INTERVIEW: DINA NETZ
Der Schweizer Star-Architekt Peter Zumthor wählt seine Projekte mit großer Sorgfalt aus, es gibt nicht viele Bauten von ihm: Die Thermen in Vals, den Schweizer Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover, das Kunsthaus in Bregenz, und im September eröffnet in Köln das Diözesanmuseum Kolumba – auf mehr als 15 Bauten kommt Zumthor nicht. Sein neuestes Werk darf man deshalb wohl als kleines Wunder bezeichnen: eine Kapelle im Eifel-Ort Mechernich-Wachendorf, errichtet auf einem Feld des 70-jährigen Landwirts Hermann-Josef Scheidtweiler. Das Bauwerk hat natürlich wenig mit einer konventionellen Feldkapelle gemein: Es ist ein fensterloser, fünfeckiger Betonbau, der, je nach Perspektive, Assoziationen wie Wachtturm, Silo oder Hochbunker auslöst. Innen eröffnet sich unerwartet ein runder, dunkler Raum, eine Form, die das Gerüst aus 120 Fichtenstämmen ergab. Das Holz wurde über zwei Wochen hin unter Luftverschluss abgebrannt, und nun vermitteln die rußigen Wände die Atmosphäre einer Einsiedler-Hütte mit offener Feuerstelle. Licht fällt durch stahlgefasste und mit Glaspfropfen gefüllte Löcher in den Wänden und durch eine Öffnung in der Decke. In der Kapelle steht nur eine hölzerne Bank, im Lichtschacht hängt das Meditationszeichen von Bruder Klaus – Nikolaus von Flüe –, dem die Kapelle gewidmet ist: ein dreistrahliges Rad-Symbol.
K.WEST: Das ist ja eine ziemlich verrückte Geschichte: Ein Eifelbauer gewinnt einen Schweizer Star-Architekten für seine Feldkapelle. Wie kamen Sie und Herr Scheidtweiler zusammen?
ZUMTHOR: Nachdem ich den Wettbewerb für das Kölner Diözesanmuseum Kolumba gewonnen hatte, haben die Scheidtweilers darüber in der Zeitung gelesen und sich gedacht: Schweizer Architekt, katholisch, das wär’ doch was! Denn sie wollten eine Feldkapelle bauen und sie Bruder Klaus widmen, der auch Schweizer war. Ich habe ihnen zurück geschrieben, dass ich nur zeitgenössische Architektur mache und dass sie sich vermutlich das Honorar nicht leisten können. Das störe sie nicht, schrieben sie.
K.WEST: Sie haben sich dann ja für ein »Trinkgeld« auf diesen Bau eingelassen. Wie kam das?
ZUMTHOR: Es hat alles gepasst. Die Scheidtweilers wollten zeitgenössische Architektur, und mit der Zeit ist das gegenseitige Vertrauen gewachsen. Am Anfang, als es noch nicht konkret war, war Herr Scheidtweiler viel skeptischer gegenüber der modernen Architektur. Frau Scheidtweiler war immer dafür. Das hat sich dann geändert, als wir die ersten Muster machten und die Höhe und das Material sichtbar wurden. Da bekam sie Angst: Muss es so groß sein? Muss es Beton sein? Und er wurde immer sicherer. Das ist schön, denn Herr Scheidtweiler hat diese Kapelle aus Dankbarkeit gebaut, dass der Herrgott ihm ein langes Leben geschenkt hat. Und im Übrigen habe ich am Anfang gedacht: Ich mach’ was Kleines, das wird mich nicht viel Zeit kosten. Ich müsste mich natürlich mittlerweile besser kennen. Ich beschreite jeweils neue Wege, arbeite ohne Vorbilder und ich will meine Arbeit gut machen. Und das spielt mir dann einen Streich. So habe ich an der kleinen Kapelle fast so viel wie an dem großen Kolumba gearbeitet.
K.WEST: Gibt es da nicht auch eine Verbindung über Bruder Klaus, dem die Kapelle gewidmet ist?
ZUMTHOR: In der Schweiz wird Bruder Klaus sehr geschätzt und er gefällt mir gut als Figur. Bruder Klaus lebte als Einsiedler in den Bergen. Das 15. Jahrhundert war eine schwierige Zeit für die Kirche, in Rom ging es ziemlich weltlich zu. Damals hatten viele Eremiten, die religiös oder mystisch veranlagt waren, Zulauf vom einfachen Volk. Sie erfüllten ein Bedürfnis, das die Kirche in Rom damals überhaupt nicht abdekken konnte. Deswegen wurde Bruder Klaus auch erst in den 1940er Jahren heilig gesprochen. Man nimmt ihn heute noch als eigenständigen und aufrichtigen Querdenker wahr.
K.WEST: Was genau hat Sie nun für diese Kapelle eingenommen? Sie bekommen ja wahrscheinlich täglich solche privaten Anfragen…
ZUMTHOR: Das Schönste und Wichtigste für mich sind gute Klienten. Ich muss ziemlich aufpassen, dass ich nicht Jahre meines Lebens vergeude mit falschen Aufgaben, umgeben von falschen Leuten. Ob das eine Modeboutique in Paris ist oder die Topographie des Terrors in Berlin. Ich kann das nicht haben, wenn man mich wegen des Namens benutzt. Ich mache ja so etwas wie eine Autoren-Arbeit, deshalb muss ich eine Beziehung zu den Leuten haben. Und ich muss mir auch denken: Da wird was draus. Das sind kultivierte Bauherren, die sind bereit, eine Wegstrecke mit mir zu gehen. Natürlich hat Herr Scheidtweiler sich ein kleines Monument mit einem Satteldach vorgestellt, und das hat eine Nische mit einem Gitter davor. Und hinten drin ist eine Statue oder ein Bild vom Bruder Klaus. Er hat sich nicht zwölf Meter Höhe vorgestellt. Er hat sich auch nicht vorgestellt, dass man hinein kann. Aber ich auch nicht, ich habe auch kein Bild gehabt! Wenn Sie heute für diese besondere Art von Frömmigkeit zweier Privatleute so was machen – fällt mir das nicht im Flugzeug zwischen Tokio und Zürich ein. Das ist ziemlich harte Arbeit. Es war auch deshalb eine gute Zusammenarbeit, weil sie sehr authentisch war. Ich hab ja nicht mit Kommissionen zu tun gehabt, nicht mit Männern, die sich in irgendwelchen Funktionen aufblasen oder die in ihren Funktionen Angst haben und sich hinter Papieren verschanzen. Nicht mit Männern, die dir grün sagen und blau meinen aus politischen Gründen, sondern mit authentischen Personen. Denen sieht man an, was sie denken, und sie sagen’s auch, das ist sehr schön.
K.WEST: Es hat in Wachendorf ein paar erschreckte Reaktionen auf die ungewöhnliche Feldkapelle gegeben. Warum haben Sie diese Höhe und diese kantige Form gewählt?
ZUMTHOR: Ich finde die Landschaft phantastisch mit diesen weichen, lang geschwungenen Linien, »rolling hills« würde man auf Englisch sagen, und diesen Wäldern. Ich musste die Kapelle, wie jedes Gebäude, am Ort festmachen. Es gibt Gebäude, die sich einnisten in eine bestehende Situation, und es gibt andere Gebäude, die den Ort machen. Und die Kapelle ist ein Gebäude, das den Ort macht, das heißt sie ist wie ein großer Baum oder wie ein Schloss auf dem Hügel. Und das bedeutet auch, dass die Leute, die die Landschaft vorher gekannt haben, sagen: Au weia, was ist denn da los? Aber es könnte sein, dass dieselben in zwei bis drei Generationen Unterschriften sammeln würden, wenn man die Kapelle wegnähme.
K.WEST: Weil sie den Ort »macht«, ist die Kapelle auch so groß geworden?
ZUMTHOR: Ja, das braucht eine gewisse Größe. Aber sie soll nicht nur in der Landschaft selbstbewusst dastehen, sondern verschmelzen. Die viel größere Herausforderung war allerdings der Innenraum: ein kleiner Raum zur Meditation, mit dem Thema Himmel und Erde. Sie stehen auf der Erde, aber Sie spüren die Öffnung zum Himmel, das Wetter und das Feuer. All diese Dinge in einem Raum zu versammeln, ohne dass es didaktisch wirkt, das war die Aufgabe.
K.WEST: Wird man durch die Öffnung im Dach nicht nass?
ZUMTHOR: Es regnet rein, aber das Wasser läuft an den Wänden runter. Und das ganze Wasser des Daches in Kapellengrundriss-Größe wird auch durch die Öffnung in die Kapelle hineingeleitet und auf dem Bleiboden gesammelt. An einer bestimmten Stelle bleibt das Wasser liegen wie ein ganz seichter Teich. Es kann aber auch überlaufen und sickert weg. Es ist sehr eindrücklich, auf der kleinen Sitzbank zu sitzen, wenn das Wasser zwölf Meter runterfällt wie in einer Schlucht.
K.WEST: Haben Sie nicht Sorge davor, dass der sakrale Ort, den Sie geschaffen haben, gestört wird durch die Touristen-Ströme, die zum neuesten Zumthor-Bau pilgern?
ZUMTHOR: Ich nehme an, das sei dann zum Guten. Vielleicht muss man sich, wenn man allein sein will, einen Regentag aussuchen oder mit den Scheidtweilers einen späten Termin ausmachen. Ich bin gegen Verbotsschilder. Da gibt’s halt eine Tür mit einem Schlüssel, und die Scheidtweilers werden lernen müssen damit umzugehen. Diesen großen Ansturm hat ja niemand gewollt.