener Pistole Menschen zwingen wollen, in meinen Räumen zu sterben, oder als hätte ich die Absicht, Hilfe zu unterlassen. Den einzigen Vorwurf, den man mir wirklich machen kann, ist der, dass ich für die Freiheit der Selbstbestimmtheit eintrete. Ich erzwinge nichts. Was sollte man dagegen einwenden, wo doch der Wunsch des Sterbenden und seiner Angehörigen oberste Priorität hat?
K.WEST: Geht es nicht darum, das Sterben zum Kunstwerk zu erheben?
SCHNEIDER: Ich halte es für legitim, wenn jemand das Leben zum Kunstwerk und damit auch den Tod und das Sterben zu einem solchen erklärt. Wenn jemand von der Kunst des Sterbens spricht, ist das legitim. Ich selbst habe das aber nicht gesagt. Der Kunstraum kann die nötige Würde schaffen, um das Sterben und den Tod auch öffentlich würdevoll sichtbar zu machen. //