Draußen sieht es so richtig nach Großstadt aus. Gegenüber ein Discountmarkt, Ramsch-Läden mit bunt glitzernden Schaufensterauslagen. Ein paar Schritte die Straße runter liegt der Worringer Platz, das Kebap- Zentrum der Stadt, in anderer Richtung und fast schon in Blickweite aber auch der Hentrich- Bau des Malkastens, in dem einer der ältesten Künstlervereine Deutschlands residiert – und eine der feinsten Bars. Drinnen, in ausgeräumten weiß getünchten Räumen, die der Besucher über einen unspektakulären Hinterhof erreicht, fängt dann wieder jenes Düsseldorf an, zu dem Julia Stoschek gehört.
Hier ist es schön. »Sammlung Julia Stoschek« steht auf dem Klingelschild. Die junge Frau, die auf diesen Namen hört und hier Kunst lagert, trägt auch heute wieder hochhackige Schuhe. Das soll an dieser Stelle selbstverständlich nicht übergangen werden, weil es im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Unternehmer-Tochter aus Coburg häufig zu lesen ist. Als manifestester Hinweis auf ihre Sonderrolle unter denjenigen, die sich und die Nachwelt großzügig mit Kunst beschenken.
Das sind in der Regel ältere Männer in edlem Tuch, die selten in derartigen Schuhen anzutreffen sind. Da ist man dann natürlich dankbar für einen Hauch von jugendlicher Extravaganz. Julia Stoschek also ist, so wurde im letzten Jahr aus Berlin vermeldet, »die Kunstsammlerin mit Röhrenjeans und Stilettos «.
Gerade mal 30 Jahre alt, verfügt Stoschek über ausreichend finanzielle Mittel, um allein schon deshalb ein gern gesehener Gast in den Galerien nicht nur in Deutschland sein zu können. Dabei hat sie erst 2002 diesen delikaten Marktplatz betreten, auf dem ein locker gehandhabtes Scheckbuch in der allgemeinen Vorstellung viel, aber – so sagt sie – nicht alles bewegen kann. »Der Kunstbereich ist sehr subtil. Es gibt wunderbare Arbeiten, die sie für kein Geld der Welt erwerben können. Zumindest nicht auf dem first market«. Die von Thomas Demand zum Beispiel. Wer schon mal versucht hat, einen Demand zu kaufen, der weiß, wie schwierig das ist. Spätestens seit der Ausstellung, die das MoMA in diesem Frühjahr dem in Berlin lebenden Künstler widmete, ist dessen Name auch außerhalb der kleinen mit zeitgenössischer Kunst beschäftigten Gemeinde bekannt. Da es jede Menge gut beleumundeter Interessenten auf einer ziemlich langen Warteliste für Demand-Kunst gibt, bedurfte es mehrerer Telefonate, eines »authentischen Auftretens«, guter Kontakte – »Ich kenne Thomas Demand ja persönlich« – und reichlich Beharrlichkeit, bis dessen Galerie diesen riesigen Holzkasten auf den Weg brachte, der nun mit all den anderen Werken bekannter und weniger bekannter Künstler im Lager darauf wartet, ausgepackt zu werden.
Damit die Kunst bald aus der Kiste geholt werden kann, hat Julia Stoschek unlängst in Oberkassel ein historisches Fabrikgebäude erworben und nun eine renovierungsbedürftige Adresse unter den allerersten in Düsseldorf.
Weniger Discountmärkte, dafür aber mehr Platz: 3500 Quadratmeter bietet das Areal, großzügig genug für eine Wohnung unter dem Dach und Ausstellungsräume für die Sammlung unten. Das ist auch ein Bekenntnis zum Rheinland und dessen großer Sammlertradition. Wenn Julia Stoschek über dieses bis 2007 zu realisierende Bauvorhaben spricht, nennt sie es ihre »Vision«: sich weiträumig mit Kunst zu umgeben, auch in den privaten Räumen, und diese nach Voranmeldung und zu besonderen Anlässen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – »Aber nur geführt!« Sie wird dann, das lässt sich jetzt schon absehen, einiges zu zeigen haben. In der kurzen Zeit, in der Stoschek nun schon der zeitgenössischen Kunst hinterher reist, Künstler in Ateliers aufsucht, um sich neueste Arbeiten zeigen zu lassen, über Messen schlendert und Galerien durchstöbert, hat sie 80 Arbeiten zusammengetragen: Katharina Sieverding, Marina Abramovic, Doug Aitken, Candida Höfer und und und. Im Schnitt heißt das: eine auszupackende Kiste etwa alle zehn Tage. Doch das ist erst der Anfang eines Lebensprojektes.
Daran lässt Julia Stoschek keinen Zweifel, als wäre es nicht weiter außergewöhnlich, dass sich da jemand mit 27 entschließt, mal eben Sammlerin zu werden. »Die nächsten dreißig Jahre werden spannend. Dann bin ich sechzig und hoffe, bis dahin etwas Ordentliches aufgebaut zu haben«. Dabei bewegt sie sich ästhetisch auf eher ungesichertem Terrain, richtet sich ihr Augenmerk doch momentan hauptsächlich auf die »Neuen Medien«, weil das die »Ausdrucksform« ihrer Generation sei, sie sich damit identifizieren könne und ihr dabei zugleich »viel Assoziationsfreiheit« gelassen werde.
In der Sprache der Firmengruppe Brose, die aus dem von ihrem Urgroßvater Max Brose 1908 gegründeten Handelshaus für Automobilteile und Flugzeugmaterial hervorgegangen ist, heißt eine solche Investition im Vertrauen auf die Zukunft: »Innovationsfähigkeit «. Damit erwirtschaftet das international tätige Unternehmen einen üppigen Jahresumsatz, an dem Julia Stoschek als Gesellschafterin beteiligt ist. Was sie in die alles in allem wohl doch eher angenehme Verlegenheit bringt, der Angabe einer Berufsbezeichnung mit souveränem Charme nicht obliegen zu müssen. Schwierige Frage. »Ich fördere Kunst, ich sammele, ich bin Philanthropin und Gesellschafterin eines Familienunternehmens«.
Unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ließe sich Stoscheks »Einkommen« sicherlich Gewinn bringender anlegen, als etwa Installationen zu kaufen, bei denen sich wegen ihrer Immaterialität die Frage gar nicht erst stellt, ob sie mit der Farbe der Polstergarnitur harmonieren. Auch kann man sich gut vorstellen, dass die Familie, die bislang mit so handfesten Dingen wie elektrischen Fensterhebern und ebensolcher stufenlosen Sitzverstellung in Zusammenhang gebracht wird, von der professionalisierten Kunstzugewandtheit der Tochter zunächst ein wenig irritiert gewesen sein dürfte. Plötzlich interessiert sich das Kind für ein »realtime«-Video von Paul Pfeiffer namens »Empire«, das eine Wespe ungekürzt über drei Monate beim Nestbau filmt. Oder es fördert mit dem von ihm gegründeten »Projekt JUST« die junge Künstlerin Alex Müller, die die Fenster der eigens dafür zur Verfügung gestellten, zur Galerie umfunktionierten Büroräume mit exquisiter Sicht auf den Rheinpark bis obenhin mit Erbsen zuschüttet und Pfefferminze unter die Decke hängt.
»Wie kann so etwas passieren«? Das haben sie ihre Eltern gefragt, die sich dem Wunsch der Tochter, die Leidenschaft zum Lebensinhalt zu machen, aber nicht entgegengestellt haben. Nur etwas Solides – ein BWL-Studium in Bamberg – sollte es aber bitte vorher sein. Der Tochter war ohnehin von Anfang an klar, dass sie sich nach dem Abschluss ganz der Kunst widmen würde, ohne diese als Spekulationsobjekt zu missverstehen. Wenngleich der Aspekt der Wertsteigerung natürlich zu den Spielregeln des Kunstmarktes dazugehört.
Solche Erwägungen spielen bei Sammlern aber selten eine Rolle. Zumindest sagen sie das. Doch wenn Julia Stoschek derlei Motive von sich weist, hat dies wie so vieles, was sie über ihre Erfahrungen mit dem Kunstmarkt erzählt, eine so auffällige Unbekümmertheit, dass auch misstrauische Beobachter ihr glauben möchten. Das für sie selbstverständliche, wenngleich auf die Zukunft gerichtete Maßnehmen an den großen Sammlungen und Sammlerinnen, die Vorbehaltlosigkeit, mit der sie über ihre Erfahrungen und das bislang geknüpfte Netzwerk spricht, genauso wie das Offenlegen ihrer Ambitionen – all das lässt vermuten, dass es ihr dabei auch um perfektes Aufgehen in einer Rolle geht, die anzunehmen auch deshalb eine Herausforderung darstellt, weil sie in ihrem Fall nicht ins Repertoire der Unternehmerfamilie gehört. Die Geschwindigkeit, mit der Stoschek den Aufbau ihrer Sammlung vorantreibt, kann wohl nur verstehen, wer den Nachsatz hört, den sie über ihr Elternhaus sagt: »Ich habe das Glück, sehr tolerante Eltern zu haben, die allerdings auch sehr anspruchsvoll sind«.
Wer sich mit solch einem zielstrebigen Tempo in der Szene als Sammlerin bekannt macht, muss damit rechnen, dass auf der anderen Seite, der der Produzenten und Zwischenhändler, Begehrlichkeiten geweckt werden. Denen tritt Julia Stoschek mit offensivem Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen entgegen: »Egal, wo ich hinkomme, die Leute sind freundlich zu mir. Sie freuen sich, dass sich ein junger Mensch für Kunst interessiert«. Diese Freundlichkeit ließe sich natürlich auch anders begründen.
Schließlich stellen Galerien Kunst nicht deshalb aus, damit sie interesseloses Wohlgefallen erzeugt. Egal, was Julia Stoschek zurzeit erfreut, ist: Die Kunst sucht sie. Zwar ist es noch nicht so weit gekommen, dass man ihr wie Peggy Guggenheim morgens Bilder ans Bett bringt. Ihren 30. Geburtstag hat sie aber schon während der Biennale in einem venezianischen Palazzo gefeiert. Stetig steigt die Zahl der Einladungen aus aller Welt, auch melden sich Künstler, wenn sie etwas Neues für sie haben. »Ich bin in der großen Familie gut aufgenommen worden. Als ich vor zwei Jahren über das »Art Forum Berlin« gelaufen bin, kannte ich keine Galerie und wenig Leute. Wenn ich jetzt wieder da bin, dann werde ich viele bekannte Menschen antreffen«.
Nicht vergessen werden sollte dabei, dass Stoschek mit der betriebswirtschaftlichen Seite des Sammelns qua Studium bestens vertraut ist und sie sich auf das fundamentalste Gesetz der Marktwirtschaft berufen kann, wenn sie sagt: »Gezwungen werden kann ich nicht, etwas zu kaufen! Ich bin Manns genug, mir nichts aufschwatzen zu lassen«.
Dennoch hat ihre Beschäftigung mit der Kunst viel mit Kommunikation und Auseinandersetzung zu tun. Erworbene Werke zeigen, darüber sprechen, sich gemeinsam mit anderen »reinarbeiten«. Wichtig sei ihr, dass es immer wieder Neues zu entdecken gebe, weshalb sie »skulpturale und installative Geschichten« bevorzuge. Denn die verändern und bewegen sich. In der Hauptstadt, Beisheim Center am Potsdamer Platz, im 15. Stockwerk hoch über der Stadt, hat sie dafür eigens eine – wie sie es nennt – »Repräsentanz « eröffnet, in der sie gelegentlich zum Kunstgucken einlädt, auch, »um einen Raum in Berlin zu haben«.
Als Stoschek im letzten Jahr ihre Aufnahme ins Direktoren-Board der KunstWerke Berlin – einer der wohl aufregendsten Orte für zeitgenössische Kunst in Deutschland – feierte, war hinterher auf den Berliner »Leben- Seiten« der WELT zu lesen, dass sie keinen schlechten Start in der Hauptstadt hingelegt hätte. Auch in dieser Gesellschaft ist Julia Stoschek angekommen. Womit wir wieder bei den Stilettos wären. Die, so hat sie der Reporterin zu Protokoll gegeben, tauscht sie gegen rosafarbene Turnschuhe ein, wenn sie sich auf die Suche für ihre Sammlung macht.
»So viel Pop in der Kunst muss sein«.