Dass es diese Ausstellung so gibt, zeigt womöglich bereits ihre Notwendigkeit.Deutschland in den Grenzen von 1990 ist noch nicht bei sich angekommen. Und im Westen, zumal im Treibhaus der alten Bonner Republik, muss der Osten wohl immer noch erklärt werden – als seien es Nachrichten von Mittelerde. Im Foyer der Ausstellung »Nationalschätze – Von Luther zum Bauhaus« in der Bundeskunsthalle wurde auch deshalb eine Landkarte angebracht, deren Legende die Orte verzeichnet, die ihre Reichtümer an den Rhein geschickt haben: von Stralsund im Norden bis Chemnitz im Süden, von Eisenach und Gotha bis Bad Muskau an der Grenze zu Polen. 23 Städte, Museen und Institutionen der neuen Bundesländer, zusammengeschlossen zur Konferenz Nationaler Kultureinrichtungen, haben ihren Teil zu der üppigen Präsentation mit 600 Schaustücken beigetragen.
»Von Luther zum Bauhaus« klingt wie eine folgerichtige, fast zwangsläufige Entwicklung und skizziert nicht bloß eine zeitliche Linie.Die kausale Kette aber existiert nicht, jedenfalls nicht in der nach acht Hauptkapiteln gegliederten Ausstellung. Womit auch gleich ihr Problem benannt wäre: Wir durchwandern ein Sammelsurium schöner und schönster Dinge, die aber ohne innere Verbindung sind. Es sei denn, man erfindet sich hier und da selbst eine. So etwa wenn in dem Goethe als Sammler gewidmeten Kabinett Objekte antiker Herkunft, Plastiken, Zeichnungen, Abgüsse die Marmorbüste des Hausherrn am Frauenplan zu Weimar umstehen, über dessen Jupiter-Kopf (modelliert von Christian Daniel Rauch) hinweg sich zugleich eine Sichtschneise erschließt. Der Dichter und Bewunderer großer Männer schaut aus seinen Sternenaugen einen Saal weiter geradewegs auf Napoleon, gemalt von Paul Delaroche, wie der Imperator 1814 die Nachricht vom Einzug der Verbündeten erfährt. In dieser einen Perspektive mag sich dann eine Epoche zusammenziehen auf eine personale Konstellation.
Bleiben wir im klassischen Bereich. Ein Schiller-Satz, aus einem Brief von 1788, lässt sich über das ganze Unternehmen setzen und wurde von den Kuratoren vielleicht zum Leitwort genommen: »Die Geschichte ist überhaupt nur ein Magazin für meine Phantasie, und die Gegenstände müssen sich gefallen lassen, was sie unter meinen Händen werden.« Die Reformation – auch mit ihrer Verbreitung durch die Buchdruckkunst und ihrer musikalischen Instrumentierung vor allem durch Bach – als Identität stiftendes Datum und Fixpunkt deutscher Nation eröffnet den Parcours. Der Bezug auf das altdeutsche Gepräge – in Dürer-Gravur und mit Wittenberg als geistiger Lebensform – macht auch dann Sinn, wenn man das fatale Finale hinzudenkt, das das Bauhaus und den betrachteten Zeitraum von 500 Jahren beschließt. Mit der Zäsur 1933 begann die Gegenaufklärung und die Gegen-Moderne, begannen zwölf Jahre Tod und Vernichtung, die tausend sein wollten.
Es ist eben auch dieses Doktor-Faustus-Land, das Alt-Nürnberg-Gefühl, der Kyffhäuser- Traum, den die brauen Horden träumten und den sie sich selbst vorgaukelten. Insofern also: Der Anti-Papst Luther muss an den Anfang, hier u.a. im Cranach-Porträt mit Frau Katharina Bora. Oft wurde in jenen finsteren Tagen um 1500 von Sündenfall und Erlösung gepredigt, wirkten Tod und Teufel, nicht nur, wenn im Ablasshandel die Seele aus dem Fegfeuer springen und der Beutel voll Münzen für Rom klingeln sollte. Oh Mensch, gedenke deiner Schuld – das wäre auch ein Leitmotiv gewesen. Der protestantische Bildersturm schuf sich dazu seine eigenen Bilder und komponierte neue Melodien – weniger zur Erbauung denn zur Belehrung. Mit Pauken und Trompeten wurde die feste Burg besungen und bestürmt – auf Deutsch.
Bald aber besann man sich eines anderen, heitereren – der Weltlust. Renaissance und Barock sind (bis ins rosafarbene Rokoko) in Bonn vertreten mit prächtigen Beispielen aus Rüst-, Raritäten- und Kunstkammern, so voll gestopft wie die Zeit es liebte. Luxus und Moden, Wissenschaft und Technik blühen.
Hier windet sich der »Farnesische Stier«, dort schimmern kostbare Arbeits- und Spieltische, bemisst eine »Weltzeituhr« die Kontinente, breitet das Grüne Gewölbe Preziosen und Skurriles aus, schwelgen Dresden, Berlin/ Potsdam und Schwerin in Gemälden und Garnituren, Porzellan und Exotika, strotzt Rubens, siegt Balthasar Permosers »Triumph des Kreuzes« über den mittelalterlichen Triumph des Todes. Die Sammelleidenschaft erweist sich als Tun, das trotz Naturbeschau und Domestizierung weniger der Weltvereinnahmung und mehr der Weltvergewisserung zu dienen scheint.
Mit der Klassik weht uns die weltbürgerliche Absicht an. So viel Aufklärung muss sein, sagten sich auch die Regierenden, sagten sich Anna Amalia in Weimar, Luise Dorothee in Gotha und Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau und schufen ihre Musenhöfe und ihre Gärten und Parks wie in Wörlitz, Branitz und Sanssouci. Da sei auch Frankreich Dank, weshalb in einem Pantheon der Denker neben Kant, Herder, Gluck, Moses Mendelssohn, Wieland und Winckelmann die Messieurs Diderot, Rousseau, Voltaire und die Enzyklopädisten vereinigt sind. Bald darauf wirkt der Marmor gipsern.
Die Romantik des 19. Jahrhunderts und das Biedermeier glotzen im Geniekult mit verklärtem Blick, der Carl Maria von Weber, Liszt und Tieck und der Nibelungen Weh und Ach umflort. Sogar Luther, 1872 von Paul Thumann gemalt, schwingt nun hold und lieblich die Schreibfeder beim Übersetzen der Bibel »in mein geliebtes Deutsch«. Und wäre nicht eine verkarstete Winterlandschaft von Caspar David Friedrich, würde einem nur noch der Heiligenschein der Nazarener und manch ein schimmernder Sonnenuntergang heimleuchten.
Wie ergreifend schlicht dagegen die Sammlung Italienischer Tafelmalerei des 13.bis 15. Jahrhunderts, besonders aus Siena und Florenz, die den Weg von der Spätgotik zur Renaissance weist. Bernhard August von Lindenau (1779-1854) vermachte sie seiner Heimatstadt Altenburg. Zeugnisse bürgerlicher Gesinnung und Großzügigkeit. Und ein Augentrost.
Nach diesem letzten Aufgebot sakraler Kunst stehen wir am Beginn der Moderne.Menzels »Eisenwalzwerk«, um 1900 entstanden und heute beheimatet in der Alten Nationalgalerie, ist ein Schlüsselwerk, das vis à vis zu Rohlfs, Corinth, Beckmann und Slevogt die Welt der Arbeit zum Thema macht und das Soziale in die Wahrnehmung der Kunst rückt.
Da ist die Kollwitz nicht weit; ihr benachbart hängt eine wunderbare Munch-Mappe aus Chemnitz; die deutschen Expressionisten schieben sich nah an den teils als Gegenreaktion sich formenden Jugendstil, auf dessen florale Auswüchse Max Klingers Nietzsche- Büste streng richtend und zürnend schaut.
Der Trieb einer eher wiederum nüchternen Jugendstil-Anmut führt in die letzte Abteilung – ins schlanke, sachliche, klare Bauhaus- Atelier samt Schlemmers Figuren, Klees Flora, Feiningers Zuspitzungen, El Lissitzkys Konstruktionen, den Entwürfen von Breuer und Gropius. 1919 in Weimar gegründet, wollten die Reformer eine bessere Gesellschaft durch die Sensibilisierung für Leben und Wohnen bilden. Ästhetik als Projekt ethischer Vervollkommnung.
Da sind wir wieder in Martin Luthers Sphäre, der dem Volkskörper zu Leibe rückte, wenngleich weniger kunstreich, sondern mit Pech und Schwefel. //
Bis 8. Januar 2006 Katalog, Prestel 25 Euro (im Buchhandel 49 Euro) TEL.: 0228/91-710, www.bundeskunsthalle.de