Mal sind es bloß ein Paar Pumps und ein Hut, die verlassen auf der Straße liegen. Mal ein zerquetschter Kotflügel, eine aufgerissene Kühlerhaube. Schwer erträglich sind dagegen die Fotos von Menschen, die zu Opfern geworden sind – jene tödlich verletzte Frau am Straßenrand etwa, Blut rinnt aus ihrem Mundwinkel. Oder der zu Tode gekommene Techniker, nach schwerem Schlag hängt er weit oben am Strommast. Schon der Ausstellungstitel lässt Spannung, auch Schock, vielleicht Spektakel erwarten – »Tat (Orte)«, so nennt das Düsseldorfer NRW-Forum Kultur und Wirtschaft seine mit rund 300 Aufnahmen bestückte Fotoschau.
Das schreckliche Bild zieht sich durch die Geschichte des Mediums, immer schon wurden Kriege, Katastrophen, Unglücksorte festgehalten.Doch will das NRW-Forum keinen großen Überblick bieten. Man konzentriert sich auf vier »prototypische« Positionen der Fotografie von Tatorten und präsentiert sie in räumlich getrennten Galerien.
Da sind die Fotografien aus dem erst vor zwei Jahren entdeckten Archiv des Los Angeles Police Department – klassische Beweisfotos, real und minimalistisch. Sie zeigen oft Kleidungsstücke oder andere Habseligkeiten, die vorausgegangene Gewalt nur erahnen las- sen. Selten scheint sie so offensichtlich wie im Foto einer Autoscheibe mit zwei Einschusslöchern.
Ganz anders wirken die Aufnahmen des berühmten Sensationsfotografen Weegee, der sich auch »the famous« nannte, eigentlich aber Arthur Fellig hieß. Im New York der 30er Jahre machte er sich einen Namen mit schonungslos direkten Tatort-Bildern – sie offenbaren die deprimierende Kehrseite der Metropole. Weil der Fotograf den Polizeifunk abhörte, war er oft noch vor der Streife am Schauplatz von Verbrechen, Verkehrsunfällen, Familientragödien, Brandkatastrophen.
Weegee schoss seine Fotos bei Nacht mit starkem Blitzlicht – effektvolle Licht- und Schattenwirkungen steigern die Dramatik.Besonders reizvoll nehmen sich in Düsseldorf die Arbeiten von Arnold Odermatt aus.Harald Szeemann hatte den von den 40ern bis in die 80er Jahre tätigen Schweizer Polizeifotografen schon 2001 bei der Biennale in Venedig gezeigt und das Künstlerische in seinen ruhigen, beinahe menschenleeren Tatort-Bildern herausgestellt. Autos am Baum, an der Wand oder mit der Nase im See – sie wirken wie kuriose Störungen des Landschaftsidylls.
Man bewundert die Komposition des Ganzen, vielleicht auch die skulpturalen Qualitäten der ramponierten Gefährte und vergisst dabei allzu leicht die schlimmen Vorgeschichten.
Odermatts Bilder werden ohne Vorbehalte betrachtet, einige der drastischen Aufnahmen des Mexikaners Enrique Metinides verleiten dagegen zum angewiderten Wegschauen. Obwohl auch ihnen künstlerischer Wert kaum abzusprechen ist; nicht umsonst verhandelt das New Yorker Museum of Modern Art über den Ankauf von Metinides-Bildern. Über 50 Jahre lang hatte der Fotograf als Polizeireporter gearbeitet – er sah Menschen erstochen, erschlagen, erstickt, verschüttet, vergiftet, verbrannt. Vor allem einige seiner Bilder sind es, die in Düsseldorf die Frage nach geschmacklichen Grenzen provoziert. Ausstellungsorganisator Werner Lippert, der den Fotografen erstmals in Deutschland präsentiert, verweist in diesem Zusammenhang auf die Kunstgeschichte, die voll von Gemetzel und Gräuelbildern sei. Er erinnert etwa an Goyas »Desastres de la guerra«. Doch gilt dieses Argument nur bedingt für Metinides Fotografien, die zwar dem zeitlichen und räumlichen Kontext ihrer Entstehung entrückt, aber eben doch authentisch sind.
Das Bild der tödlich verunglückten Schriftstellerin Adela Rivas etwa. Es könnte als kompositorische Meisterleistung durchgehen: Ein senkrechter Laternenmast teilt die Bildfläche, links steht der verbeulte Unfallwagen, rechts eine Handvoll Schaulustiger. In den Vordergrund, ganz nah, rückt das Gesicht der toten Frau, ihre geöffneten Augen schauen ins Leere.
Auf einem Betonblock liegt, fast elegant, die Hand mit goldenem Armband und knallrot lackierten Fingernägeln.
Metinides drückt ab, kurz bevor ein herbeieilender Sanitäter das Gesicht der Frau mit einem Tuch bedecken kann. Eine Sekunde später, und das Bild wäre für den Fotografen wertlos gewesen.
NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, Düsseldorf. Bis 6. August 2006.Tel.: 0211/89 26 690; www.nrw-forum.de