Kräftige Quadrate, eines neben dem anderen. In gleichmäßiger Folge ziehen sie die Wände entlang, im engen Dialog mit der Architektur. Giftgrün, knallrot, leuchtend gelb … Und in jedem dieser Vierecke steckt ein zweites, kleineres: Ein mausgraues im violetten, ein orangerotes im himmelblauen. Die Farbkombinationen sind immer neu und folgen einem leicht fasslichen System. Sol Le-Witt hat es erdacht, zu Ehren eines großen Vorgängers.
Die Ausstellung »Walldrawing for Josef Albers. Seven Colors And All Their Combinations In A Square Within A Square« ehrt den 1888 geborenen Künstler, Theoretiker und Pädagogen Josef Albers just in dessen Heimatstadt Bottrop, wo die weltweit größte öffentliche Sammlung seiner Werken bewahrt wird. Um die 80 Gemälde und rund 250 Grafiken hatte Albers’ Witwe der Stadt Anfang der 80er Jahre vermacht mit der Auflage, alles in einem eigenen Museum unterzubringen. Vorübergehend pausieren die Albers- Werke dort allerdings im Magazin – LeWitts Walldrawing beansprucht den Raum komplett.
Es ist das erste Mal überhaupt, dass der Amerikaner das Quadrat zur Grundform einer Arbeit macht. Realisiert wurde sie in Bottrop von Assistenten, die überall auf der Welt die Ideen des Meisters umsetzen. Seit den späten 60er Jahren haben sie allein über 500 solcher Malereien oder Zeichnungen auf Zeit an Museums- und Galeriewände gebracht.
Denn die Ausführung ist für LeWitt eine »rein mechanische Angelegenheit«. Alle Pläne und Entscheidungen würden im Voraus erledigt. Nach dem Gastspiel verschwindet LeWitts Einfall wieder unter weißer Farbe. Dann wird sich der Hausherr wieder ausbreiten dürfen und einen gründlich Blick über sein Schaffen ermöglichen. Von den frühen Druckgrafiken, die vor allem Landschaften und Gebäude der westfälischen Künstlerheimat wiedergeben, über die Glas-Arbeiten aus Albers’ Zeit am Bauhaus führt der Weg hin zu den Werken, die in den USA entstanden. Den größten Teil macht die berühmte Sequenz »Hommage to the Square« aus. In diesen Staffelungen unterschiedlich getönter Quadrate erprobte Albers ab 1949 über 20 Jahre lang die Wechselwir kung von Farben in einer Vielzahl von Variationen.
»Quadrat«, so heißt auch das Kombimuseum, in dem Albers Kunst aus allen Schaffensphasen in direkter Nachbarschaft zu urzeitlichen Funden – Mammutgerippen, Faustkeilen oder Tierspuren in Lehm – untergebracht ist. Außerdem wird im »Quadrat« noch Bottrops Ortsgeschichte aufgerollt. Besonderes Gewicht gewinnt dabei seine rasante Entwicklung zur Bergbaustadt ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Inzwischen hat der »Strukturwandel« auch in Bottrop Einzug gehalten: mit dem »Alpincenter« etwa, das sich als längste »Indoor Skihalle« der Welt wie ein grünbrauner Wurm eine Kohlenhalde hinab schlängelt.
Trotz solcher Errungenschaften jüngerer Tage bleibt das alte Ruhrgebiet überall spürbar auf dem Weg durch die Stadt zum »Quadrat «. Er ist bestens ausgewiesen. Die Adresse Stadtgarten 20 klingt nach bevorzugter Grünlage, doch so viel Natur hätte man diesem Ort denn doch nicht zugetraut. »Bottrop, allein schon der Name hat nie besonderen Charme ausgestrahlt«, bemerkt auch Museumsdirektor Heinz Liesbrock. Das Image der Arbeiterstadt herrsche vor, umso größer sei die Überraschung: Begeistert, fast hingerissen erlebt er immer wieder die Besucher seines Instituts.
Umgeben von Bäumen und Büschen liegen die Kuben aus Glas und Stahl auf der Wiese, dazwischen schlängelt sich ein Bächlein mit Steg. Bottrops Stadtbaumeister Bernhard Küppers hat dieses formschöne, dabei funktionale, allseits transparente und betont schlichte Ensemble konzipiert und 1976 die ersten drei Pavillons fertig gestellt. Für die geschenkten Albers-Stücke fügte er einen vierten, größeren hinzu und schlug als Verbindung eine Brücke. Auch das landschaftliche Drumherum hat Küppers damals neu gestaltet mit Hügel, Senken, geschwungenen Wegen und Wasserflächen. Ein Naherholungsziel – für Hundehalter, Dauerläufer und Spaziergänger, die zum Gruppenporträt vor Museumspavillons posieren.
»Es gibt hier in der Stadt einen ganz ungewöhnlichen Stolz auf dieses Haus«, sagt Liesbrock. »Das ist etwas, was man von den meisten kommunalen Museen heute nicht mehr sagen kann.« Der gebürtige Duisburger leitete lange den Westfälischen Kunstverein in Münster, bevor er vor zweieinhalb Jahren ans »Quadrat« kam, um die Nachfolge von Ulrich Schumacher anzutreten. Der hatte das Museum ein Vierteljahrhundert lang geführt und sich dabei intensiv um Albers’ konstruktiv-konkrete Künstlerkollegen gekümmert. Neben den Instituten in Ludwigshafen, Ingolstadt und Zürich ist auch Bottrop so zu einem Zentrum dieser Kunstrichtung geworden.
Liesbrock hat nun damit begonnen, die museale Arbeit neu auszurichten, sie zu öffnen, den Blick erheblich zu weiten. Und er fühlt sich mit diesem Ansatz bei Albers »sehr gut aufgehoben«. Schließlich habe der Künstler nie irgendeine Stilrichtung gelehrt oder gar gepredigt. Die Kunst sei ihm vor allem wichtig gewesen als Feld, um Wahrnehmungen zu aktivieren und auf diesem Wege einen Zugang zur sichtbaren Welt zu bekommen. Er habe die Vieldeutigkeit der Phänomene entdecken wollen, habe sehen wollen, wie Paradoxien entstehen und sich wieder auflösen.
Nach Anfängen als Volksschullehrer hatte Albers in Berlin, Essen und München Kunst studiert, war dann ans Bauhaus gegangen, wo er später auch unterrichtete. Als die Schule 1933 schließen musste, emigrierte er mit seiner jüdischen Frau, der Textilkünstlerin Anni Albers, in die Vereinigten Staaten, wo er trotz immenser Sprachprobleme seine Lehrtätigkeit sogleich am gerade eröffneten und schon bald legendären Black Mountain College in North Carolina fortsetzen konnte. Albers zog Künstler ganz unterschiedlicher Richtungen in seinen Bann. Willem de Kooning gehörte dazu, ebenso Robert Motherwell. Und Robert Rauschenberg bekannte, Albers sei sein bester Lehrer gewesen. Später wird der Künstler aus Bottrop noch an anderen amerikanischen Universitäten unterrichten. In Theorie wie Praxis bleibt die Eigengesetzlichkeit der Farbe sein zentrales Thema.
»In visueller Wahrnehmung wird eine Farbe beinahe niemals als das gesehen, was sie wirklich ist, das heißt als das, was sie physikalisch ist. Dadurch wird die Farbe zum relativsten Mittel der Kunst«, so schrieb er in seiner 1963 unter dem Titel »Interaction of Color« erstmals veröffentlichten Farbsystematik.
Sie wurde zur Pflichtlektüre für Generationen. »Im Grunde war Albers während dieser Zeit eine Figur in New York, um die kein junger Künstler herumgekommen ist.« So sieht es Liesbrock. Albers’ Wirkung scheint entscheidend, auch wenn sie sich selten auf den ersten Blick erfassen lässt. Donald Judd hat wohl Recht mit der Feststellung, dass »der Einfluss erstklassiger Künstler auf nachfolgende erstklassige Künstler« nicht so direkt sei wie die Kunsthistoriker dächten.Mit einer neuen Ausstellungsreihe erhellt das Museum in Bottrop nun Albers’ Bedeutung für die US-Kunst seit den 50er Jahren, jenseits des Abstrakten Expressionismus.
»Albers im Kontext« bringt den Künstler zusammen mit amerikanischen Kollegen und Nachfahren, die sich wie er um eine Versachlichung des Bildbegriffs bemühten. Als ersten Gast hatte Liesbrock vergangenes Jahr die kürzlich verstorbene New Yorker Malerin Agnes Martin und ihre Werkreihe »The Islands « im Haus – ruhige Bilder, die mit zarten Variationen von Weiß umgehen. Der Minimal- und Conceptkünstler Sol LeWitt ist nun die Nummer zwei im »Kontext« – der habe geradezu enthusiastisch auf die Idee reagiert, eine Arbeit speziell für Albers zu schaffen, bemerkt Liesbrock. Noch dazu in einem dem Bottroper Künstler gewidmeten Museum. Spannung verspricht auch das nächste Projekt: Nächstes Jahr will Liesbrock Ellsworth Kelly zum Dialog mit Albers ins »Quadrat« einladen.//
»Sol LeWitt: Walldrawing For Josef Albers« ist bis zum 27. November 2005 zu sehen. Tel.: 02041/29716. www.quadrat-bottrop.de