Katharina Thalbach, eine der Lebensgefährtinnen des Schriftstellers Thomas Brasch (1946–2001), hat zusammen mit einem Dramaturgen der Kölner Oper »Rotter« zum Libretto verdichtet (wobei die Reime teilweise unsäglich sind). Braschs Schauspiel, uraufgeführt 1977 in Stuttgart, rechnet mit einem resistenten Typ des deutschen Normalbürgers (und dem eigenen Vater) ab. Ein am Ende der Weimarer Republik deklassierter Metzgerlehrling stößt zur »Bewegung«, beteiligt sich an der Plünderung eines jüdischen Geschäfts, zieht mit der Wehrmacht in den Vernichtungskrieg, hat mehr Glück als Verstand beim »Zusammenbruch«, nimmt am Aufbau der DDR, der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni und am industriellen Aufschwung der Planwirtschaft teil. Bei solchem Aktivismus verstockt und verendet die nie richtig gut laufende Ehe des Karl Rotter (gebührend modulationsfähig: Hans-Georg Priese) mit Elisabeth (in allen Stimm- und Lebenslagen präsent: Regina Richter). Zumal der frühere Liebhaber, der Anarchist Lackner (bei Albert Bonnema stimmlich und darstellerisch ein ganzer Kerl!), als Gegenstück zum konformen Rotter weiter umhergeistert. Der Kölner Dirigent Hermann Bäumer engagiert sich umsichtig für die flink geschriebenen, mit teils süffiger, strukturell überwiegend tonaler Filmmusik unterfütterten zwölf Szenen.
Die Regisseurin rangiert die Bilder-Folge auf dem Bahnhof der deutschen Geschichte: Über drei Gleisen und unter den Bögen der Stahlkonstruktion leuchtet etwas Abglanz und notgeschlachtetes Elend der Goldenen Zwanziger. Dazu ein Viehwaggon (man ahnt schon wofür …). Das Arrange-ment der geschäftig erfüllten Stationen funktioniert nach der Aufbereitungstechnik und Filmästhetik eines Guido Knopp: Pogrom, hastige Hochzeit, Aufbruch an die Ostfront, letzte Gefechte. Die Bahnhofskuppel weitet sich dann zum Zeittunnel für das nicht unfallfreie sozialistische Modell. Da finden sich in Text und Inszenierung derb-komische Momente, wenn etwa Rotter von einer Maurerbrigade in einen Schornstein gesperrt wird, aus diesem oben rausschaut und so »historischen Überblick« gewinnt.
Hat aber diese ordinäre Familiengeschichte, halb Trittbrettfahrt der Holo-caust-Industrie, halb wohlwollende DDR-Aufbaukritik, so dick aufgetragene Musik-Sauce nötig, muss der Sound so unsäglich anachronistisch ausfallen? Torsten Raschs Musik-Kompilat ist so etwas wie Siegfried-Matthus-Nach-folge: Weder trifft die Partitur das für die jeweilige Zeitphase Beispielhafte, noch etwas, das sich auf Höhe der Gegenwart bewegt. // REININGHAUS