Der Mohr hat seine Schuldigkeit längst noch nicht getan. »Ich bin nicht, was ich bin!«, sagt Shakespeares schwarzer Mann. Die Frage, die das Ich im Innersten zerreißt, scheint so zeitlos akut zu sein, dass die Theater sich ihr programmatisch widmen. Das Düsseldorfer Schauspielhaus etwa startet mit dem Motto und dem Drama Ende September in seine Niermeyer-Intendanz, nebenan beginnt das Schauspiel Essen die Saison ebenfalls mit »Othello«. Zuvor schon zog das Theater Bonn den »Schwarzen Peter« und hat ihn taschenspielertrick zum Joker gemacht. Neil LaButes »Wie es so läuft« ist eine raffinierte Othello-_ Variation, deren drei Personen in gebührend ironischem Abstand den Mohren von Venedig, Desdemona und Jago zum Vorbild haben. Überhaupt ein sehr cleveres Stück, in dem sich die Klischees spiegeln, die über Schwarz und Weiß in den Vereinigten Staaten kursieren – von Malcolm X über Mapplethorpes Nudes bis zu O.J. Simpson, Prince und Michael Jackson.
La Bute, der »fasziniert vom menschlichen Bekenntniszwang« ist und deshalb Monologe bevorzugt, installiert als zentrale Figur einen nicht näher bezeichneten »Mann«, der handelnde und kommentierende Person ist. Er steckt drin in der Sache und steht zugleich neben und über ihr. Der lässig sympathische Alltagsmensch versucht hinter der harmlosen Fassade vielleicht auch nur den gewieften Manipulator zu kaschieren. Jedenfalls ist er jemand, der die kompakte Majorität auf seiner Seite weiß. Ganz der gute weiße Amerikaner, dem das bisschen Rassismus, das gelegentlich aus ihm heraus platzt (und ihn den Anwalts- Job gekostet hat), nachgesehen werden muss.
Er jongliert mit Variationen seiner Erzählung und bugsiert so das Stück Leben, in dem er selbst eine Hauptrolle einnimmt, in die eine oder andere Richtung. Ein Handelsvertreter für Wahrheiten aller Art. Max Frisch goes to Hollywood.
Klaus Weise hat einen Draht für perfekte Kino-Dramaturgie. Seine Erstaufführung, eingerichtet im Werkstatt-Raum des Theaters Bonn mit nichts weiter als ein paar Stellwänden aus Lattenholz (Gesine Kuhn), wird LaBute vollkommen gerecht. Eine präzis getimte, mit Tempo voran getriebene und um einige Pointen und Impromptus angereicherte Betrugsgeschichte, die die Gattung der Screwball Comedy, die ja nur haarscharf die Liebeskatastrophe vermeidet, mit dem Gesellschaftsdrama verbindet, in dem die Karten politischer Korrektheit hübsch durcheinander geraten. Ein in seiner gepflegten Kultiviertheit abgefeimtes Stück, das mit der vertrauten Märchenformel »Es war einmal« scherzt, während die Requisiten der Realität auf der Bühne nur Gegenstände der Einbildungskraft bleiben.
Yorck Dippe kommt als der geborene Samstagabend- Entertainer herein, plaudert und charmiert, während er willkürlich Spielregeln vorgibt, mit viel angelsächsischem Boulevard- Räuspern die Handlung in Gang setzt und vor seiner Unzuverlässigkeit warnt. »Der Mann« könnte mit Horváth sagen: »Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu.« Zu jeder Geschichte gehört eine »Frau«: Er trifft Sie in einer Shopping Mall, nachdem sie sich zwölf Jahre lang nicht gesehen hatten. Die »Frau« (Birte Schrein als kühle Blonde im Stil von Lana Turner) ist verheiratet mit Cody, damals der einzig Farbige und der Superboy der Schule und immer noch sportlich, erfolgreich, vermögend. Und ein ziemliches Arschloch.
Eine Ehe am Ende, die nur von ihrem Hass zusammen gehalten wird und von der provozierenden Dominanz, mit der Cody (Falilou Seck) seine nach wie vor gefühlte Unterlegenheit kompensiert. Der »Mann« zieht bei dem Ehepaar ein und wird angehalten, sich auch schon mal um den Garten zu kümmern. Kleine Demütigungen sind der Nährstoff, auf dem das Stück erst gedeiht. Die Männer verstehen es, sich zu reizen und ein Bashing zu veranstalten, dem gern Codys Hautfarbe beigemischt wird. Der vordergründig umgängliche Weiße und der in seiner Aggression kaum gehemmte Schwarze haben ein Ding unter Männern laufen, wobei die Konfliktsituation zugleich Parodie dessen ist, was Edward Albee oder Tennessee Williams als amerikanische Phänotypen entworfen haben. Zudem bedient sich LaBute bei einem klassischen Komödienstoff, der da heißt: Wie werde ich meine Frau los. Und schon hat Neil LaBute wieder seine Themen und die Moral von der Geschicht’: die Lüge im lebenserhaltenden Sinn. Ein Happy End, erkauft um eine Grausamkeit. Der größte Zynismus liegt in der fast romantischen Glücksbeschwörung.Aber das letzte Wort heißt »Allein«.