»Der Satz ›Comics sind Schund‹ ist ein typisch deutscher. In Frankreich würde so eine Aussage eher Irritationen hervorrufen, aber in einem Land, in dem die Kultur immer sehr ernsthaft und betont seriös daherkommt, existiert der Comic nur in einer kulturellen Nische«, philosophiert Uwe Garske und lehnt sich in seinen Ledersessel zurück. Garske ist Comicbuch-Verleger. Zusammen mit Thomas Schützinger hat er 1997 den Verlag »Edition 52« gegründet, beheimatet im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld. Die Leidenschaft für die Bildgeschichten ist bei beiden biografisch grundiert: »Als Kind war ich sehr Superhelden-affin, aber es gab auch die Klassiker wie ›Micky Maus‹, ›Fix & Foxi‹ und ›Zack‹. Man hat sich nicht alles selbst gekauft, denn das Tauschen auf den Schulhöfen war ja sehr wichtig. Mit 18, in einer sehr politisierten und rebellischen Lebensphase, gab es dann eine Zäsur; später, in den 1980er Jahren, wieder den Weg zurück«, erzählt der diplomierte Sozialwissenschaftler, der hauptberuflich in der Marktforschung und für einen Merchandising-Vertrieb arbeitet.
Vorbehalte gegenüber seiner Tätigkeit als Comicverleger gehören für ihn längst zum Alltag: »Comics werden noch heute von vielen Erwachsenen belächelt, Vorurteile gibt es reichlich und die Infantilitätshypothese ist sicher weit verbreitet. « Das kulturelle Ressentiment gegenüber der »neunten Kunst« erklärt er mit Rückgriff auf die Sozialgeschichte. Der Nationalsozialismus brandmarkte die in den 1930er Jahren aufkommenden Comics – damals noch vorwiegend in Form der Zeitungsstrips – als »amerikanisch« und »jüdisch«. Auch in den kalten Zeiten der 1950er Jahre liefen übereifrige Pädagogen und beseelte Kirchenleute Sturm gegen die »Schundhefte « und organisierten öffentliche Sammelstellen bis hin zu Verbrennungen. In den 1970er Jahren waren die Superhelden der Marvel-Ära wie »Die Spinne« oder die »Fantastischen Vier« Teil der Populärkultur, während politische oder sozialkritische Bildgeschichten à la Robert Crumb der Hippie-Kultur und dem Underground zugerechnet wurden und sich erst zusammen mit den ’68ern durchsetzen konnten. In den 1980er Jahren trat dann eine künstlerische Explosion des Mediums ein, vor allem in den USA und im franco-belgischen Raum, doch Deutschland erreichte diese folgenreiche Erschütterung nicht. Mit ihr traten die klassischen Superhelden in bunten Kostümen und die »Funnies« mit ihren Knollennasen zugunsten von Story Lines mit klarer sozialer Verortung und grafischen Experimenten in den Hintergrund. Es gab nicht mehr den einen Stil, sondern eine ungeheure Differenzierung zwischen Konsum und Avantgarde.
Während die Branchenriesen unter den Verlagen wie Carlsen, Egmont Ehapa und Panini, die sich einst die Comic-Kultur auf die Fahnen geschrieben hatten, seit Jahren ihre Bilanzen mit dem aus Japan importierten Manga-Mainstream aufpolieren oder die zigste Ausgabe von »Asterix « oder »Lucky Luke« herausbringen, sind es die kleinen unabhängigen Häuser, die für eine künstlerische Breite sorgen. Denn – genau wie viele andere Segmente der Populärkultur – droht auch der Comic-Bereich zur Monokultur zu veröden. »Wenn Buchläden nur die 100 kommerziell erfolgreichsten Titel in der Auslage haben und eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung betreiben, geht die Vielfalt automatisch verloren. Dass man als Konsument interessiert in eine Buchhandlung geht und irgendetwas Tolles findet, eine bis ins Detail herausgearbeitete Ästhetik, ist immer weniger der Fall. Der Buchmarkt funktioniert zunehmend wie Fernsehen oder Junk- Food«, beschreibt der Verleger die schwierige Situation des Nischenverlags. Comics aber überzeugen den potenziellen Käufer nur, wenn er sie in den Händen halten, sie durchblättern und sich von den Bildern faszinieren lassen kann. Verlagsgründungen jenseits des Mainstreams sind deshalb zunächst immer Zuschussgeschäfte. Bei der Edition 52 war das nicht anders. »Gerade in der Entwicklungsphase des Verlags haben wir sehr viel privates Geld hineingesteckt und manchmal auch Projekte forciert, für die als Argument allein unsere eigene Euphorie zu Buche schlug. Eigentlich bestand keine reelle Chance, das investierte Geld wieder herauszubekom.
men«, sieht Garske kritisch auf die erste Dekade der eigenen Verlagstätigkeit zurück, um dann grinsend hinzuzufügen: »Immerhin bekennen wir uns heute zur Gewinnerzielung.« Was nicht heißt, dass das Verlagsprogramm neuerdings entlang dem kommerziellen Strich gebürstet wird. Ganz im Gegenteil. In den mit Kartons voller Comics und Bücher überfüllten Verlagsräumen herrscht eine umtriebige Tätigkeit. Ästhetisch beruft sich die Edition 52 vor allem auf die Anfang der 1980er Jahre im francobelgischen Raum entstandene Bewegung der »Nouvelle Ligne Claire«, eine Reihe von Künstlern, die betont mit zeichnerischer Klarheit, mit präzisen und funktionalen Konturlinien und einer monochrom flächigen Farbgebung arbeiteten. Zeichner dieser Schule wie Serge Clerc oder Daniel Torres werden heute, nach- dem die großen Verlage kein Interesse mehr an den Lizenzrechten haben, als »Klassiker « von den Wuppertalern verlegt.
Neben dieser Traditionspflege gilt es, neue Trends aufzuspüren. »Der Comic-Markt entwickelt sich hin in Richtung biografische Erzählung und ›Graphic Novel‹.« Die zehntausendste Marseroberung wird uns zukünftig wohl erspart bleiben, prognostiziert Uwe Garske die künstlerische Entwicklung der sequenziellen Kunst. So hat sich Edition 52 mit Gespür für Tradition und Innovation als Verlag für anspruchsvolle Comic-Kunst in der Szene und auf dem Markt etabliert. Nicht zuletzt aufgrund der herausragenden Autoren. Der Franzose Baru mit seiner mehrfach prämierten Sozialreportage »Wut im Bauch« findet sich ebenso im Programm wie das bahnbrechende Erstlingswerk des Italieners Lorenzo Mattotti, der eher als ein an die Zeichenkunst des Comicpioniers Lyonel Feininger angelehnter grafischer Künstler einzuordnen ist denn als Autor.
Die Bilder seines surrealen »Spartaco« von 1982 entschlüsseln sich erst nach eingehender Betrachtung. Sein Werk gilt bis heute als grafischer Meilenstein. Zudem ist es den Herausgebern gelungen, einige wichtige zeitgenössische Autoren aus dem amerikanischen Raum für sich zu gewinnen. Der Kanadier Seth, dessen Zeichnungen regelmäßig in der New York Times erscheinen, besticht in seinen Erzählungen über Entdeckungs- und Selbstentdeckungsreisen in die historischen Tiefen der amerika- nischen Gesellschaft durch Melancholie und Weltverlorenheit genauso wie durch Anmut und Ausdruck. »Rosebud«, das Schlüsselwort aus dem Film »Citizen Kane«, schimmert durch jedes Panel seiner Geschichten. Der New Yorker Alex Robinson brilliert durch sein Dramaturgie und wurde in der amerikanischen Presse nicht umsonst als »Robert Altman des Comic« gefeiert. Seine Graphic Novel »Trikked « (»Ausgetrickst«, aktuell erschienen bei der Edition 52) verwebt kunstvoll mehrere Handlungsstränge miteinander und bekam 2006 den Harvey Awards als »Best Graphic Album«.
Daneben sind es deutsche Künstler, die das Gesicht des Verlags prägen. Den Berliner Reinhard Kleist und die Hamburger Calle Klaus und Jule K. begleitet der Verlag seit Jahren. »Hieronymus B.«, das neue Buch des aus Oberhausen stammenden und heute in Düsseldorf lebenden Ulf Keyenburg (Künstlername: Ulf K.), erscheint sogar parallel in fünf Ländern: Deutschland, Schweden, Spanien, Belgien und den USA. Der auch als Kinderbuchautor erfolgreiche Künstler wurde 2004 mit dem »Max und Moritz-Preis« als bester deutschsprachiger Comiczeichner geehrt und wird inzwischen vom Goethe-Institut zu internationalen Vorträgen und Ausstellungen eingeladen. Dabei machen gerade seine Bücher bei der Edition 52 deutlich, wie weit sich der Comic als Gesamtkunstwerk von den einstigen Groschenheften entfernt hat. Das Buch als bibliophiles Erlebnis, sorgfältig produziert und mit einem Sonderdruck versehen, gehört zur Verlagscharakteristik. »Es gibt definitiv eine Sammler-Community, die den Comic mehr als Kunstprodukt begreift«, fügt Uwe Garske ein. »Solche Bücher machen uns selbst Spaß. Auch wenn wir heute den Verlag konzeptioneller betreiben und nicht mehr so viele Zuschussgeschäfte machen wollen, sind und bleiben die Freude und die Euphorie an dem Hobby ein Grundstein unserer Philosophie, mit der wir das ganze Unternehmen überhaupt gestartet haben.«
Thomas Schützinger, Mitverleger der Edition 52, kennt sich insbesondere in dieser Sammlerszene bestens aus, betreibt er doch hauptberuflich den Import von limitierten Kunst- und Siebdrucken und anderen Merchandising-Artikeln aus Frankreich und Belgien. Der Blick in den Westen wird allein deshalb schon bleiben. In ein Land, in dem der Zeichner Hergé (»Tim und Struppi«) kürzlich mit einer Sonderausstellung im Pariser Centre Pompidou gewürdigt wurde. »Wenn man nach Frankreich geht, tritt man im Bereich der ›bandes desinées‹ im Grunde genommen in ein anderes Universum ein«, stellt Uwe Garske fest, nicht ohne auch einen Hoffnungsschimmer für Deutschland zu sehen. »Die Akzeptanz der Comics ist bereits gesellschaftlich implementiert, wie etwa die Comic-Bibliothek der FAZ zeigt. Auch unumstrittene Meisterwerke der neunten Kunst entstehen hier.« Festzustellen sei auch, dass die Buchhändler, Redaktionen, Vertriebe und Werbepartner zunehmend »kosmopolitischer« würden, Comics immer mehr als Teil der Kultur verstanden und akzeptiert werden. »Wie andere Kunstformen ist der Comic-Bereich heterogen: Es gibt Trash und Unterhaltung, aber auch hochwertige und ambitionierte Produkte.«
Wobei Garske noch einmal auf die besondere deutsche Rezeption des Genres zurückkommt: »Gerade in Deutschland bedarf es scheinbar der besonderen kulturellen Absegnung durch den medialen Apparat, was konsensfähig sein darf und was nicht. Vielleicht liegt das in der soziokulturellen Ausstattung der deutschen Seele begründet. Jeder guckt, was der Nachbar macht, denn man will auf der sicheren Seite sein. Die Angst vor der unbekannten Kultur ist auch Ausdruck des sozialen Anpassungsdrucks in diesem Land. Würde Elke Heidenreich eine ›Graphic Novel‹ im Fernsehen präsentieren, zögen sicher sofort die großen Buchhandelsketten mit ihrer Distribution nach. Der Leser würde plötzlich den Comic akzeptabel finden und kaufen.« Das, fügt der Verleger hinzu, sei für ihn ein ökonomisch reizvoller Gedanke. »Die Mentalität hinter diesem System lässt mich jedoch eher zweifeln.« //