Ein starkes Bild. Ein starker Anfang. Outer space: Franz Woyzeck steht, im Schutzanzug elektronisch verkabelt wie der Mann auf dem Mond, gerade gelandet, durch die kreisrunde Öffnung des Bühnen-Bunkers (Patrick Bannwart). Als sei ein Loch in seiner Welt unter Tage – und hinter ihm die Unendlichkeit. Aber er ist auf der Erde. Und hängt an Schnüren, mit denen ihn der Doktor für seine medizinischen Experimente kurzgeschlossen hat, so dass eine Taste der Fernbedienung genügt, damit es Woyzeck (Sierk Radzei als tapsig-passiver, staunender Marshmallow- Man) unter die Haut fährt. »Hirnwütig« ist er und wird er, durch sich und die anderen, den Hauptmann, den Tambourmajor und seine Marie (Nadja Robiné), die er liebt, die ihn betrügt und verlassen will, und da sticht er halt zu. Im Grillo Theater prangt über der Mordtat das Firmament, die Sterne leuchten und eine fiese Fee (Sarah Viktoria Frick) hat sich niedergelassen am Rand des Himmelsabgrunds, schaut herab auf das Blutopfer – und singt einen Popsong. Es röhrt, rührt und schmachtet. Der Regisseur heißt also David Bösch. Georg Büchner ist er nicht gewachsen. Vielleicht hat er es sogar gemerkt und verbirgt seine Scham über die fehlende Auseinandersetzung hinter dem Posing. Er hat, um es mit dem Dichter zu sagen, »keine Tugend« für das Fragment gebliebene Drama: die Wunde Woyzeck. Sie liegt offen, ein zuckender Schmerz. Man muss sie nicht extra präparieren: mit einem Armstumpf, so dass der Hauptmann wie eine George-Grosz-Karikatur im Rollstuhl hockt, mit der Pistole fuchtelt und dafür eine Dusche Pisse abkriegt; mit einem Ausrufer, geschminkt wie Marilyn Manson; mit einem Tambourmajor, der als Punkrocker und Skinhead mit Totenkopf-Band die Zähne an der Rampe fletscht und ein halb’ Dutzend Flaschen über Woyzecks Schädel zieht. Der Abend gehört der Maske!
Wie feige gegenüber dem (um Passagen von Koltès und sonstigem ergänzten) Text, dass Böschs Inszenierung mal wieder die Not der Figur nicht beim Schauspieler, sondern sie fremdgehen lässt zu einem anderen Medium. Die Risse in den Figuren bleiben gedoppeltes Klischee: das Bitter-Böse des Hauptmanns; die Impotenz des zum Lover sentimentalisierten Hardcore-Tambourmajors (Nicola Mastroberardino), der ordentlich Bambule macht und dann Brahms’ Wiegenlied singt. Nur die Wehmut der Großmutter (Jutta Wachowiak) in der Märchenerzählung ist ohne Fehl und Arg. Büchner mit Hollywood-Effekt und in John-Carpenter-Nebeln, das tut weh. Prall und munter-düster abgespult, sind die Irritationen und das Fragmentarische schwuppdiwupp weg. So spielt das Ensemble an den Charakteren vorbei, stopft sie aus, übermalt sie, drapiert sie, poetisiert sie wohl gar, wenn der Reihe nach Marie, Andres und Franz sich an den Wasserkran überm Emailbecken begeben, sich säubern und philosophisch werden. Eine breitgetretene Veranstaltung, anmaßend in ihrer Herzeige- Präpotenz. AWI