Lauter ungelegte Eier. Aber Gegacker. Die Presse fragt herum und spekuliert. Die Hähne – Kulturpolitiker und -manager – scharren, schauen im Hof herum, treffen sich in schattigen Ecken, zählen Körner und vermessen Wege, vielleicht wetzen sie auch die Schnäbel. Noch kräht keiner. Das Küken ist noch weit davon entfernt, schlüpfen zu können; letztlich brüten es auch andere aus, Künstler nämlich. Das ist noch Idee, Plan, Wunsch, Angebot. Es geht um den Tanz: In NRW soll er wichtiger, sichtbarer werden; an einigen Stellen auch einfach nur überleben, als Tanzsparte an städtischen Bühnen und als sogenannte freie Szene der solistisch oder in kleinen Gruppen meist projektweise arbeitenden Künstler. Welches anmutige Küken aus seiner Schale auf die Bühne tapert – wo und ob auf Spitze oder blanker Kralle –, ist im Moment noch recht ungewiss.
Sicher ist nur, dass bald etwas passieren muss, damit nicht wieder mal beim Sparen an einem Dreispartentheater der Tanz gestrichen wird. Das ist unoriginell und dumm, darf aber in der Regel mit dem geringsten Widerstand rechnen. In Bonn wird Ende der Spielzeit 2007/2008 Johann Kresnik als Tanztheaterchef am Ende sein – und mit ihm auch der Tanz. 2008 wird auch in Köln der Wiederbelebungsversuch der Sparte gescheitert sein. Dann nämlich läuft der Vertrag der Compagnie »pretty ugly tanz köln« aus – und mit ihm auch die Finanzierungsmöglichkeiten. Jetzt tritt der Kulturstaatssekretär auf den Plan. Die Initiative kommt also von oben, und die Ideen und Vorschläge sind alle nicht neu; aber das spricht ja nicht gegen sie. Diesmal scheinen sie wegen der Dringlichkeit, der terminlichen und finanziellen Möglichkeiten etwas handfester zu werden. Es geht auch nicht um Kulturstaatssekretär Hans Heinrich Grosse-Brockhoff nimmt den Tanz als Kultursparte ernst. Aus seiner Amtszeit in Neuss stammen die dortigen Internationalen Tanzwochen, während seiner Düsseldorfer Jahre konnte die Idee eines Tanzhauses vorbildlich verwirklicht werden. Nachdem er aus der Staatskanzlei eine verstärkte ästhetische Kinder- und Jugendbildung propagierte, folgten Taten auch und gerade im Bereich des Tanzes: Das Projekt »Tanz in den Schulen« des Landesbüros Tanz ist umtriebig und begehrt; und was am tanzhaus nrw im Rahmen des von Bund und Land geförderten »Tanzplanes« auf Kinderbeine gestellt wird, auch. Die Befürchtung, dass vor lauter Jugendtanzförderung der Tanz als Kunst erwachsener Könner vernachlässigt werde und sich niemand sorge, dem »Publikum von morgen« morgen auch Anständiges zu bieten, stellt sich nun zum Glück als unberechtigt heraus. Für die Großen Großes: »Ich würde ein VierStädte-Ensemble am Rhein begrüßen, dessen Name die Region widerspiegeln soll« sagte Grosse-Brockhoff im Interview in der Februarausgabe von »Ballettanz«. Er kümmert sich also schon um den Aufdruck auf dem ungelegten Ei.
Das stabil und gut ausgelastet dasteht, könnte größer und zugleich mobiler werden: das Ballett der Düsseldorf-Duisburger Rheinoper mehr Tänzer bekommen und dafür auch Köln und Bonn bespielen. Was bröckelt und taumelt, soll finanzielle Krückstöcke bekommen, und zudem soll ein mehr auf Zeitgenössisches oder Tanztheater spezialisiertes kleineres Ensemble von Bonn oder/und Köln aus den Norden versorgen. Möglich ist auch, dass das Rheinopern-Ballett bleibt, wo es ist, und Köln-Bonn erst einmal eine eigene Position findet. Das Land jedenfalls würde sich finanziell nur an einem Mehr-Städte-Ensemble beteiligen. Über Beträge wird nicht öffentlich gesprochen, über die Organisations- und Zuschussform – separate GmbH, eine Holding, Vereinbarungen zwischen den Städten – ist noch nicht entschieden, ebensowenig darüber, ob es zwei künstlerische Leiter oder ein 2+1 Modell werden wird. Im Moment wird in den Städten gerechnet, Konzepte werden geschmiedet und ausgetauscht, in Intendantenstuben und Kulturämtern. Ende März stehen dann Entscheidungen an.
Derr gute Wille ist den Beteiligten hoch anzurechnen, ebenso das Groß-Denken für den Tanz. Aber: Ist das wirklich realistisch? Wohl kaum. Aber vielleicht ist es nicht verkehrt, große Maßstäbe anzulegen, um so den Enthusiasmus hoch zu halten. Die Realisierung des Rheinschienentanzes hängt weniger vom Land ab, das quasi nur die Gleise spendieren würde, als von den Städten: den Bahnhöfen, den Waggons, dem Fahrplan. Den Proberäumen, Garderoben, Trainings- und Fahrtzeiten, der Disposition von Auftrittsterminen. Und: Hat eigentlich schon mal jemand die Künstler gefragt?
Nachdem die Bundesregierung mit ihren Bonn-Berlin-Ausgleichsmitteln so einiges für den Erhalt der Bonner Kulturszene getan hat, konnte das Theater mit den Millionen offenbar nur sein Siechtum verzögern. Die Biennale, die nach Intendant Beilharzens Weggang noch keine Kontur, aber letztes Jahr mit indischem Tanz (!) immerhin massenweise Publikum fand, wird 2008 mit der letzten BB-Million ihren Ausstand feiern. Dass Johann Kresniks Choreographisches Theater mit wenig Tanz, reichlich bewegten Bildern und politisch-kritischem Anspruch in Bonn nicht ankommen würde, war bei seinem Engagement 2003 vorauszusehen. Intendant Weises ästhetische Jugendliebe hatte, wie er heute sagt, auch nur seinen Tänzern zuliebe den Vertrag angenommen. Ein kleines, treues, recht junges Publikum fand er in der Oper mit ihren über 1000 Plätzen (Auslastung 37 Prozent). Viel Interesse aber aus dem Ausland – Presse und Gastspieleinladungen. Da ab 2008 im Theater ca. 1,4 Millionen Euro einzusparen sind, beschlossen der Intendant und der Stadtrat, statt herumzuschnipseln, lieber mit dem Hackebeil eine ganze Sparte zu schlachten. »Chirurgischer Einschnitt« – so Klaus Weise. Seit Juni 2006 war der Sparplan bekannt, aber kein Schrei zu hören. Weder der Rest der Bonner Tanzszene, noch die Lobbyorganisationen machten sich hörbar laut stark für das, was lebenswichtig für ein Tanz-Biotop ist: eine städtische Tanzcompagnie. Kulturdezernent Ludwig Krapf spricht bezüglich der vierstädtigen »Landescompagnie« vom Prüfauftrag, der von der Staatskanzlei an die Städte gegangen sei und vom Kölner Kollegen Quander bearbeitet werde. Man kann bisweilen den Eindruck haben, dass Bonn nicht wirklich ein Tanzensemble beheimaten wolle. 1986 hatte das Ballett 32 Tänzerstellen, 1990 unter Youri Vàmos 35, 1996 unter Valeri Panov 27, das Choreographische Theater hat heute 18. Zum Vergleich: Gelsenkirchen, Hagen, Bielefeld und Münster haben nur zwischen neun und 15 Tänzer im Ensemble; aber immerhin haben sie welche.
Köln schmückt sich seit 2005 wieder mit einer Tanzcompagnie, doch ihr Ende ist jetzt schon abzusehen. Die Stadt wollte mal Kulturhauptstadt werden, und vielleicht war man damals deshalb so eilig willig, in Kooperation mit privaten Stiftern nach neun dunklen, von seltenem Gastspielglitzer aufgehellten Jahren wieder ein Tanzensemble an die städtischen Bühnen zu holen. Dass sich Amanda Miller mit »pretty ugly« aus Freiburg auf einen Dreijahresvertrag einließ, war nicht branchenüblich und gewiss befruchtet von der Hoffnung auf Verlängerung. Nun scheinen aber beide Stiftungen – Imhoff und Kultursalon – nicht willig, weiter zu fördern, und die Compagnie wird wohl 2008 gehen müssen. Obwohl, wie Geschäftsführer Uwe Möller betont, seine Struktur als GmbH mit flexiblem Agieren bei Tänzerverträgen und gewinnbringenden Gastspielauftritten Vorbild für andere sein könnte. Die Compagnie sucht Kooperationen innerhalb der Stadt (etwa mit der Tanzausbildung der Musikhochschule), belebt kleine Spielorte, mutet den Kölnern schon auch mal tibetische Mönche und Mandalas zu. Amanda Miller und ihre Kunst sei kein »Knaller« und bräuchte mehr Zeit, um sich am Ort zu verankern, sagt Möller, der von der künftigen Intendantin Karin Beier positive Signale bekommen hat. Gern möchte er die Compagnie von zehn auf 16 Tänzer aufstocken, zusätzliche Choreografen einladen, so dass er dann durchaus Möglichkeiten für einen Köln-Bonner Auftritt sähe. Bei dieser Entfernung blieben die Trainings- und Probenzeiten zumutbar. Auf der längeren Schiene nicht.
Das Ballett der Rheinoper schrumpfte 1996, als Youri Vàmos als Direktor kam, von 56 auf 48 Tänzerstellen: das Minimum für die klassischen Stücke und eine derart dichte Auftrittsplanung, die Mehrfachbesetzungen erfordert (90 Termine pro Spielzeit), erläutert Betriebsdirektor Oliver Königsfeld. Die Rheinschienenpläne kommentiert Vàmos als »langweilig« und grinst fröhlich, denn er kennt so etwas seit langem. Der Vertrag des jetzt 60-Jährigen läuft 2009 aus, wenn die Opernintendanz neu besetzt wird. Aber falls das auf die klassische Ballett-Tradition ausgerichtete Ensemble auf 80 Tänzer vergrößert werden würde, wäre ja niemand geeigneter, den Koloss zu führen als der erfahrene Vàmos – zumindest in der Etablierungsphase, meint Königsfeld. Das Raum- und Fahrtenproblem einmal beiseite gelassen. Ein großes Ensemble choreografieren zu können ist eine sehr rare Kunst.
er Kooperationstanz in Düsseldorf/Duisburg und Krefeld/ Mönchengladbach hat seinen Standort, sein Publikum, sein künstlerisches Profil gefunden. Die große Vierstädteversion aber wird höchstens als gastspielmäßig verzahnte Zwei-und-Zwei-Lösung funktionieren. Mit welchen ästhetischen Ausrichtungen? Bei dem ganzen Kalkulieren von Personal-, Reise-, Umbaukosten, dem Vermessen von Fahrtzeiten, Trainingssälen, Bühnengrößen, dem Abzählen von Garderobenplätzen, dem Träumen von vielfüßigen Leuchttürmen auf Schienen, sollte nicht vergessen werden, dass die Tanzkunst kein Ei ist, man sie nicht einfach kaufen und herumschicken kann. Man kann sie ermöglichen, unterstützen, sie muss auch sperrig sein dürfen, zerbrechlich, langsam, flüchtig. Der Tanz braucht das Geschwafel von »Vorbild an Integration« nicht, weil die Ensembles selbstverständlich international besetzt sind und das unstete, vergleichsweise schlecht bezahlte kurze Berufsleben als Tänzer kaum zum Karrieremodell taugt. Als menschliche Ausdrucksform, uralte und zugleich modernste Kunst aber ist er notwendig, verdient große Bühnen genauso wie Experimentierräume, Liebe und Empörung, Spontaneität und Geduld.