Nun steht das metallene Behelfs-Behältnis der Rheinoper schon beinahe ein Jahr lang neben dem Landtag, doch die Geister scheiden sich nach wie vor am RheinOperMobil, kurz ROM genannt. Die einen finden diesen dem Shakespeare’schen Globe-Theater nachempfundenen Bau reizvoll wegen der Nähe der Zuschauer zum Geschehen und schätzen an ihm das pure, unverstellte Theatererlebnis. Andere vermissen den Illusionscharakter, ihnen fehlt die Bühnentechnik und sie bemängeln die Akustik. Tatsächlich glückten in dem kargen Raum bisher nicht alle Repertoire-Adaptionen, und auch die eigens für die ROM konzipierten Produktionen stimmten nicht rundherum zufrieden. Doch jetzt, gewissermaßen auf der letzten Strecke, scheint der Ersatzspielort mit Giorgio Battistellis »Richard III« bei sich angekommen zu sein und den Namen Provisorium nicht mehr zu verdienen. Dabei ist die deutsche Erstaufführung keine Originalproduktion, sondern eine Übernahme aus Antwerpen, wo vor knapp zwei Jahren die Uraufführung auf klassischer Opernbühne stattfand. Doch Robert Carsens virtuose, packende Regie wirkt wie für den schwierigen Ort gemacht. Man meint sogar, umgekehrt, das ROM sei eigens für diese Aufführung konstruiert, mit derart unheimlicher Logik und Präzision füllt Carsen jeden Winkel mit düster wimmelndem, Furcht einflößendem Leben. Der Komponist Giorgio Battistelli ist an der Rheinoper kein Unbekannter, bereits in der Spielzeit 1997/98 war er in Düsseldorf/Duisburg »Composer in Residence« und brachte Fellinis »Orchesterprobe« nach dem gleichnamigen Film des Italieners und die Geräuschkomposition »Experimentum Mundi« heraus. Der Vertreter der mittleren Generation der italienischen Komponisten darf als vitaler Antipode von Salvatore Sciarrino bezeichnet werden. Zu Shakespeares blutigem Königsdrama hat er eine großflächige, im besten Sinne des Wortes opernhafte Musik geschrieben, die dem Drama nicht ausweicht, sondern beherzt zupackt. Das üppig mit Schlagwerk besetzte Orchester schildert Mord und Schlachtgemetzel brachial und ohne heroische Verklärung. Im Kontrast zu den martialischen Passagen, die keinesfalls grob, sondern höchst differenziert musikalisch ausgemalt werden, stehen lateinische Litaneigesänge, die die Todesopfer von Richards Intrige besingen. Nicht umsonst gemahnt die Machtobsession der Titelfigur und die Korruption aller durch den Thronokkupanten von ferne an Wagners »Ring«-Thematik. Auch in Battistellis Partitur gibt es Passagen, die an die finstersten Momente der Tetralogie erinnern. Zugleich sind Alltagsgeräusche und dunkle Urlaute eingearbeitet, die der bestens vorbereitete und souverän lenkende Wen-Pin Chien am Pult den versiert spielenden Düsseldorfer Symphonikern entlockt. Bühnenbildner Radu Borozescu hat die Wände des ROM-Hauses mit rostigem Wellblech verkleidet und die Bühne mit rotem Sand bedeckt. Einige wenige Requisiten reichen da aus, um die von Miruna Boruzescu in einheitliche schwarze Anzüge gekleideten Figuren auf ihre Höllenfahrt zu schicken. Carsen nutzt die Stilmittel des epischen Theaters, um Shakespeares Drama auf verblüffend schlüssige, wahrlich beklemmende Weise auf die Höhe unserer Zeit zu heben. Aufstieg und Fall des Despoten, von dem Bariton John Wegner grandios eisig gezeichnet, säumt eine Fülle von Figuren, denen kein langes Bühnenleben gegeben ist. Richard räumt sie um des eigenen Aufstiegs willen systematisch aus dem Weg. Der Blutsand spritzt im Zehnminutentakt. Eine fabelhafte Ensembleleistung trägt den atemnehmenden Abend, der beeindruckend unterstreicht, zu welchen Leistungen die Rheinoper befähigt ist, wenn ein starkes Team sie motiviert. REM
Tod ohne Verklärung
01. Feb. 2007