Der Verlust dieses Dichters sei nur mit jenem zu vergleichen, den der Tod Paul Celans bedeutet hat, schrieb Marcel Beyer in seinem Nachruf auf den Freund Thomas Kling, der am 1. April 2005 verstorben war. Schon bevor 1986 dessen erster Band, »Erprobung herzstärkender Mittel«, erschien, war Kling dem rheinischen Lyrik-Publikum durch seine »Neuformulierung der Dichterlesung« ein Begriff. Denn das Schreiben dieses »Poesie Gratwanderers« (Friederike Mayröcker) war von Beginn an auch ein Wiederbelebungsversuch oraler Dichtungstradition. Es waren die Auftritte Klings, die exemplarisch die Zäsur ankündigten, die die Geschichte der deutschen Lyrik in den 80ern prägen sollte. Kling, der seit Mitte der 90er Jahre auf dem Gelände der ehemaligen Raketenstation Hombroich bei Neuss lebte, las nicht einfach nur, er gestaltete Sprach-Räume mit der Stimme. Geradezu stilbildend wirkte der Kling-Sound auf eine Generation von Lyrikern, die – gegen die Befindlichkeitslyrik der 70er Jahre – ein neues Form- und kritisches Sprachbewusstsein ausbildeten.
Wie Stefan George, dem er in seinem kurz vor dem Tod fertig gestellten Band »Auswertung der Flugdaten« einen Essay widmet, in Bingen geboren, verstand Kling sich »als Sondengänger« und seine Arbeit an und mit der Sprache als archäologische Grabung. Das Gedicht brauche, so formulierte Kling im Anschluss an Sigmar Polke, den »schmutzigen Daumen«. »Und unter seinem Nagel darf und muß ein Blutrest sein. Denn: daß das Gedicht sehr wohl, auf diese letztlich dokumentierende Art, die Funktion des (selbstverständlich didaktikfreien) Blutzeugen erfüllen kann, steht für mich weiterhin außer Frage.«
Thomas Kling wäre am 5. Juni 50 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass erinnert das Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut ab dem 3. Juni 2007 mit der Ausstellung »den sprachn das sentimentale abknöpfn« an Leben und Werk. Im Mittelpunkt stehen dabei Gemeinschaftsarbeiten von Kling und seiner Frau, der Malerin und Fotografin Ute Langanky. Begleitend dazu erscheint eine Publikation mit Widmungen von Freunden und Weggefährten. Dieser entnehmen wir die folgende Erinnerung von Christian Döring, dem langjährigen Lektor Klings, gefolgt von einem Ausschnitt aus einer Arbeit von Kling/Langanky. Ihr zugrunde liegt die altenglische Elegie »The Seafarer«, die Ezra Pound einst ins Neuenglische übersetzte. ANK
Zum 1. April 2007
Friedrich von Logau
Des Todes Buchstaben
Deß Todes Anfang zwar bringt mit ein hartes T;
Das Ende zeucht nach sich alsdann ein lindes D;
Das Mittel ist ein O: es ist ein Augenblick,
So kümmt für harte Pein ein immer sanfftes Glück.
Meine Erinnerung hat die Stimme im Ohr, flüsternd lind, aufgerauht hart: »atemtelegramme«. Gedächtnis wird mir zum Speicher der Stimme, jener verlöschenden der letzten Tage des März vor zwei Jahren am Krankenbett, 01 jener des sich so brutal plötzlich ankündigenden Todes, Monate zuvor am Telefon: unvergesslicher Moment, Botschaft des noch unverstandenen Schreckens, Moment unserer lebenslangen Furcht und unseres immerwährenden Nichtwissenwollens. Stimmband, Stimmbruch, Stimm tod: »voice over«.
Vom Stimmkörper wusste er mehr als die meisten. Das leidenschaftliche Verhältnis, das Sprache und Stimme mit dem Gedicht pflegen, hat er unvergleichlich verkörpert. Gegen die dilettierenden Dichter, weil Stümper der Stimmführung, konnte er deshalb so toben. Ohne Anmaßung durfte nur er behaupten: »Die Stimme des Sängers verleiht dem Gedicht seine Autorität«.Seine Stimme, der Tonfall seiner »vokalen Aktion«, war ihm Instrument, seine Lyra, mit ihr hat dieser moderne Sänger den Tonraum geschaffen für das, was nicht mehr in die Sprache passt. Erst die Stimme lässt unhörbare Sprache hörbar werden: »Klinggedichte« (und der Kenner der Barockdichter wusste genießend, dass diese ihre So nette so ›klingend‹ genannt haben). Und wenn Thomas von der verstummenden Stimme noch einmal sprach, dann hat er nicht nur vom eigenen Tod sondern auch vom Tod des Gedichts gesprochen. In seinem »Gesang von der Bronchoskopie«, in seinen letzten Gedichten, hat er sich selbst ganz konsequent zum Vivisekteur seiner Atem-, seiner Stimmorgane gemacht. Ganz ohne Sentimentalität, ganz kühl und »arnikablau«, Patient seiner selbst, schrieb er seinen Abschied vom Gedicht ins Gedicht. Für uns alle ist er noch ein letztes Mal tief ins Bergwerk der Sprache hinuntergestiegen: »Wohinein ins/unvermutete das/liecht sich verliert«.