Ein Stück aus dem Kölner Dom war monatelang auf der Raumstation ISS – im Rahmen des Photoszene-Festivals erzählt der Fotograf Andrés Galeano seine komplette Geschichte. Aber Achtung! Es könnte sein, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion irgendwo in der Schwerelosigkeit verloren gegangen sind.
Als Alexander Gerst 2014 mit der Blue-Dot-Mission ins All flog, nahm er etwas aus Köln mit: einen Stein aus dem Strebewerk der Südseite des Kölner Doms. 165 Tage, acht Stunden und eine Minute war der Stein im All, 2566 Mal umrundete er die Erde. In den letzten Jahren war er in einer Vitrine im Dombauarchiv nur dessen Besucher*innen zugänglich – und ein bisschen in Vergessenheit geraten. Der Fotograf Andrés Galeano entdeckte ihn und war sofort fasziniert: »Eine Kathedrale möchte sowohl physisch als auch metaphysisch den Himmel erreichen. Dieser Stein ist der einzige, der das geschafft hat! Er war 400 Kilometer von der Erde entfernt«, erklärt Galeano. Ins Dombauarchiv war der in Berlin lebende Spanier über das Programm »Artists Meets Archive« der Photoszene Köln gekommen: In Zusammenarbeit mit den fotografischen Sammlungen und Archiven der Stadt Köln wurden Residenzprogramme ausgeschrieben, auf die sich internationale Künstler*innen bewerben konnten.
So beschäftigt sich die Warschauerin Marta Bogdańska am Kölnischen Stadtmuseum mit den Biografien von Tieren, die gemeinsam mit uns den Stadtraum bevölkern. Der in Hongkong geborene Jimmi Wing Ka Ho erforschte am Rautenstrauch-Joest-Museum die deutsche Kolonialgeschichte in China. Am Museum Ludwig setzt sich die Kölnerin Pauline Hafsia M’barek mit der chemisch-physikalischen Beschaffenheit der Fotos aus der Agfa-Sammlung auseinander. Und die in Thessaloniki lebende Elena Efeoglou schrieb Biografien zu Portraits von August Sander der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur und ergänzte sie durch Erinnerungsfotos, die sie mithilfe Künstlicher Intelligenz schuf. Ausgestellt werden die erarbeiteten Projekte an unterschiedlichen Orten im Rahmen des Photoszene Festivals vom 16. Mai bis 15. Juni.

Für den von Andrés Galeano erforschten Stein kann es nur einen angemessenen Ausstellungsort geben: den Dom. Er war auch der Grund, sich für eine Residenz am Dombauarchiv zu bewerben: »Als Fotokünstler setze ich mich mit der Verbindung des fotografischen Mediums und des Himmlischen auseinander. Daher stammt auch mein Interesse für die Architektur, das Haus des Gottes«, erzählt er. Vom ganz Großen schwenkte er dann aber um auf den ganz kleinen, und vor allem leichten Stein. »Es war wie Liebe auf den ersten Blick«, erinnert sich Galeano, »er wurde mir eigentlich eher nebenbei gezeigt, als ein Bruchstein, der im Weltall war. Aber ich war von dieser Geschichte voll fasziniert«.
Und wie fasziniert war er erst, als er entdeckte, dass der Stein scheinbar etwas von der Schwerelosigkeit mitgebracht hat und seltsamerweise immer noch leicht schwebt? Und dabei hatte er nicht mal eine Inventarnummer! Das wurde nachgeholt und X-DBA-00408 zum Titel von Galeanos Projekt, der nun benannte Stein wurde nach allen Regeln der Wissenschaft erforscht: Es wurden Proben genommen, er wurde mikroskopisch untersucht, ein Steinblatt mit den Details erstellt. Und natürlich fotografierte Galeano den Stein von allen Seiten, neutral vor weißem Grund, immer schwebend. Ziel war aber, die Geschichte dieses gewöhnlichen und doch so besonderen Steines zu rekonstruieren: Wann wurde er im Steinbruch Schlaitdorf gehauen? Auf welchem Weg kam er nach Köln? Wo war er eingebaut? Wie kam er zur ESA und wie wieder zurück? All das weiß Andrés Galeano nun und dokumentierte es fotografisch: Auf Aufnahmen halten die damals Beteiligten mit ernsten Mienen den Stein, eine Farbkarte für die exakte Wiedergabe der Fotografie immer im Bild. »Ich habe fast alle Fachbereiche des Dombauarchivs involviert, ich war praktisch jeden Tag bei jemand anders«, erzählt Andrés Galeano, »und sie haben all das mit dem Stein gemacht, was sie sonst auch machen«.
Die Geschichte hat aber noch einen anderen, sehr eng mit dem Kölner Dom verbundenen Aspekt: den der Reliquie. »Diese Auratisierung, diese Unsichtbarkeit, die ein triviales Objekt in etwas Besonderes verwandelt, das hat auch dieser Stein erlebt. Es ist ein Bruchstein, der an sich keinen Wert hat. Aber durch die Geschichte ist er besonders geworden«, erklärt Andrés Galeano. Warum ihn also nicht wie eine Reliquie behandeln? Es gibt nun Umrisszeichnungen des Steins, dort wo Sandkörner auf das Papier gefallen sind, wurden sie mit Klebeband fixiert, die Blätter sind nicht nur signiert, sondern auch mit zahlreichen offiziellen Stempeln versehen. Und wer sich eine solche echte Reliquie nicht leisten kann, für den gibt es die Domstein-Aufnäher – orientiert an denen der Blue-Dot-Mission. »Mein Ziel ist es«, so Andrés Galeano mit nur einem ganz leichten Schmunzeln im Gesicht, »dass dieser Stein berühmt wird!«
Ein außergewöhnliches Projekt, das zum kuratorischen Hauptprogramm des Festivals Photoszene gehört. Genauso wie eine aus dem Open Call »Feelings & Photography« hervorgegangene Gruppenausstellung. Aus 1150 eingereichten Arbeiten hat die Jury 24 Projekte ausgewählt, die sich alle auf ihre Weise mit Emotionen beschäftigen und sie in Fotografien ausdrücken. Ein Großteil dieser Ausstellung wird im ehemaligen Stoff-Pavillon Moeller in der Hahnenstraße gezeigt, aus dem die Photozene den »Photo Pavillon« machen will, ein temporäres Haus der Fotografie. Der Bau von Wilhehlm Riphahn neben dem Kölnischen Kunstverein mit seinen extravagant nach unten geschwungenen Fensterfronten und seinem großzügigen Flugdach verkörpert modernste 50er-Jahre Architektur und wird schon lange nicht mehr genutzt. Jetzt wird er zum Festivalzentrum mit Ausstellungen, Veranstaltungen, Community Space, Photobook Shop und Café umfunktioniert und mit Leben gefüllt.
Neben dem Hauptprogramm, zu dem auch ein Symposion zu Gefühlen in der Fotografie sowie eine Fotobuch-Messe gehören, finden sich unter dem Dach des Photoszene Festivals auch 80 weitere Ausstellungen, kleine wie große, von Fotograf*innen und Sammler*innen, in Galerien und Geschäften. So greift das Festival in den gesamten Stadtraum und lässt die Besucher*innen überall aktuelle Positionen der Fotografie entdecken. An manchen Stellen sogar bis ins All.
Photoszene Festival
16. Mai bis 15. Juni in Köln
photoszene.de