Die 22-jährige Emma Rose ging mit süßlichen Coverversionen schlimmer Deutschrap-Untaten viral. Jetzt entwickelt sie mit einem Unterlabel von Sony eine künstlerische Identität.
»Sitz auf unserm Steg an der Ruhr / Schau, wie der Himmel langsam lila wird«, singt Emma Rose und verortet sich dabei ziemlich klar – im Ruhrgebiet. »Heimweh« heißt der im November vergangenen Jahres erschienene Song. Er erzählt zwar vom Heimweh nach einem geliebten Menschen, aber die Sängerin, Pianistin und Ukulele-Spielerin selbst wird im Moment sicher immer wieder vom Heimweh nach der Ruhr überfallen. Seit sie bei einem Sub-Label von Sony unter Vertrag genommen wurde, ist die 22-jährige Bochumerin oft in Berlin unterwegs und probiert mit Produzent*innen und anderen Songschreiber*innen, eine musikalische Identität zu finden. Sie ist also auf dem besten Weg, ein Popstar zu werden.
»Heimweh« bildet eine Ausnahme im Werk von Emma Rose. Auf Grundlage eines langsamen Klaviermotivs, das von elektronischen Soundflächen und Gesängen in weiten Hallräumen umspielt wird, singt sie sehnsüchtig und melancholisch von einem Gefühl, das sich schlimm anfühlen kann, aber eigentlich schön ist: dem Vermissen eines geliebten Menschen. Die zart gehauchten Worte und die Assoziationen, die sie wecken, passen hier perfekt zusammen. Die Liebe, die sie besingt, ist offenbar eine erfüllende, reine, gegenseitige.
Gangsta-Rap als Ballade
Eigentlich ist die Kunst der Bochumerin aber die der kognitiven Dissonanz: In einem TikTok-Video aus dem vergangenen Jahr sieht man sie an der Ukulele ein Mash-Up aus Texten von Farid Bang singen, der einige der sexistischsten und menschenverachtendsten Zeilen in den Deutschrap gebracht hat. Da sitzt also ein junges Mädchen mit rotblondem Lockenkopf und trägt mit Annett-Louisan-Stimme vor: »Ich exe den Whisky, du Hurensohn / Gestern Vanessa, heute fick ich Sidney / Meine Fans tragen Glatze wie Britney.«
Die größte Aufmerksamkeit hat ihr zwar ein Cover von Wir sind Helden gebracht, »Nur ein Wort« wollten knapp 750.000 Menschen sehen. Aber dass sie jetzt bei Cornelia Records von Sony Music untergekommen ist und mit verschiedenen Produzent*innen und Unterstützern beim Songschreiben an einem Stil feilen darf, ist wohl eher ihrer guten Idee zu verdanken, Gangsta-Rap wie den von Money Boy als Ballade zu interpretieren und damit problematische Weltbilder zu offenbaren.
In den ersten Songs, die seit ein paar Monaten als Singles in den Streamingdiensten erscheinen, eröffnet sie ihre eigene Dissonanz: Zu angenehm fluffigem Elektropop haucht sie zynische Texte, die toxische Männlichkeit thematisieren: »Du hast die Feministin aus mir rausgefickt / Hast mein Herz erobert nur mit einem Pfiff / Deine starke Hand weist mir den Weg /Endlich wer, der sieht, dass ich nix versteh’«, heißt es in »Das Beste«. Schlimm klingt auch, was der Protagonist im Song »Klein« veranstaltet: »Du siehst sie, verliebst dich in alles an ihr / Du nimmst sie, versprichst ihr alles und mehr / Wenn du sie hast, hältst du sie klein / Schließt sie weg bis sie alleine ist / Sie hat nur noch dich / Sagst ihr, dass das Liebe ist.«
Vor dem Interviewtermin mit Emma Rose wappnet man sich also, möchte auf keinen Fall wie ein unreflektierter Medienmann wirken. Aber dann sitzt einem der offenste, freundlichste und am wenigsten angriffslustige Mensch gegenüber, den man sich vorstellen kann. »Ich bin eigentlich ein netter, höflicher Mensch«, sagt sie, »aber in meiner Musik zeige ich eine Seite, die sonst nur engste Freunde und Familie mitbekommen. Manchmal macht mir schon Sorgen, dass es bald vielleicht viele Leute hören, aber es ist wie ein Drang: Das muss nach außen. Ich will dahin gehen, wo es weh tut, wo es auch unangenehm ist.«
Vom Traum, Sängerin zu werden
Nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil sie am Anfang der Schulzeit etwas langsamer war, sei sie auf einer Waldorfschule gelandet – und da wird das Kreative bekanntlich gestärkt: Theaterspielen und Singen zum Beispiel. Beides hat sie als Schülerin schon »richtig, richtig gerne gemacht«. Beim Projekt »Jugendsongs« der Ruhrtriennale schrieb sie dann ihre ersten eigenen Lieder. »Ich habe mich aber nie getraut, diesen Traum zu träumen, wirklich Sängerin, Musikerin zu sein. Ich habe immer gedacht, das kann ja eh nix werden. Trotzdem habe ich bei Instagram immer mal wieder ein Cover hochgeladen. Ich wollte gesehen werden, konnte aber nicht wirklich beschreiben, wieso und wo das hinführen sollte.«
Emma Roses Abitur fiel in die Zeit der Corona-Lockdowns, also hatte sie viel Zeit, zuhause Musik zu machen und Videos in die Welt zu setzen, von denen einige viral gingen, also viel geklickt wurden. Bei TikTok hat sie mittlerweile eine fünfstellige Followerzahl, bei Instagram ist sie auf dem besten Weg dahin. Und irgendwann traute sie sich doch, einen Schritt in Richtung ihres Traums zu machen und begann ein Vorbereitungsjahr an der Musik-Akademie Arnheim. Das war allerdings nicht ganz das richtige: »Ich denke, es war bisher mein unkreativstes Jahr. Nur die Gesangslehrerinnen haben mich nach vorne gebracht.« Die Musik-Akademie, in der sie oft in althergebrachten Rollen steckte – Männer musizierten und sie sang dazu – konnte ihr nicht gefallen, weil sie gern ihren eigenen Kopf hat und eigenen Plänen folgt.
»Ich finde es schrecklich, wenn Leute Visionen für mich haben«, sagt Emma Rose. »Ich hatte dort Bandcoachings, Lehrer, die mir sagten: ‚Du musst dich mehr bewegen‘. Aber ich lass mir sehr ungerne etwas sagen. Vielleicht ist das die Waldorfschul-Prägung: Ich hinterfrage alles, habe mich irgendwann total blockiert gefühlt.« Danach war ihr nur noch klar, dass sie irgendwie in der Kulturbranche arbeiten wollte. Sie schrieb sich ein für ein Studium der Kulturwissenschaften in Bremen.
Nach diesem kurzen Intermezzo scheint der Weg, den sie jetzt mit Sony eingeschlagen hat, genau der richtige zu sein: Das Major-Label wurde auf sie aufmerksam durch die viral gegangenen Videos und lässt sie nun in größtmöglicher Freiheit einen eigenen Stil finden. »Ich habe früher auf Englisch geschrieben, weil ich fand, es klingt besser. Ich musste meine Sprache erstmal finden und war von Anfang an sehr ehrlich. Ich wusste gar nicht, wie ich das Musikmachen angehen soll. Aber die Menschen vom Label haben einfach gesagt: Wir schicken dich mit Leuten ins Studio, ganz ohne Vorgaben.«
Heraus kommen dabei nach und nach Songs, die neue Teile zum Puzzle der künstlerischen Identität der Emma Rose beitragen. Was sie mag: Bedroom-Pop, Annett Louisan, das Duo Blumengarten aus Velbert, den Bochumer Songwriter Frère, der schon Sounds für sie gebastelt hat. Ihre Texte sind nun ausschließlich auf Deutsch, die Sounds träumerisch, weit und warm, wie eine XL-Kuscheldecke im Hotelzimmer auf Reisen. Erste Live-Erfahrung sammelt sie gerade als Support für den total durch die Decke gehenden deutschen Sänger und Rapper Zartmann oder für Ivo Martin. Und irgendwann, ihrem eigenen Tempo folgend, wird ein eigenes Programm entstehen.