Interview: Guido Fischer
Als »entartete Musik« hatten die Nationalsozialisten im Mai 1938 in einer Düsseldorfer Propaganda-Ausstellung »undeutsche« Komponisten wie Paul Hindemith, Arnold Schönberg, Igor Strawinsky und Kurt Weill, »jüdische Operetten« und »Niggerjazz« an den Pranger gestellt. 1988 erinnerten der Musikwissenschaftler Albrecht Dümling und der damalige Intendant der Düsseldorfer Symphoniker, Peter Girth, an die Schau »Entartete Musik«. Eine nun von Dümling erarbeitete Neufassung der damaligen Präsentation, die in Kooperation zwischen der Tonhalle und der Berliner Philharmonie entstand, ist jetzt unter dem Titel »Das verdächtige Saxophon – Entartete Musik im NS-Staat« zu sehen. Guido Fischer sprach mit dem Kurator Albrecht Dümling //
K.WEST: Vor genau zwei Jahrzehnten hatten Sie, Herr Dümling, die Ausstellung »Entartete Musik« rekonstruiert und damit Komponisten und Werke wieder ins Bewusstsein gebracht, die nahezu in Vergessenheit geraten waren. Wie hat sich seitdem überhaupt die Rezeption der einst verfemten Musik verändert?
DÜMLING: Als 1988 unsere Ausstellung gezeigt wurde, war das noch ein ziemlich neues Thema. Man war der Meinung, dass die Musik im »Dritten Reich« im Gegensatz zur Literatur und Malerei noch ungeschoren davon gekommen sei. Das hat sich durch die Ausstellung sehr geändert. Was man allein an der starken Resonanz festmachen konnte. Vor der Tonhalle gab es richtige Warteschlangen. Da war echter Nachholbedarf. Die Ausstellung wanderte danach weltweit in über 40 Städte, stets verbunden mit Konzerten. Mittlerweile wurden selbst zahlreiche Filme zur »Entarteten Musik« produziert, zu Wilhelm Furtwängler, zur Musik in Theresienstadt … So weiß man inzwischen, dass auch in der Musik Verfolgung stattgefunden hat. Es ist nicht mehr die ganz große Sensation.
K.WEST: 1988 war eben noch längst nicht zu ahnen, dass etwa einmal Anne-Sophie Mutter das Violinkonzert des diffamierten Komponisten Erich Wolfgang Korngold spielen würde …
DÜMLING: Auf keinen Fall konnte man zu dem Zeitpunkt mit dieser Art Korngold-Renaissance rechnen. Es hat sich erfreulicherweise sehr viel getan. Mittlerweile haben Komponisten wie Viktor Ullmann und Erwin Schulhoff, die noch als Geheimtipps galten, im Konzertleben wieder Fuß gefasst. Oder Walter Braunfels mit seiner Oper »Die Vögel«.
K.WEST: Wie sind Sie selbst auf die Propaganda-Ausstellung von 1938 aufmerksam geworden?
DÜMLING: Unser Projekt ist eher durch Zufall zustande gekommen. Ich kannte als Kritiker des Berliner Tagesspiegel Peter Girth, den Intendanten der Berliner Philharmoniker. Girth verließ dann im Zuge der Streitigkeiten zwischen Karajan und dem Orchester wegen der Klarinettistin Sabine Meyer Berlin und wurde Intendant in Düsseldorf. Da er wusste, dass ich mich mit der Musik der NS-Zeit beschäftigte, bat er mich, für die Düsseldorfer Symphoniker eine Konzertreihe zu der 1987 gezeigten Düsseldorfer Ausstellung »Entartete Kunst« zu entwerfen. Dabei bin ich auf die Ausstellung von 1938 und auf die Reichsmusiktage gestoßen. Girth, der von der Idee einer Rekonstruktion begeistert war, aber zunächst kein Geld dafür erhielt, fand auf eigene Faust Sponsoren – die jedoch nicht aus Düsseldorf kamen, sondern vor allem aus der Schweiz. Sonst wäre das Projekt nicht möglich gewesen.
K.WEST: Gab es 1938 anlässlich dieser ideologischen Demonstration eine Art Manifest?
DÜMLING: Man muss wissen, dass der Begriff »entartet« damals relativ unüblich war. Von 1933 bis 1936 sprach man eher von »kulturbolschewistischer Kunst« oder »Systemkunst«. Goebbels hat in der Vorbereitung zur Ausstellung von »Verfallskunst« gesprochen. Die Vokabel »entartet« tauchte erst im letzten Moment auf, um die Rassenthematik in den Mittelpunkt zu stellen. Der Staatsrat Hans Severus Ziegler, der damals das Konzept besorgte, hat den Begriff einfach von der Münchner Kunstausstellung übernommen. Eine offizielle staatliche Erklärung gibt es nicht.
K.WEST: Die Ausstellung »Entartete Musik« war überraschenderweise kein von den Parteispitzen abgesegnetes Projekt …
DÜMLING: Das ist auch in meiner neuen Fassung dokumentiert. Die Ausstellung war eher eine Privatinitiative von Staatsrat Ziegler. Worauf schon der Musikwissenschaftler Fred K. Prieberg hingewiesen hat, stand Ziegler 1935 unter dem Vorwurf der Homosexualität. Um sich zu rechtfertigen, ging er in die Vorwärtsverteidigung, indem er andere, die Musiker, diskreditierte und angriff. Hinter den Kulissen gab es aber durchaus Proteste. Der Präsident der Reichsmusikkammer, Peter Raabe, war vehement gegen die Ausstellung. Selbst Goebbels sorgte dafür, dass über sie längst nicht so ausführlich berichtet wurde wie über die Münchner »Entartete Kunst«. Wie in seinen Tagebüchern nachzulesen, ist Goebbels erstaunlicherweise in der Musik zum Opfer seiner eigenen Rassentheorie geworden. So schreibt er, dass »ein Neunmalschlauer festgestellt habe, dass Johann Strauß ein Vierteljude sei«, Goebbels meinte: Wenn da so weiter geforscht würde, bliebe von der deutschen Kunst überhaupt nichts mehr übrig. Deshalb hat er das stoppen und die Ahnenpapiere von Strauß sicherstellen lassen. In dem Zusammenhang ist auch »Das Schwarzwaldmädel« von Leon Jessel interessant – die Lieblingsoperette von Heydrich und Himmler. Beide haben noch 1937 Aufführungen in Bad Kissingen durchgesetzt, obwohl Jessel das war, was man Volljude hieß. In solchen Fällen gab es enorme Widersprüche. Die Nazis bekämpften im Grunde das, was ihnen eigentlich gefiel.
K.WEST: Wie hat sich der Ausstellungsinhalt nun im Vergleich zu 1988 verändert?
DÜMLING: 1988 war ich noch der Meinung, dass es eine offizielle Ausstellung gewesen ist. Es war aber eben eine persönliche Initiative, die von Alfred Rosenberg unterstützt wurde. Es gab diesen Grundsatzstreit zwischen dem Pragmatiker Goebbels und dem Ideologen Rosenberg. Diese Linie mit Ziegler, Rosenberg und natürlich auch Hitler ist jetzt stärker profiliert. Auch die Rolle des Jazz wie die der »jüdischen Operette« wird stärker belichtet. Die Polemik gegen die Schwarzen, das Fremdartige, den Jazz stehen im Mittelpunkt. Weshalb der Titel entsprechend gewählt wurde. Auf dem Plakat ist der Saxophon spielende Jonny aus Kreneks Oper »Jonny spielt auf« zu sehen. Das Saxophon galt als »Neger-Instrument«. Wobei es damals, was kaum bekannt ist, gleichfalls als »Juden-Instrument« bezeichnet wurde. So kam es schon 1933 dazu, dass Saxophonisten wie Sigurd Raschèr Auftrittsverbot erhielten, nur wegen ihres Instruments. Eine Neuheit in der Ausstellung mit ihren rund 80 Exponaten sind zudem die 14 Klangstationen mit den Audio-Guides. So kann man Original-Töne, etwa von Friedelind Wagner hören, der Enkelin Richard Wagners. Sie hatte 1943 in einer Rede betont, dass Hitlers Politik ganz und gar im Gegensatz zum Willen ihres Großvaters stehen würde.
K.WEST: Gibt es auch Musikerschicksale, die mit der Ausstellung erstmals umfassend gewürdigt werden?
DÜMLING: Da ist zum einen der Pianist Franz Rupp, den ich in New York noch persönlich kennen gelernt habe. Rupp war seinerzeit der Klavierbegleiter von Hitlers Lieblingsbariton Heinrich Schlusnus, wurde aber wegen seiner jüdischen Frau denunziert, worauf er Schlusnus nicht mehr begleiten durfte. Der große Geiger Fritz Kreisler lud ihn ein, ihn auf Auslandstourneen zu begleiten. Rupp übersiedelte schließlich in die USA, wo er Hauptpianist der großen Sängerin Marion Anderson wurde. Sie war 1955 die erste Schwarze, die in der Met sang. Des weiteren wird an Herbert Zipper erinnert, Mitstudent von Herbert von Karajan und später auch Dirigent in Düsseldorf. Als österreichischer Jude wurde er nach Dachau deportiert, wo er das Dachau-Lied komponierte. 1939 konnte er auf die Philippinen emigrieren. Zipper hat enorm viel erreicht für das Musikleben in Asien, vor allem in China. In den USA ist er eine der großen Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Musikerziehung.
K.WEST: Welche Quellen sind für Ihre Forschungsarbeit wichtig? Sind sie weiterhin nur in den Archiven in Europa und den USA oder mittlerweile auch in den osteuropäischen Ländern zu finden?
DÜMLING: Aus Osteuropa kommt wenig. Dennoch, dem Ausstellungskatalog liegt eine CD mit einem historischen Dokument bei, das in tschechischen Rundfunkarchiven aufgefunden wurde. Es enthält die gesamte scheußliche Eröffnungsrede, die Ziegler 1938 in Düsseldorf hielt.
Düsseldorf, Tonhalle, bis 10. März 2008; www.tonhalle.de