Eigentlich ist Mephisto hier überflüssig – darauf abgestellt, als Faktotum am Herd zu brutzeln und Wäsche zu bügeln. Die Rolle des Negierers übernimmt die Regisseurin selbst, die alles, was sie entstehen lässt, für wert erachtet, dass es zugrunde geht. Thirza Bruncken, die über Köln, Düsseldorf, Bonn (um von Frankfurt, Hamburg, München, Wien nicht zu reden) am Schauspiel Dortmund angekommen ist, inszeniert Goethes »Faust« aus der Totalverweigerung heraus: antidynamisch, antidramatisch, albtraumhaft. Auslöschung. Ein Zerfall.
All in One: auf der Bühne (Christoph Ernst) von Dusche und Klo über eine Küchenzeile ins Wohn- und Schlafzimmer; personell von Faust und Mephisto zu Wagner und Valentin. Der Doktor ist, ach, ein Fall fürs Sozialamt und die Psychiatrie. Ein Verlierer der New Economy, weder flexibel noch mobil, nicht mal zum Osterspaziergang setzt er einen Schritt vor die Tür. Er bleibt in seinem Mief. Ein manischdepressiver, schizoider Kerl, der seinen inneren »Fight Club« betreibt und die Tragödie mit sich allein abmacht, zunächst schier endlos die Monologe und Dialoge ableiert, um plötzlich innezuhalten, als sei ein Schalter umgelegt worden.
Mitmal sind es vier junge Männer in Feinripp-Unterwäsche, die durch die WG schlurfen, duschen, spülen, pofen, stumpf dahocken. So rappelvoll die zugemüllte Bude, so entrümpelt das Stück. Bruncken glaubt, reinen Tisch machen zu müssen, sie hat jede Bewegung und Begegnung aussortiert. Eine »Faust«-Onanie. Da bleibt nicht mehr viel, außer einiger Fremdzitate aus philosophischen oder physikalischen Systemen, außer harten Techno-Beats, außer »Delirium«. Das Stichwort wirft Gretchen ein: ein Helmut-Newton-Nachtgewächs, fix und fertig wie einst Marianne Faithfull, pompös wie eine Diva. Ihre Verse spült sie mit Wodka und Pillen runter, erledigt das andere Geschlecht, das als Wiedergänger aber nicht ruht, sondern schweißtreibend weiterzuckt, bis die Frau wie Nora Helmer die Tür hinter sich schließt.
Die 140-minütige Inszenierung ist eine Zumutung. Das dürfte sie sein, wenn die Beanspruchung einen Anspruch stellte, der aus mehr als Widerwillen und Provokation käme, mal eben die Aufführungsgeschichte mit Gründgens und Minetti abfertigt, das deutsche Wesen aburteilt, aus weiblicher Sicht die Männerwirtschaft verdammt, literarische Entwürfe vom Sachbuch bis zum Klassiker, Krimi und Porno durchmustert und überhaupt den alten Plunder und »Hirnscheiß« cool wegwischt. Das hat diese Regisseurin doch nicht nötig, sie war schon viel weiter. Und zeigt selbst hier mitunter einen formalen Willen und bringt eine Präzision auf, die Heiko Raulin und Johanna Marx als Faust und Gretchen perfekt aufnehmen. Aber aus nichts wird nichts.AWI