Eine Weile sah es so aus, als werde Köln als Musikstadt geschlossen. Und in Berlin als Deutschpop-Hype wieder aufgebaut. Nachdem seit Anfang des Jahrzehnts sukzessive diverse Labels, der Musiksender Viva und die Musikmesse Popkomm in die Hauptstadt verzogen waren, bestätigten sich um die letzte Jahreswende herum die Spekulationen, die »Spex« werde dem schier endlosen Tross in die Hauptstadt folgen. Die Nachricht kam ausgerechnet fast zeitgleich zu den Jubiläumsfeierlichkeiten um das 25 Jahre währende Bestehen des Musikmagazins, das Köln als Popstandort zwar nicht erfunden, aber geprägt und manchmal auch nur hemmungslos lokalpatriotisch promotet hatte im letzten Vierteljahrhundert: Die »Spex« war, bei aller Ernsthaftigkeit der in ihr geführten Diskurse nicht nur über die Musik zur Zeit, kölscher als mancher Karnevalsverein. Und nun ist sie bloß ein weiterer Laden, der den Umzugswagen bestellt. Weshalb gleich die auch schon länger gärenden Gerüchte um die verbliebenen zwei bedeutsamen Pop-Institutionen neue Nahrung erhielten. Die EMI, letzte Majorplattenfirma mit Deutschlandsitz in Köln, gilt zumindest im notorischen Branchengeplapper schon lange als potenzieller Umzugskandidat. Und hatte das Gratis-Musikmagazin Intro, der thematischen Ähnlichkeit und des regelmäßigen personellen Austauschs wegen der »Spex« traditionell in intimer Freund-Feindschaft verbunden, nicht zuletzt ein Berliner Büro eröffnet? Da wird schon die Tatsache, dass der Intro-Herausgeber sich zuletzt auch noch eine Wohnung in der Hauptstadt gekauft hat, zur Schreckensmeldung. Immerhin hat sich bisher keines der Gerüchte um Intro und EMI bewahrheitet. Und die »Spex« hat auch noch nicht eingepackt: Wann die durch diverse umzugsbedingte Abgänge dann personell rundumerneuerte Redaktion nun wirklich nach Berlin geht, scheint auch ein halbes Jahr nach dem Bekanntwerden der Hauptstadtpläne ihres Verlegers weiter offen, mittlerweile ist gerüchtehalber von September die Rede. Vielleicht auch später. Vielleicht auch nie.
In dieser von heillosem Hörensagen verunsicherten Stimmung wächst einer Veranstaltung besondere Bedeutung zu, die vor zwei Jahren von einigen unbeirrbaren Kölner Popaktivisten als Ersatz für die enteilte Popkomm gegründet wurde und nicht nur deshalb umzugsgerüchteresistent ist: Die c/o pop, zugleich Festival und Branchenkongress, sollte besser machen, was beim Eventspektakel Popkomm in dessen letzten Kölner Jahren schief gelaufen war. Deshalb etwa die thematische Fokussierung auf elektronische Musik, den tatsächlich einigermaßen weltbekannten »Sound of Cologne« also. Deshalb etwa der Versuch, alles etwas kleiner, aber feiner zu halten und Festival- wie Kongressprogramm vor allem nach qualitativen Gesichtspunkten zu gestalten. Deshalb etwa die Weigerung, sich in eine ähnliche Abhängigkeit von Plattenfirmen zu begeben, wie das früher bei der Kölner Popkomm der Fall war – jedoch interessanterweise heute auch bei ihrer Berliner Nachfolgerin nicht mehr ist.
Vom 23. bis 27. August 2006 findet nun die dritte c/o pop statt, und schon die Tatsache allein muss als Erfolg gelten, angesichts der zunächst kühn anmutenden freien Finanzierung, mit überschaubaren öffentlichen Zuschüssen und fast ohne die Unterstützung der Musikindustrie. Inhaltlich fällt die Bilanz der beiden Vorjahre größtenteils positiv aus, das Festivalprogramm war tatsächlich meist anspruchsvoller, aber vor allem zeitgemäßer und prominenter besetzt, als das entsprechende der Berliner Popkomm. Die allerdings betont von sich aus, es auch gar nicht mehr darauf anzulegen, die heißesten neuen Acts zeigen zu wollen. Damit das aber bei der c/o pop so sein konnte, hat man den Veranstaltungsuntertitel »Festival für elektronische Popkultur« von Beginn an sehr frei ausgelegt. Die Headliner der ersten beiden Jahre waren mit Franz Ferdinand und Maximo Park zwei zwar kunst- und kultursinnige, aber an Elektronik komplett desinteressierte Rockbands. Ähnlich verhält es sich in diesem Jahr, Art Brut und die Yeah Yeah Yeahs sind für den werthaltigen Rock-Hype gebucht, und die Soloauftritte von Bela B. (Die Ärzte) und Jan Delay (Beginner) werden allem menschlichen Ermessen zufolge ebenfalls rein gar nichts mit Techno zu tun haben – immerhin aber wird Jan Delay mit »Mercedes-Dance« im August eine echte Tanzplatte mit ein bisschen elektronischem Kram darauf veröffentlichen. Doch es kann kein Zufall sein, dass der bisherige Untertitel vom »Festival für elektronische Musik« auf dem offiziellen Signet der c/o pop diesmal nicht mehr auftaucht. Dort heißt es nur noch schlicht »Festival c/o pop«.
Die elektronischen Aspekte sind stattdessen ausgegliedert worden, ausgerechnet in Form einer Messe – dabei hatten die Organisatoren der c/o pop bei der ursprünglichen Konzeption im Gegensatz zur Popkomm genau darauf verzichten wollen. Die »affair c/o pop« aber soll nun »die erste Messe im Wohnzimmer-Ambiente« werden, versprechen die Organisatoren, was wie ein kuscheliges Gegenprogramm zur lärmig-großen Popkomm klingt. Auch weil die »affair c/o pop« nicht nur als Fach-, sondern auch als Publikumsmesse konzipiert ist, mit Ständen von elektronischen Plattenlabels (nun also doch!), Clubs und anderen Festivals. Der Ort, den die »affairs c/o pop« bezieht, ist zugleich die große weitere Neuerung in diesem Jahr: Die c/o pop zieht um. Aber eben innerhalb der Stadtgrenzen und bloß ein paar hundert Meter über den Rhein hinweg. Das bisherige Festivalzentrum, das Panoramahaus auf der Deutzer Rheinseite, kann nicht mehr benutzt werden, weil es zu dem ehemaligen Teil des Messegeländes gehört, der derzeit zum Hauptsitz des Fernsehsenders RTL umgestaltet wird. Die c/o pop ist daher in ein anderes, ebenso nicht mehr gemäß seiner eigentlichen Bestimmung benutztes Haus ausgewichen, auf die andere, die richtige Rheinseite, in die ehemalige Eisenbahndirektion, die nun etwas kryptisch RheinTriadem heißt. Das Gebäude am Ufer gleich neben Musical Dome und Hauptbahnhof, das als gelegentlicher Off-Space etwa der Möbelmesse oder der Art Cologne bereits etabliert ist, beherbergt neben der »affair c/o pop« dann auch das Festivalzentrum und den Kongress, außerdem dient es als Party-Location. Alles unter einem Dach diesmal also, wenigstens ein bisschen. Bis auf die eingeführten großen Freiluftevents »Pollerwiesen « und »Monsters Of »Spex«« im Jugendpark etwa oder die Clubveranstaltungen wie »Kompakt Total«, »Deutschlandreise« und »Intro Intim«.
Nun, da die c/o pop wenigstens der Grundstruktur nach aus Messe, Kongress und Festival der Popkomm also wieder erheblich mehr ähnelt als zuvor, wäre es jedoch unsinnig, noch einmal die Frage nach dem Städteduell Köln vs. Berlin zu stellen. Die hat die Hauptstadt längst für sich entschieden, sie ist das längst konkurrenzlose administrative und kommerzielle Zentrum der deutschen Musikindustrie und der ebenso konkurrenzlose Zuzugsort für unzählige Musiker, die nicht bloß aus Köln, sondern aus der ganzen Welt herziehen. Einen »Sound of Berlin« allerdings gibt es noch nicht. Den wird es wohl auch nie geben, außer dem Klang des Hypes, den die Stadt mal mehr, mal weniger, derzeit aber eher mehr für sich zu produzieren versteht. Aussichtslos wäre der Versuch, Köln dagegen noch als Hip-Stadt, die sie fraglos nicht mehr ist, noch behaupten zu wollen. Aber, und das ist bislang die eigentliche Leistung der c/o pop: Das hippere Musikfestival im Vergleich zur Berliner Popkomm hat fraglos Köln. Man wird sehen, ob das irgendwann auch der Stadt selbst nützen wird.