Wohin mit den »Nibelungen«, diesem schwer abbaubaren Schadstoff deutscher Geschichte, dessen Gift Blut und Boden belastet? Im Schauspielhaus Wuppertal verfrachten ihn Kathrin Sievers (Regie) und Annette Wolf (Ausstattung) auf eine Schrotthalde, die mit ihrem exponierten Auto-wrack aussieht, als habe Fluxus-Mann Wolf Vostell eines seiner Objekte aufgetürmt. Die Nibelungen als Zivilisationsmüll. Wie erzählt man die Mär aus alter Zeit? Karin Beier setzt in Köln die Sage als Allgemeingut voraus und teilt nur noch Stichworte mit. In Wuppertal bedarf es der Langfassung und höheren Einsatzes, um das müde Parkett zu ermuntern. Ein Animateur muss her: Siegfried von Xanten (Frederic Leberle), ein Alleinunterhalter, flott wie Kai Pflaume, der seine Heldentaten mit Hallo zum Abenteuer
Touristenklasse trivialisiert und die Antwort darauf weiß, wie man Millionär wird. Seiner naiv penetranten Charme-Offensive erliegen auch die Burgunden. Es müsste ein Verbot für unsere Bühnen und Schauspieler ergehen, die das Tragen von Uniform- und Ledermänteln betrifft, zumal sie erst recht fehl am Platze in einem königlich-bürgerlichen Haushalt wie dem Wormser sind, wo ein Mann seine Frau »Mäuschen« nennt. Die Dynastie wurde längst von der Managerkrankheit befallen. Bestes Beispiel: Hagen von Tronje, den der junge Henning Heup im Business-Look nicht zum Dunkelmann verfinstert, sondern ihm einen pragmatisch-sympathischen und – gegenüber den als komplette Idioten vorgeführten drei Königsbrüdern – klugen Kopf gibt. Intelligenzbestie hieß das bei den Nazis.
Tronjes/Heups einziger Widerpart im Stück – und in der Aufführung – ist Kriemhild. Der quietschvergnügten Braut, die der Rivalin Brunhild (in eine Kabarett-Nummer getrieben und ein ziemlicher Totalausfall) an der Waschmaschine den Rang streitig macht und überdies die Bedienungsanleitung für das Küchengerät besser beherrscht, möchte man die Rächerin und Weltenvernichterin nicht zutrauen. Doch An Kuohn wächst nach Siegfrieds Tod zur mythischen Größe. Im zweiten Teil muss jede Inszenierung Farbe bekennen, an Etzels Hof erleben die meisten ihr Stalingrad. Alle Ausweichmanöver, Finten und albernen Scharaden, die auch Sievers während drei Stunden anwendet, nützen da nichts. Der Untergang (hier stolpert schon Hebbel) lässt sich mit Psychologie nicht beikommen. Am ehesten ist es Grand Opéra. Wuppertal versucht das Kammerspiel, mit allen Defiziten der reduzierten Fassung, aber auch mit der Befähigung zum Konzentrat. // AWI