Text: Volker K. Belghaus
Steigt man die vielen Stufen zu Uwe Loeschs Atelier hinauf, fallen einem die Zeilen aus dem »Türmer« ein: »Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, zum Turme geschworen, gefällt mir die Welt.« Worte von jenem Dichter, den Loesch im Jubiläumsjahr 1999 auf einer Grußkarte so geschrieben hat: GOEHTE. Uwe Loesch hat sein Quartier in Erkrath bezogen, am äußeren Rand von Düsseldorf. Hier blickt er die Welt von oben an, aus einem Turm der ehemaligen Papierfabrik »Brügger Mühle«, auf dessen Dach mehrere rotweiße Windsäcke flattern. »Ich sitze hier über allem« sagt er grinsend, und fügt, angesprochen auf sein früheres Atelier in Düsseldorf-Oberkassel, das mitten in der Stadt lag, hinzu: »Das ist so, als ob man jahrelang neben einem Theater gewohnt hat, aber nie hingegangen ist. Eines Tages ist das Theater weg, aber der Phantomschmerz bleibt.« Sein Atelier scheint ihm und seinen Arbeiten auf den Leib geschneidert zu sein: großzügig-luftig, mit Mut zur freien Fläche und zum Weißraum, mit guter Perspektive nach draußen. Ein Regal mit Bildbänden als visuelles Gedächtnis dominiert den Raum, in einer Ecke stapelt sich ein Archiv aus Versandrollen, in dem seine bisherigen Plakate ruhen. Auf der Fensterbank eine Sammlung diverser Auszeichnungen und Awards aus aller Welt, amorph-hässliche Glasgebilde teilweise – »sieht aus wie die Skyline von Dubai, was?« Daneben, lässig hintereinander an die Wand gelehnt, gerahmte Auszeichnungen des »Art-Directors-Club«. »Man könnte die aufhängen, sollte es aber nicht.«
Das ist auch so eine Haltung, die für Uwe Loesch typisch ist. Aber wer ist dieser Loesch eigentlich? Na, der mit dem schwarzem und dem weißen Schuh. War’s das schon? Bei weitem nicht. Beginnen wir mit den Superlativen, die er wahrscheinlich, wie seine Urkunden, nicht so hoch gehängt wissen möchte. Loesch ist weltbekannter Plakatgestalter, mit Preisen überhäuft, in der Szene gefeiert, Vorreiter der visuellen Provokation. Außerdem ist er Professor für visuelle Kommunikation am Fachbereich Design der Bergischen Universität Wuppertal, ist dort internationales Aushängeschild und selbsternannter »Lebensabschnittsheiliger« seiner Studenten.
Offiziell liest sich seine Biografie so: 1943 in Dresden geboren, flieht er 1958 in den Westen und lebt seitdem in Düsseldorf. Von 1964 bis 1968 studiert er dort Grafik-Design an der Peter-Behrens-Werkkunstschule, danach arbeitet er im eigenen Atelier für Industrie, Verlage und zunehmend für kulturelle und soziale Institutionen. 1985 wird er an die FH Düsseldorf berufen, zum Professor für visuelle Kommunikation. Ab 1990 lehrt er an der Uni Wuppertal, in der Nachfolge von Willy Fleckhaus. Seit Beginn der 80er Jahre bekommen seine Plakatentwürfe internationale Beachtung, erste internationale Preise folgen, 1984 werden einige Plakate nicht nur in die Sammlung, sondern auch in die ständige Ausstellung des MoMA New York aufgenommen. Eigentlich müsste einem angst und bange werden, wenn man so jung musealisiert wird. Man könnte das für einen frühzeitigen Schlusspunkt in der Biografie halten. Loesch aber treiben solche Dinge: »Man fängt immer neu an«, sagt er mit der Betonung auf »immer«. Er lässt sich auf keine Stilrichtung festlegen, eher auf eine Geisteshaltung. Seine reduzierten Plakatentwürfe sind nie erwartbar; er hat zwar seinen berühmten Vorrat aus bevorzugten Schriften und Farben, die einen hohen Wiedererkennungswert besitzen, er überrascht aber immer mit neuen Wahrnehmungsebenen. »Anschläge auf die viereckige Fläche im Kopf des Betrachters«, nennt Loesch seine Entwürfe.
Natürlich erwarten seine Auftraggeber diesen radikalen Moment, der zur Not auch alles in Frage stellt, was das klassische Plakat als Medium ausmacht. Man denke nur an den Zuckerwürfel, den er dem Essener Ruhrlandmuseum als Platzhalter anstatt eines Logos verpasst hat, da es »eh schon genug Logos« gibt, wie er sagt. Loesch zerstörte seinen eigentlichen Plakatentwurf für den »41. Deutschen Historikertag 1996« mit einem Aktenvernichter, um dann den Rest zu fotografieren und darauf im eigenen Rhythmus weitere Texte anzuordnen: »Geschichte als Argument«, so der Titel dieses typografischen Trümmerfelds. Uwe Loeschs Plakate sind Erzählungen im Großformat, in denen man das vermeintliche Happy End selbst suchen muss. »Offenlassen als Prinzip« nennt er das, und dass man »die Dinge nicht als Trauer der Vollendung gestalten soll, sondern Spielräume für eigene Interpretationen zulässt.« Das spielerische Element merkt man seinen Entwürfen in jeder Sekunde an, da werden Schriften verfremdet und in die Unschärfe verschoben, Neonfarben brüllen das Auge an, es lagern Textelemente schwer lesbar übereinander, es wird die Kunst- und Kulturgeschichte zitiert und vor allem mit der Sprache gespielt. Sein Plakat für ein Lithografie-Unternehmen behauptete 1990: »Blaubeeren sind rot, wenn sie grün sind.« Mittlerweile beschäftigt sich Loesch mit »Gold als ironische Brechung, Grün als Farbe des Propheten und Rot als die gelbe Gefahr.«
Wobei solch farbige Wortwirbelei die Frage aufwirft, warum Loesch denn nun einen schwarzen und einen weißen Schuh trägt. Den Einfall hatte er vor 25 Jahren beim Anprobieren in einem Schuhgeschäft für Übergrößen, wo er auf einmal mit zwei verschiedenfarbigen Schuhen im Laden stand und dies dermaßen irritierend fand, dass er dabei blieb. Mittlerweile sind seine Schuhe Erkennungsmerkmal, jeder Student im Erstsemester kennt den großen Dunklen mit dem weißen Schuh. Wenn auch nur vom Sehen. Loesch selbst bezeichnet diesen optischen Schabernack als »eine Art Selbstironie, eine Form der Übertreibung, und damit eindeutig Kitsch. Da Kitsch aber ein Menschenrecht ist, ist das Ganze auch Spaß an der Freud’.« Daraus erhellt sich, dass bei ihm Gestaltung immer auch eine Mentalitätsfrage ist. Analog zur niederrheinischen Eigenart des, von ihm sehr geschätzten, Hanns Dieter Hüsch könnte man Loesch als ein »altes Kind« bezeichnen, dessen Spielplatz in DIN-Formaten abgesteckt ist. Andere Designer ergeben sich dem Grundlinienraster, Loesch versucht gar nicht erst, es nicht zu ignorieren. Er nennt dies »das Prinzip der optischen Enttäuschung« – soll heißen, Text und Bild werden da positioniert, wo man es am wenigsten erwartet. Also gerne mal abseitig am Rand, oder er schichtet das Bild- und Textelement so übereinander, dass weder das Eine noch das Andere erkennbar oder lesbar ist. Wie beim Plakat »Faire Verlierer« für das Düsseldorfer »Kom(m)ödchen« – hier positionierte er den Text mutwillig auf den wichtigsten Bildteil. Von ihm stammt auch die Idee des Herauslösens des zweiten »m« in »Kom(m)ödchen«, da er die Klammern als eine »zu bürokratische Geste« empfand.
Für das »Kom(m)ödchen« arbeitete er 27 Jahre lang. Auf dem Plakat »Letzter Aufruf: Völkerwanderung« spülte er 1991 die Typografie wirbelnd einen Abfluss hinunter. 1990 kehrte er für das erste gesamtdeutsche Kabarettfestival »Immer nur hächeln« die Schriftelemente unter den Teppich. Zugegeben – ein furchtbar kitschiger Teppich (»Menschenrecht!«), den Loesch zufällig in einer Druckerei entdeckte: Grob gestickt, darauf der Kopf eines Schäferhunds. Eigentlich ein schwerer Fall von gesamtdeutscher Hausfrauenkreativität, kam dieses vorgefundene Teil für die Düsseldorfer Kleinkunstbühne aber gerade recht. Loesch färbte die Zunge des Tieres nach dem Motto »Schlimmer geht’s immer« noch Schwarz-Rot-Gold ein, ließ den Text unter der Teppichkante hervorlugen und schuf so eine Befindlichkeitsikone der damaligen Zeit.
Dieses animalische Moment taucht bei Loeschs Plakaten immer wieder auf. Er schätzt die Markentiere des 20. Jahrhunderts, etwa den lauschenden Köter von »His Masters Voice«. Neben besagten Schäferhunden bevölkern Kühe, Vögel, Dinosaurier, Dürer-Hasen und in letzter Zeit immer wieder Fliegen seine Werke. Auf seinem Plakat zur eigenen Ausstellung »… nur Fliegen ist schöner« umschwirren sie die Typografie wie einen Kuhfladen, den Loesch gern als die »Tellermine vom Niederrhein« bezeichnet; auf dem Plakat »Die Gegenwart der Dinge« zum hundertjährigen Bestehen des Ruhrlandmuseums sitzt eine Fliege auf dem Rand eines Einmachglases. Schöne Idee, ein Eintagstier mit der kleinen Ewigkeit von 100 Jahren zu konfrontieren. Für das Ruhrlandmuseum hat Loesch 20 Jahre lang Flyer, Kataloge und Plakate gestaltet. Das Museum wird ab 2008 zum »RuhrMuseum«; wird von Loesch aber weiterhin plakativ begleitet. Er hat nun doch, anstelle des Zuckerwürfels, ein Signet entworfen. Ein Würfel, aufgebaut aus vier Quadraten, von denen das linke, obere Quadrat fehlt. Die restlichen drei stehen für die Selbstbestimmung »Natur Kultur Geschichte« des Museums, das fehlende Quadrat für den »Blick zurück nach vorn.«
Trotz Loeschs Liebe zum »visuellen Kalauer« gibt es auch seine ernsten, politischen Plakate, mit denen er sich ins Weltgeschehen einmischt. Er braucht dafür keine Schockmotive, er wählt den subtileren Weg, um den Betrachter an Herz und Hirn zu packen. Seine sechsteilige Plakatserie »Dresden ,« die an den 50. Jahrestag der Bombardierung erinnert, kann wohl als sein persönlichstes Werk gesehen werden: keine Ruinen, sondern das Wort »Dresden« mit anhängendem Komma, das anfangs schwarz auf einer hellgrauen Fläche steht. Diese wird von Plakat zu Plakat dunkler, bis das Wort gänzlich in der Dunkelheit versinkt. Am unteren Rand der Plakate sind weitere zerstörte Städte aufgelistet: Guernica, Rotterdam, Coventry, Sarajewo, gefolgt von mehreren Kommas, die die nächsten Kriege vorwegnehmen. Poetischer kann man das Grauen wohl nicht inszenieren. Ähnlich sein Plakat über den Atombombenabwurf über Hiroshima; die Amerikaner hatten der Bombe den Namen »Little Boy« gegeben. Auf Loeschs Plakat steht ein ernster, nackter, asiatischer Junge vor schwarzem Hintergrund, auf Brusthöhe liest man in Anführungsstrichen »Little Boy«, dahinter ein Leerzeichen, gefolgt von einem Gedankenstrich. Dieser typografische Abgrund ist der Teufel im Detail, der weitere Worte überflüssig werden lässt.
»Übrigens, ich hatte mal ein Paddelboot, das ich ›Trotzdem‹ getauft habe!« könnte Loesch jetzt das Thema wechseln, wie es seine Art ist. Um darauf zu erzählen, wie er in den 70er Jahren mit einem VW-Bully trotz defekter Windschutzscheibe bis nach Kabul gefahren ist. Oder die Geschichte über die elektronischen Musikanten von »Kraftwerk«, die er einmal sonntagmorgens bei der Tonaufnahme hochfahrender Garagentore belauschte. »Du lieber Himmel! – Unglaublich!« Ebenso unglaublich scheint, dass der Mann im nächsten Jahr der Universität den Rücken kehrt. Die Lehrveranstaltung, die er gemeinsam mit dem Ästhetikprofessor Bazon Brock in diesem Wintersemester anbietet, trägt den Titel: »Personenkult. Entwicklung von Pathosformen für die Unsterblichkeit herausragender Persönlichkeiten.« Zur Aufgabe gehören der Entwurf einer Büste, einer Gedenkbriefmarke, einer Todesanzeige und eines Mausoleums. Scheint so, als wollten die beiden sich frühzeitig einen Platz in der Ewigkeit sichern. Loesch lehnt dankend ab: »In so einem Job setzt man sich nicht zur Ruhe.«. Also weiterhin Plakat- und Buchgestaltung, weiterhin in alle Welt zu Vorträgen reisen und mit vollem Herzen seinen Studenten eben diese Welt erklären. Außerdem plant er ein Buch über Eselsohren, »dem bürgerlichen Verbrechen an der Belletristik, die aber als Gestaltungsprinzip eine sehr schöne Irritation darstellen.« Der Türmer Uwe Loesch bleibt also auf seinem Posten und ist noch lange nicht weg vom Fenster.