»Von Maria bis Merkel« reicht die Anthologie jener Mutterbilder, mit denen der Kunstpalast in Düsseldorf das familiäre Kernthema in einer Ausstellung beleuchtet. Die Chancen des Mutter-Daseins werden ausgelotet, ohne die Risiken zu verschweigen.
Der Düsseldorfer Kunstpalast ist immer für eine Überraschung gut. Dass Nina Hagens ikonisches Album »Unbeschreiblich Weiblich« von 1978 per Plattencover Teil der nächsten Sonderausstellung ist, macht zumindest stutzig. Gleiches gilt für Altkanzlerin Angela Merkel, die in Form eines Spiegel-Titels von 2015 auf der Liste der Exponate steht. Indes: Den Kontext der Kunst zu erweitern, das Leben mit all seinen mal wunderbaren, mal schrecklichen oder auch nur skurrilen Begleiterscheinungen am Ehrenhof zu verankern, daran arbeiten Kunstpalast-Direktor Felix Krämer und sein Team seit Jahren. Die Hinwendung zu Pop und Populärem bescherte dem städtischen Kunstmuseum 2024 einen Rekord von 500.000 Besucher*innen.
Mit der nächsten Ausstellung »Mama. Von Maria bis Merkel« wird dieser Kurs fortgesetzt. Mit rund 120 Werken (vom 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart) wollen die Kuratorinnen Linda Conze, Westrey Page und Anna Christina Schütz die Chancen und Risiken des Mutter-Daseins ausloten. Das Spektrum der Schau umfasst neben Malerei und Skulptur, Video-Installationen und Fotografie auch Dinge des täglichen Gebrauchs sowie Musik und kommerzielle Bildwelten.

Weil Mutter-Kind-Darstellungen zu den beliebtesten Motiven der Kunstgeschichte gehören, kann der Kunstpalast hier aus dem Vollen schöpfen. So begegnen wir etwa der spätgotischen Figur einer lieblichen Muttergottes, die ein munteres Jesuskind im Arm hält. Symbiotisch ist die Mutter-Kind-Beziehung in Hannah Höchs Werk »Frau und Saturn« (1922). Eigenartig distanziert, trotz körperlicher Nähe dagegen Paula Modersohn-Beckers Darstellung »Stillende Mutter« (1902).
Vom Schicksalsschlag einer Mutter, die ihr Kind vor der Zeit verliert, handeln Marta Worringers Gemälde »Mutter« von 1926 sowie die Bronze »Mutter mit totem Sohn«, die Käthe Kollwitz 1938 schuf – der Verlust ihres Sohnes Peter, der im Ersten Weltkrieg fiel, gibt dieser Plastik ein berührendes Gepräge. Mit ihr bezog sich Käthe Kollwitz auf den christlichen Darstellungstypus der Pietà: Die Schmerzensmutter Maria wurde auch jenseits der Religion zur Chiffre für abgrundtiefe Trauer. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, dass der Ausdruck »mutterseelenallein« im Deutschen die maximale Steigerungsform von Einsamkeit beschreibt.
Einen Extremfall vergegenwärtigt Gabriel von Max 1877 in seinem großformatigen Gemälde »Die Kindsmörderin«, das aus der Hamburger Kunsthalle nach Düsseldorf reist. Der Maler konfrontiert uns mit einer armen, womöglich alleinstehenden Frau, die vor lauter Verzweiflung zur schlimmsten Notlösung Zuflucht gesucht hat. Mord und Mutterliebe, im Bild verkörpert durch die innige Umarmung des toten Babys, fallen hier tragisch in eins.
Auch Nina Hagens Albumcover bürstet die l Vorstellung, Mutterfreude sei das größte Glück auf Erden, gegen den Strich: »Und vor dem ersten Kinderschrei’n / Muss ich mich erst mal selbst befrei’n«, rotzte die Sängerin, die sich kinderlos unbeschreiblich weiblich fühlte. Ein Zustand, der vorüberging – ihre Tochter Cosma Shiva und ihr Sohn Otis sind der Beweis. Derweil erhielt die kinderlose Bundeskanzlerin Angela Merkel wenige Jahre nach Regierungsantritt den Spitznamen »Mutti« – zunächst spöttisch gemeint, erfuhr die Bezeichnung bald einen Bedeutungswechsel und brachte das Image der Politikerin als besorgte Führungsfigur zum Ausdruck. Der Spiegel trieb die Überhöhung in ironischer Manier noch weiter: Im Herbst 2015, als Merkel die Grenzen für Tausende Flüchtlinge öffnete, porträtierte das Magazin »Mutter Angela« im Stil von Mutter Teresa.
Heintje singt
Zwischen Verklärung und einem nüchternen Blick auf jene Anforderungen, denen Mütter genügen sollen, um als ›Supermama‹ gepriesen zu werden, entfaltet sich ein abwechslungsreicher Rundgang, der zehn Themenräume umfasst. Die Kuratorinnen haben gründlich recherchiert, um möglichst viele jener Aspekte aufzugreifen, die zwischen Mutterkomplex und Mutter Gottes der Berücksichtigung wert sind.
Im ersten Raum klingen die Assoziationen, Gefühle, Hoffnungen und Erwartungen an, die mit den magischen vier Buchstaben »Mama« verknüpft sind. Unvergessen (jedenfalls bei Älteren) der Auftritt des damals noch unbekannten Heintje in einer ZDF-Sendung 1967 – »Maaamaaaa, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen«, sülzte der Zwölfjährige und wurde prompt zum Kinderstar. Songs, die Mama, Mamma Mia, Mutter oder Mother im Titel zitieren, finden vielleicht gerade deshalb mehr Gehör. Hits von Abba, Andrea Berg, Genesis, John Lennon, Rammstein oder Taylor Swift scheinen diese These zu bestätigen.
Um »Die gute Mutter« geht es in Raum 2 der Ausstellung. Das Idealbild mütterlicher Hingabe prägte in unserem Kulturkreis die heilige Maria mit dem Jesuskind. Niemand kann nachzählen, wie viele Darstellungen dieser heiligen Allianz Malerei, Zeichnung, Druckgrafik und Skulptur der vergangenen zwei Jahrtausende hervorgebracht haben. Wie zeitgenössische Künstler*innen sich an diesem Stereotyp reiben und dabei auch negative Assoziationen von Mütterlichkeit (»Glucke«, »Rabenmutter«, »Helikoptermutter«) kommentieren, kommt ebenfalls in der Präsentation zur Sprache.
Das Publikum erinnert sich
Weitere Abschnitte befassen sich mit der reichlich sprudelnden Ratgeberliteratur (Raum 3) und der Care-Arbeit (Raum 4): Karriere und Kinder, das fühlt sich für manche Frauen an wie die Wahl zwischen Scylla und Charybdis – vor allem, wenn der männliche Partner aus Bequemlichkeit mit der zweiten Reihe vorliebnimmt. Davon können auch Künstler*innen ein Lied singen, wie die Kunstpalast-Ausstellung demonstriert. Im Raum 9 wird unter dem Stichwort »Familienkonstellationen« erörtert, welche Auswirkungen der Wandel von Familienbildern auf das Konzept der Mutterschaft hat. Vater, Mutter, Kind – diese traditionelle Konstellation hat ihre normative Geltung verloren, weil queere Lebensentwürfe, aber auch Zieh-, Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder den Spielraum erweitern.
Am Ende des Rundgangs, im Raum 10, wird es persönlich. Das Publikum soll und darf seinen Erinnerungen an oder Erfahrungen mit der Mutter (beziehungsweise einer mutterähnlichen Bezugsperson) freien Lauf lassen. Die Kuratorinnen sammeln Sprachnachrichten zum Thema, und sie haben hierfür ein Set von Fragen entwickelt, das wohl bei jedem Gedanken und Emotionen freisetzt. »Was sehen Sie vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie das Wort Mama hören?«, lautet eine der Fragen. »Für wen haben Sie mütterliche Gefühle?«
»MAMA. Von Maria bis Merkel«
Kunstpalast, Düsseldorf
12. März bis 3. August