Neurotiker seien von Natur aus unbotmäßig, hat der Seelenkundler Sigmund Freud konstatiert. Folglich besonders tauglich für die Künste, die sich der Vereinnahmung seitens verschiedenster Zugriffe verweigern. Und das ist gut so. Nun muss die Kunst, wo sie zu Amt und Würden berufen wird, also in Abhängigkeit steht, das Kunststück üben, einerseits zu tun, was sie nach eigenem Gesetz tun muss, andererseits Bedürfnissen und drängenden Erwartungen zu entsprechen. Klug, wer das kann, noch klüger und gut beraten, wer auf der Gegenseite des labilen Gleichgewichts von Kunst und Macht Spiel- und Freiraum lässt. Schön gedacht und fromm gefühlt. Weniger gut mit sich selbst zu Rate gegangen ist die Stadt Oberhausen bei der Suche nach einem neuen Intendanten für ihr Theater. Denn der Vertrag mit Johannes Lepper wurde zur Saison 2007/08 nicht verlängert. Das hat Gründe, die viel mit der Sperrigkeit des Regie führenden Lepper zu tun haben, wohl auch mit den inneren Klimaverhältnissen, dem Kontakt zwischen ihm, dem Publikum und seinen kommunalen Gesprächspartnern sowie überhaupt mit der bisherigen Bilanz des Hauses, das Lepper von Klaus Weise übernommen hat. Indes, was die Stadt bzw. die sie regierende SPD sich bei der Profilbeschreibung des Nachfolgers leistet, ist nicht mehr nur kurios, sondern ein starkes Stück und wirkt – wenn man es als Antiprogramm zu Lepper liest – in gewissen Formulierungen geradezu ehrenrührig. Die am Ort erscheinende WAZ hat vor kurzem aus den Anforderungen zitiert, die ein internes Papier auflistet und die sich freilich so nicht in der Ausschreibung finden, die etwa im Fachmagazin »Theater heute« publiziert wurde. Dort gibt sich der Beigeordnete für Sport, Gesundheit, Kultur, Herr Apostolos Tsalastras, moderat. Man muss schon zwischen den Zeilen lesen, wenn »die Bereitschaft zum zeitgemäßen Einsatz von Marketinginstrumenten ebenso wie das Bewusstsein der Notwendigkeit einer engagierten Öffentlichkeitsarbeit erwartet« wird. In dem inoffiziellen Dokument klingt das anders. Da wird eine Art öffentlicher Hanswurst und Vereinsmeier umrissen, der sich nicht zu schade sein darf, an Stadtteilfesten mitzuwirken, und zugleich die Smartness eines PR-Strategen mitbringen soll. Das »keine Bevorzugung von Ensemblemitgliedern aus nicht künstlerischen Gründen« gewünscht wird, ist einerseits selbstverständlich, andererseits herzlich naiv und kann nur von jemandem so formuliert worden sein, der vom Theater und seinen emotionalen Kurven keinen blassen Schimmer hat. Von dem leitenden Regisseur wird zudem allen Ernstes verlangt, er »soll nicht seine eigenen Neurosen zu Lasten des Autors ausleben, und Schauspieler sollen sich nicht selbst verwirklichen«. In dem schriftlich fixierten Psychogramm verbirgt sich nichts weniger als der prophylaktischeVersuch einer Hirnwäsche und Charakterbegradigung. Es zeugt von Biedersinn und Schlichtheit, um nicht zu sagen Dummdreistheit, offenbart ein Verständnis von Theater als Gemütlichkeits-Erzeuger sowie eine Ignoranz gegenüber kreativen Prozessen, gepaart mit einer fatalen Tendenz zur Pathologisierung, dass sich kein ernstzunehmender Kandidat finden lassen dürfte, der solche Bedingungen akzeptiert. Das Theater einer derart neurosenbereinigten Person jedenfalls möchte man sich nicht vorstellen. Es würde so langweilig sein wie eine Rede von Kurt Beck. ANDREAS WILINK
Der Apostolische Brief
01. Jan.. 2007