Auffrischung
Catrin Lorch über die Klasse Peter Doig
Die Klasse ist jung – schon weil sich der im vergangenen Jahr bestellte Professor Peter Doig erst im Frühjahr seine Schüler im Orientierungsbereich zusammensuchen konnte: Fünfzehn sind es geworden, und während die ansässigen Malerstars in angestammten Sälen rechts und links des klassizistischen Hausriesen ihre alljährliche Klassenschau zelebrieren, sind die Bilder der Doig-Klasse über alle Flure, Gänge und Stockwerke des Gebäudes verteilt.
In einem kleinen Raum, Nummer 301 – Obergeschoß, kleine Treppe, Rundbogenfenster – treffen sich alle gemeinsam. Doig, ein Star des internationalen Kunstmarktes, hat dort selbst gehängt. Ganz und gar unprätentiös ergänzen sich die Bilder der Erstsemester zur unerwartet spannungsvollen Suite. Es ist sichtbar, dass der Professor seinen Studenten vor allem die freundlich-ironische Unverbindlichkeit vermittelt, mit der sich Töne und Texturen im Bildgeviert ausbreiten, ohne allzu viel Rücksicht auf Motive zu nehmen. Das unterscheidet diese gegenständliche Malerei grundsätzlich von dem modischen deutschen Post-Realismus, den die internationale Szene derzeit marktgewaltig feiert und der sich gern und schwerfällig im Sujet erschöpft.
Florian Meisenberg hat einen Hund gemalt, der auf einer Klippe im Meer hockt. Ein Format aus blasigem Schwarz, blauem Farbfeld und Meeresgewoge, über das der Künstler Gischtweiß gespritzt hat wie Beize. Die Bewegung könnte in einer rosa Rennbahn auslaufen, mit der Meisenberg einer zweiten Leinwand Schwung eingeschrieben hat – aber dazwischen hängt die raue Rhythmik dunkler Stämme, eine Bildkonstruktion von Laura Lechner, die ebenfalls seit Herbst bei Peter Doig lernt.
Die Studenten haben zusammengefunden, auch wenn ihr Lehrer während des Semesters aus Trinidad anreisen muss, um jeweils etwa eine Woche am Stück die Gruppe zum Kolloquium zu versammeln. Unerwartet rasch hat der gebürtige Schotte Doig die Düsseldorfer Malerei aufgefrischt, an der die Namen der Siebziger-Jahre-Stars Immendorff und Lüpertz wie eine dicke Farbkruste klebte. Und weil Deutsche Malerei ja nicht immerzu Konjunktur haben kann, ist den jungen Düsseldorfern, im Gegensatz zu ihren Leipziger Kommilitonen, vielleicht neben einem hervorragenden Lehrer auch noch etwas Zeit vergönnt, bis der Kunstmarkt an die weißlackierten Türen der alten Akademie klopft. //
Die Hoffnung birst zuletzt
Peter Lüddemann über Thomas Wickeroth (Klasse Kiecol)
Knalleffekte hat die moderne Kunst zur Genüge produziert. Kann da noch etwas überraschen? Eigentlich nicht. Trotzdem verschafft sich Thomas Wickeroth nachdrücklich Aufmerksamkeit – mit einer Arbeit, die ebenso raumgreifend wie lapidar anmutet. Das liegt nicht nur an der schieren Größe dieser Bildtafel, die auf der Staffelei eines Titanen gestanden haben könnte, sondern auch an den vielfältigen Bezügen, die mit ihr aufscheinen. Das aus vielen Tafeln zusammengesetzte Gebilde lehnt lässig an der Wand. Oben zeigt es die kühle Perfektion der Monochromie, unten franst die graublaue Schönheit heftig in tausend hässliche Splitter aus. Wer davor steht, sieht nicht nur das wüste Durcheinander, sondern meint auch, das Krachen der Spanplatten noch hören zu können. So steht die Glätte der Schönheit gegen das Chaos der Zerstörung, dessen Grauen ästhetischen Reiz entfaltet – ganz wie Caspar David Friedrichs Bild »Gescheiterte Hoffnung«, das ein Schiffswrack in einem Gebirge splittriger Eisschollen zeigt. Wickeroths Arbeit handelt auch von einer gescheiterten und doch verzweifelt festgehaltenen Hoffnung – der auf erlösende Kraft der Schönheit. Denn nichts anderes zitiert der Künstler mit seiner Tafel, deren Ausmaß allein die Vorstellung einer reinen, sich selbst genügenden Kunst pathetisch aufruft. Dazu passt das Bild vom Künstler als Übermenschen, der das ganze riesige Ding mit einer Gebärde der Verzweiflung auf den Boden knallt und damit beschädigt, was er eben so makellos gefügt hat. Kunst als Annäherung an ein unerreichbares Ideal – auch damit spielt Wickeroth. So bezeichnet seine Arbeit, die zunächst eindimensional wirkt, eine fragile Grenze der Kunst. Sie verläuft zwischen Gestalt und Gestaltlosigkeit, Gelingen und Misslingen, Fügen und Zerstören.
Wickeroth verweist damit auf Grundfragen der Kunst und rehabilitiert fast nebenbei eine Dimension der Ästhetik, die seit ihrem unverhofften Zwischenhoch in der Postmoderne wieder verloren zu sein schien: die der Erhabenheit als einer den Betrachter herausfordernden Grenzerfahrung. Thomas Wickeroths Arbeit zielt ganz selbstverständlich auf diesen heiklen Punkt – mit gedanklicher Klarheit und überwältigender Präsenz. //
Die Vermessung der Zeit
Heinz-Norbert Jocks über Shinichi Tsuchiya (Klasse Ruff) und Masanori Suzuki (Klasse Rabinovitch)
Als Kennzeichen dieses Jahrgangs wäre festzustellen, dass die Ignoranz gegenüber dem Handwerklichen in den Stil eingegangen ist. Zu den Ausnahmen gehören zwei Japaner, die erst seit ein paar Jahren mit einer Kultur konfrontiert sind, die sie zuvor nur medial vermittelt kannten. Kein Zufall, dass der 1972 in Yokohoma geborene Shinichi Tsuchiya (Klasse Ruff) Städte wie London, Berlin oder Düsseldorf mit der Digitalkamera erkundete. Das Internet ist für ihn zwar hilfreicher Informationsspeicher, dessen Bildmaterial jedoch viel zu kalt, um es etwa so zu verwerten wie sein Professor, der sich aus dem Netz Pornos zur Weiterverarbeitung herunterlud. Tsuchiya wollte einen eigenen Stadtplan entwerfen, indem er sich an einem bestimmten Längengrad orientierte. Im Computer schichtete er die entstandenen Fotos derart, dass sich eine vertikale Linie als Pendant zum Längengrad ergab. Aufgrund der Überlagerung wirken die eigentlich farbigen Aufnahmen wie schwarzweiße. Als Elemente eines bildnerischen Querschnitts durch Raum und Zeit verhalten sie sich konträr zu unserem okzidentalen Verständnis.
An die Zerlegung der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft glaubt auch Masanori Suzuki, Jahrgang 1976 (Klasse Rabinowitsch) nicht. Optik und Perspektiven seiner früheren Videoinstallationen setzt er nun zeichnerisch um. Einbildungen und Erinnerungen sind für ihn ebenso real wie wirkliche Dinge. Wer könne schon wissen, was Realität sei, sagt er. Also kombiniert er wirkliche Gebäude mit imaginärer Architektur, aus der Ferne oder nächster Nähe besehen. Die Linien der Zeichnung überträgt er auf zwei Plexiglasplatten in andere Formate, so dass alles in Bewegung gerät. Seine persönliche Zeit erscheint echter als die messbare. Für Suzuki schließen naturwissenschaftliche Welterklärungen spirituelle Vorhersagen nicht aus. Der Reiz seiner Bildwelten rührt von einem Denken her, das westliche ratio relativiert. //
Verjüngung der Alten
Helga Meister über Sala Lieber (Klasse Brandl)
Die Düsseldorfer Kunstakademie ist ein kleines Institut und daher auf Blutzufuhr von außen angewiesen. Waren es in den 90er Jahren die Koreaner, so sind es jetzt vermehrt Studenten aus Osteuropa. Die Ungarin Sala Lieber, 1980 in Budapest geboren, gehört dazu. Ihre Eltern sind renommierte Antiquitätenhändler und Sammler, die Tochter wurde als besonders begabt ohne Abitur an der Dresdner Kunstakademie angenommen. Dort ergänzte sie ihre heimatlichen Museums-Erfahrungen um den Zwinger und das Albertinum. Als sie all die Tiepolos und Rubens gespeichert hatte, ging sie nach Düsseldorf, wo es an derlei herrlichen Vorbilder mangelt. Die Ortswahl begründet sie damit, dass hier »der Ton aggressiver und das Tempo sehr schnell ist«. Eine Akademie für »überlebensstarke Menschen«. Im Jahr 2002 tauchte sie bei Immendorff auf, im Semester darauf war sie bei Gerhard Merz, jetzt erhielt sie den Akademiebrief bei Herbert Brandl.Lieber holt ihre Motive nicht aus dem Internet oder aus Katalogen, sie hat sie sich mit ihren fünf Sinnen einverleibt. Die barocke Malerei, sagt sie, entspräche ihrem eigenen Lebensgefühl – die Bewegung, die Dynamik, der Tanzstil, das Üppige. Rubens mit seinen Fleischfarben und farbigen Schatten hat sie beeindruckt. Auch schwärmt sie von Tiepolos »grafischer Kunst« – sie selbst fängt immer zunächst mit der Zeichnung an. Doch dann beginnt die Befreiung. In den Kolorismus der Großen schiebt sie eine neue moderne Farbsprache, die auch schräge Töne duldet. Sie sucht ein Farbgefühl, das die Palette relativiert. Da sitzt ein leuchtendes Maigrün unweit vom diffusen Türkis, und die beiden Grüns neigen dazu, zu verunsichern. Der Siebdruck scheint ideal für Sala Lieber, er bringt die Zeiten miteinander ins Gespräch: Sie mischt etwa die Putten aus dem Kindermord zu Bethlehem des großen flämischen Malers mit heutigen Wohlstands-Kids, die merkwürdig krebsrot über dem Massaker an der Unschuld hocken. //
Öffentliches Manifest
Christiane Hoffmans über Florian Dietrich (Klasse Rita McBride)
Florian Dietrich ist auf dem Weg. In ein, zwei Jahren, so kündigt sein Text auf der breiten weißen Transparenttafel an, wird er sich verändern – zuerst geografisch, dann künstlerisch. Öffentliche Kunst will er machen, soviel steht schon fest, Kunst, so wie sie die 68er vorgemacht haben: raus aus der Privatheit, rein in die Welt, in der Kunst Leben ist und Leben Kunst. Dietrichs Arbeit ist vielleicht symptomatisch für eine Generation junger Künstlerinnen und Künstler, die keine Lust mehr haben auf mythologisch aufgeladene, neu-romantische oder psychedelische Malerei, krude und hermetisch zusammengesetzte Skulpturen, von Eros und Gewalt geprägte Installationen. Er gehört vielmehr einer Generation an, die sich schon nicht mehr der »Neuen Leipziger Schule« zurechnen lassen will, sondern zu neuen Horizonten aufbricht.
Die Freiheit erkämpfen, sein Ich als Botschaft öffentlich zu machen, ist Dietrichs Wunsch. Welchen Inhalt seine Botschaft haben wird, steht noch nicht fest. Vorerst übt Dietrich die Methodik seiner Vorbilder ein, indem er sich sprachlich mit seinen Problemen auseinandersetzt und das Transparent zum Träger seines Diskurses bestimmt. Der Student tastet sich an seine künstlerische Wunschwelt heran, indem er sie historisch verklärt. In seiner Arbeit spiegelt sich dieses Vorgehen in dem kleinen Bild, das rechts unten, an das Transparent angelehnt, auf dem Boden steht. Darauf ist eine männliche Person zu sehen, unscharf fotografiert, im Kostüm der Zeit des politischen Vormärz. Das historische Gewand evoziert das Bild eines Burschenschafters der 1830er Jahre, der für seine freiheitlich-demokratischen Ideale der Obrigkeit den Kampf ansagte. Noch ist dies eine rein formale Annäherung an gängige Haltungen des Protestes, eine beinahe theoretische Evaluation der Methoden und Mittel.
Wohin die Reise Florian Dietrichs und seiner Generation führen wird, ist nicht Thema der Arbeit. Aber ein Anliegen zu finden, für das es sich lohnt, sein privates Leben gegen ein öffentliches Kunstleben einzutauschen, dürfte in der gegenwärtigen politischen Situation allerdings nicht schwierig sein. //