Deutschland im Jahr 1956, da stand immer noch vieles auf Anfang: Die ersten Soldaten wurden zur Bundeswehr einberufen, in Siersdorf am Niederrhein trafen die ersten 50 Gastarbeiter aus Italien ein, das Fernsehen begann mit der täglichen Ausstrahlung der »Tagesschau«. Und in Köln wird von Walter Facius, einem ehemaligen leitenden Mitarbeiter bei Telefunken-Schallplatte, das Fachblatt , »Fono Forum« gegründet, dessen Untertitel »Zeitschrift für Kultur, Wirtschaft und Recht des Fonogramms« nicht ahnen lässt, dass sie einmal das angesehenste Musikmagazin und Branchenführer auf dem deutschen Klassikmarkt werden wird. Also das, was die legendäre »Gramophone«, Mutter aller Klassikmagazine, für England ist, oder »Le Monde de la Musique« für Frankreich.
»Fono forum« entstand zu jener Zeit, da die junge Schwester der Shellackplatte in den Handel kam: die viel bestaunte Langspielplatte, die man auf kleinen Ko ergeräten abspielte. Die erste »Fono Forum«-Ausgabe schmückte sich denn auch mit einem enthusiastischen Platten-Loblied von Joachim Ringelnatz: »Schallplatten ihr runden, / verschönt uns die Stunden / laut oder leise, / tief oder hell, / wie wir euch bestellt / Dreht euch im Kreise! Das Karussell / der geistigen Welt. / Erwähltes schwinge, / ein Spiel erklinge, / ein Sänger singe, ein Dichter spricht; aus fernen Landen, aus Nicht-mehr-vorhanden …« und so fort, nun ja. Eine Fachpresse, die das neue Medium begleitete, gab es aber damals noch nicht. So begann »Fono Forum«, das sich 1958 mit seiner Umsiedlung nach Hamburg den Untertitel »für die Freunde der schönen Musik« gab, bereits in der vierten Ausgabe mit ersten Plattenrezensionen, mit denen sich das He kün ig einen Namen machen sollte. Ganze sechs Kritiken waren es am Anfang. Heute haben die drei Redakteure jeden Monat nicht weniger als 400 CD-Neuerscheinungen und -Wiederveröffentlichungen zu sichten und zu prüfen, rund 150 werden in jeder Ausgabe besprochen. Eine Leistung, dank der die Fachzeitschrift längst als unverzichtbare Orientierungs-Lektüre nicht nur für Klassikliebhaber, sondern auch für die gesamte Branche gilt. Pianist Alfred Brendel ist jedenfalls heute immer noch heilfroh, dass das Magazin, das 1997 von München nach Euskirchen bei Köln zog, »uns Herumirrende an die Hand nimmt«.
Eine historische Leistung des »Fono Forum«-Teams war, dass sie das Kulturgut Schallplatte überhaupt zum Medium kritischer Berichterstattung machten und es aus seinem anfänglichen Abseits als Elektroartikel herausholten. Zu diesem Zweck stiftete man 1963 den »Preis der deutschen Schallplattenkritik «. Ein anderer Verdienst war, dass die Redakteure »von Anfang an die zunächst beargwöhnte historische Aufführungspraxis begleitet und unterstützt haben«, wie der heutige Chefredakteur Gregor Willmes erzählt, der aus dem Ruhrgebiet stammt und genau zehn Jahre jünger ist als sein Blatt, das am 9. März seinen 50. Geburtstag mit einer Jubiläums-Gala in der Essener Philharmonie feiert. Ein Dutzend international bekannter Solisten von Sabine Meyer bis Isabelle Faust werden mitwirken, begleitet vom Münchener Kammerorchester unter Christoph Poppen. Immer noch bekommt Willmes täglich Anrufe von Künstlern, die mitspielen wollen. Der WDR wird das Konzert übertragen, die Deutsche Welle es sogar weltweit ausstrahlen. Es ist ja wirklich ein bisschen ein historisches Ereignis, schließlich habe »Fono Forum« »ein halbes Jahrhundert Musikgeschichten und Musikgeschichte geschrieben«, wie Willmes formuliert, was nicht übertrieben ist. So finden sich in den Jahrgängen des Klassikers der Klassikmagazine Interviews, die heute legendär sind. Etwa jenes mit dem öffentlichkeitsscheuen Glenn Gould 1981, oder das mit einem, sagen wir, sehr temperamentvollen Herbert von Karajan, der 1978 wahrlich kein Notenblatt vor den Mund nahm, sowie ungewöhnliche und ungewöhnlich ausführliche Gespräche mit Friedrich Gulda oder mit Yehudi Menuhin 1979 – sieben Seiten lang.
»Fono Forum« hat die Klassik-Krise überstanden, die Krise der Musikindustrie und die Medien-Krise – hat Auflage und Abonnentenzahl gesteigert – bleibt die Frage, ob es auch einen Leser-Generationenwechsel überlebt. Die jüngere Zielgruppe zeichnet sich bekanntlich nicht unbedingt durch überschäumende Leselust und Interesse an Klassik aus. »Leider ist Musikunterricht an den Schulen nach wie vor ein Mangelfach«, sagt Willmes, der nebenher junger Vater ist. Zwar geschähe in Sachen früher Musikvermittlung neuerdings sehr viel, durch Initiativen von Konzerthäusern, Orchestern, Solisten. Aber noch nicht durch die Politik, »dabei gibt es bergeweise Studien, die belegen, dass Musik den Gemeinschaftssinn fördert, Intelligenz, Kreativität, Konzentration und Selbstbewusstsein«. Wenn der Chefredakteur auf einer Zeitreise mal der Gegenwart entfleuchen könnte, würde er am liebsten Gustav Mahler tre en. Und Johann Sebastian Bach, der sei ihm musikalisch »absolut nah«, auch weil er selber Orgel spiele. Und die vielleicht musikalisch spannendste Epoche ist für Willmes jene zwischen 1860 und 1930, »weil da so unglaublich viele Strömungen nebeneinander existierten – konservative Komponisten und die Avantgarde, Klassikkomponisten, die sich am Jazz orientierten, Jazz-Musiker, von der Klassik inspiriert…« Selbstverständlich sammelt der Berufshörer immer noch Platten. Als kürzlich sein Haus das Arbeitsarchiv nicht mehr fasste, hat er zur weiteren CD-Lagerung seine Garage ausgebaut: »Aber der Platz reicht immer noch nicht.« //
www.fonoforum.de; Jubiläums-Gala »50 Jahre Fono Forum«, 9. März, Philharmonie Essen, Karten unter Tel. 0201/8 12 22 00, Fax 0201/812 22 01 oder www.philharmonie-essen.de