Unter dem Motto »Zweifel und Zusammenhalt« zeigen die Ruhrfestspiele Recklinghausen vom 1. Mai bis 8. Juni 220 Veranstaltungen mit 620 Künstler*innen. Darunter große Namen und kleine Juwelen.
Sie warten. Er wird nicht kommen. Aber sie harren aus und können nicht gehen. In Samuel Becketts Theaterstück »Warten auf Godot« bietet die Handlungsoberfläche nicht mehr als das endlose Warten, ein zermürbender Zustand. Der Zweiakter wurde seit 1953 mal bedeutungsschwer, mal slapstickhaft inszeniert. Für die Ruhrfestspiele Recklinghausen übernimmt der international agierende Luk Perceval die Regie dieses Menschheitsdramas, das – so sagt es Intendant Olaf Kröck – hervorragend »die Absurdität der Welt einfängt«. Wie aktuell solch eine Zustandsbeschreibung zurzeit sei, dass sei ihnen bei der Planung des Programms noch gar nicht bewusst gewesen. Mit Becketts »universeller Menschheitskomödie« startet das Festival am 3. Mai – nach dem Kulturvolksfest auf dem Grünen Hügel und der Rede der Französin Cécile Wajsbrot. Versprochen ist ein »Schauspielerfest« mit Paul Herwig und Matthias Brandt. Premiere feiert die Inszenierung zuvor im Berliner Ensemble.
Zweifel haben die Beckett-Protagonisten Wladimir und Estragon allenfalls im Ansatz, da ist vielmehr die Hoffnung auf die heilbringende Ankunft Godots. Dass Zweifel eins unserer mächtigsten Instrumente ist, um in der Welt vorwärts zu kommen, sagt Olaf Kröck. Der Zweifel als ein kritisches Befragen, der aber auch als gefährliche Waffe missbraucht werden kann. »Zweifel und Zusammenhalt« steht entsprechend als Motto über der Festivalausgabe, die vom 1. Mai bis 8. Juni 90 Produktionen mit rund 220 Veranstaltungen präsentiert. Beteiligt sind 620 Künstler*innen aus der ganzen Welt. Darunter der südafrikanische Künstler William Kentridge, der in »The Great Yes, The Great No« Theater, surrealistische Kammeroper und bildende Kunst vereint. Oder Hofesh Shechter mit seinem neuen Tanzabend «Theatre of Dreams«, der Deutschlandpremiere feiert. Außerdem im Tanz zu sehen: der Choreografie-Shootingstar Marcos Morau, der für »Notte Morricone« mit der Tanzkompanie CCN/Aterballetto aus Italien zusammenarbeitete und Ennio Morricones Leben und Werk spektakulär vertanzen lässt.
In gefährlichen Höhen
Wie immer deckt das Programm ein weites Genre-Feld ab, es gibt Schauspiel und Tanz, Literatur und Neuen Zirkus, Junges Theater, Musik und Kabarett. Und natürlich Kunst: Zu ihrem 75. Jubiläum zeigt die Kunsthalle Recklinghausen eine Retrospektive der amerikanischen Feministin Judy Chicago. Ausgestellt werden über 160 Exponate, darunter Arbeiten auf Papier, Stickereien, Fotos und Videos aus ihrer »Atmospheres-Serie« in der kalifornischen Wüste – viele von ihnen sind erstmals in Deutschland zu sehen.
Und sonst? Zeigt die heimische Performancegruppe kainkollektiv die Uraufführung von »La Laliki Land«, einer Arbeit zwischen Film und Theater, die eine besondere Datsche und dessen Besitzer, den polnischen Schauspieler Łukasz Stawarczyk, in den Blick nimmt. Die Schauspielerin Lina Beckmann kommt mit ihrem gefeierten Soloabend »Laios« zurück in ihre alte Heimat Ruhrgebiet. Regisseur Christoph Marthaler begibt sich mit Humor und einem Ensemble aus italienischen, französischen, schweizerischen, österreichischen und schottischen Schauspieler*innen und Musiker*innen auf eine Expedition zum »Gipfel«. In gefährliche Höhen geht es auch wieder mit den Künstler*innen des Neuen Zirkus, etwa mit der Groupe Acrobatique de Tanger, die urbanen Tanz mit marokkanischer Akrobatik verbinden. Wieder zu Gast ist die australische Kompanie Gravity & Other Myths, die 2024 die Eröffnungsinszenierung präsentierte und jetzt open air zu sehen ist. Zu hören (und zu sehen) ist der Schauspieler Christian Friedel mit seiner Band und »MACBETH IN CONCERT«.
Und dann gibt es noch ein »kleines Juwel«, wie Kröck sagt: »Das geheime Leben der Alten« des Regisseurs und Autors Mohamed El Khatib. Darsteller*innen im Alter von 75 bis 102 Jahren erzählen da über ihr aktuelles Sexleben. »So warm und hoffnungsvoll, so berührend und so tief politisch«, verspricht der Intendant. Da lohnt sich doch das Warten auf den Mai.
1. Mai bis 8. Juni