Als Thomas Mann schrieb, dass der »Standhafte Zinnsoldat im Grunde das Symbol meines Lebens« sei, sagte er damit etwas, was auch auf den Verfasser dieses Märchens zutraf. Hans Christian Andersen selbst war solch ein standhafter Zinnsoldat – erotischen Erschütterungen durch männlichen Reiz ausgesetzt, dem er höchstens in südlichen Gefilden nachgab. Wusste er doch mit Platen, dass, wer die Liebe angeschaut mit Augen, dem Tode schon anheim gegeben sei. Ein Werk aus sublimatorischer Leidenskraft und Leidenschaft. Zum 200. Geburtstag des dänischen Arme-Leute-Sohnes, Glückskindes und ängstlichen Biedermannes zeigt – nach Castorf – auch Johann Kresnik eine Andersen-Version. Der biografisch-fiktionale Alpraum seines Choreographischen Theaters – dirigiert vom doppelgängerischen »Schatten« aus der gleichnamigen Andersen-Erzählung und begleitet vom Rattern eines Zuges, unterwegs in den Tunnel des Unterbewussten – ist im Ganzen etwas plump psychologisch und démodé, aber als bildnerischer Effekt brutal überwältigend. Ein permanenter Erregungs-Zustand, getanzt zur strengen Musik (Kurt Schwertsik) von Klavier und Violine. Im Bonner Opernhaus trippelt ein Schuh-Schattenballett eine Showtreppe herab – Projektionsfläche für die Geschichte in 16 Bildern. Von den Stufen poltern und kullern: Blechgeschirr, Besteck, Erbsen-Kugeln der Prinzessin, Spielzeug und Kinderwagen. Eine riesige Kugel aus Schuhen, roten und anderen, rollt herein, Schwefelhölzchen zündeln, das Eis der Schneekönigin gefriert – und dergleichen Reminiszenzen mehr. Der einer Fruchtblase entsteigende Andersen (vorzüglich: Przemyslaw Kubicki) versagt sich Erfüllung um des Erfolgs willen und der eigenen Lebensruhe. Und wollte doch – wie ein Duett suggeriert – am liebsten von einem großen starken Mann genommen werden. Stattdessen masturbiert er – und dichtet. Lädierter unter Gleichen: Höflinge auf Krücken, Botero- dicke Menschen und zuckende Körper in Pelz und Badedress, bis der von Kierkegaard als »poetische Figur« seiner Lebenslüge geoutete Dichter begraben wird unter Puppen. Um den Abend mit Andersen selbst zu resümieren: »Das Genie ist das Ei, das nach Wärme drängt, zur Befruchtung durch das Glück, sonst wird es ein Windei.« AWI
Im Tal der Puppen
01. Jan. 2006