Wer die persönliche Website von Alice Schwarzer besucht, bekommt unmissverständlich zu lesen, bei welcher Art Mensch man zu Besuch ist: »Mein neues Buch«, »Meine nächste Veranstaltung«, »Mein nächster TVTermin « lauten die Punkte der Navigationsleiste. Kein Zweifel, Alice Schwarzer ist vor allem eines: ein Medien-Promi. Reger Talkshow-Gast in sämtlichen Plauderkränzchen der Fernsehgesellschaft. Einschränkungslos zumutbar.
Das war einmal anders: In den 70er Jahren, als die in Wuppertal geborene, damals noch überwiegend in Paris lebende Feministin ihr öffentliches Leben begann, galt sie als nicht gesellschaftsfähig. Sie war die Buhfrau der Nation. Der Angriff auf männliche Dominanz in Politik, Gesellschaft und Bett hatte im immer noch überwiegend konservativen Westdeutschland den Charakter eines Sakrilegs, schlimm wie die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze. Schwanz-ab-Schwarzer hieß das wahrscheinlich noch freundlichste Schimpfwort für sie. »Wir haben abgetrieben!«, das war Schwarzers erster Coup auf der Bühne der Öffentlichkeit, jenes von ihr initiierte Bekenntnis von 374 teils prominenten Frauen (darunter Romy Schneider und Senta Berger) 1971 im »stern«, mit dem Ziel, den Strafrechtsparagrafen 218 zu novellieren.
Kaufmännische Lehre mit 16, Sprachstudium in Paris, Redakteurin bei den »Düsseldorfer Nachrichten«, freie Korrespondentin und zugleich Psychologie- und Soziologiestudentin in Paris – das sind zwischen 1959 und 1975 ihre Lehrstationen. Paris ist es auch, wo sie den Feminismus lernt, und zwar den sogenannten universalistischen, nach dem der biologische Unterschied der Geschlechter kein den Menschen determinierendes Merkmal ist. Mit dieser Überzeugung kollidiert Schwarzer nicht nur mit dem Machtanspruch der Männer, sondern auch mit dem Selbstverständnis der meisten Frauen, etwa der Schriftstellerin Esther Vilar – ein Fernsehduell mit ihr, die das traditionelle Rollenverständnis verteidigt, macht Schwarzer 1975 schlagartig berühmt. Und berüchtigt, weil nun jeder weiß, zu welch rhetorischer Kraft und verbaler Aggressivität die Feministin fähig ist. »Bild« attestiert ihr damals den »stechenden Blick einer Hexe«. Im selben Jahr bringt Schwarzer ihr bekanntestes Buch heraus: »Der kleine Unterschied und seine Folgen«. 1977 gründet sie die Zeitschrift »Emma« mit Sitz in Köln, deren Redaktion sie heute noch leitet. 1978 klagt sie (vergeblich) gegen sexistische Frauendarstellungen in eben jenem »stern«; 1987 lanciert sie die erste Kampagne gegen Pornografie: PorNO. In den letzten Jahren ist ihr die Unterdrückung von Frauen in islamischen (Migranten-)Kulturen ein Anliegen.
Seit »Wir haben abgetrieben« ist viel geschehen. Die ehemalige Hexe der Nation hat 1996 das Bundesverdienstkreuz am Bande bekommen, 2005 das Erster Klasse, 2004 den Staatspreis NRW. Frauen haben längst Positionen besetzt, die für sie vor ein paar Jahrzehnten noch unerreichbar waren; andererseits hat die Reduktion von Weiblichkeit auf Körperliches in der Öffentlichkeit ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht. »Emanze« ist immer noch oder wieder ein Schimpfwort; doch »Alice« tritt bei Kerner auf und tanzt bei Gottschalk. Verleumdungen bekommt sie keine mehr an den Kopf geworfen. Vielleicht weil man(n) inzwischen zugehört und begriffen hat, wie klug und geistreich Alice Schwarzer sein kann.
Am 3. Dezember wird sie 65. Für eine Frau, die in historischen Dimensionen denkt, kein Alter. Wahrscheinlich hat sie viel bewegt in diesem Land. Wir beglückwünschen sie und hoffen, dass sie weiterhin den Mund nicht hält. UDE