Die Konzeptkünstlerin Rune Mields gehörte zu den Schlüsselfiguren des legendären Kunstvereins »Gegenverkehr« in Aachen. Zum 90. Geburtstag gratuliert ihr das Ludwig Forum für Internationale Kunst mit einer Ausstellung.
»Die Mathematik ist eine Teufelskunst«, so betitelte Rune Mields eine Ausstellung, die sie 2008 im Künstlerhaus Göppingen zeigte. Die Zustimmung der meisten Schüler*innen dürfte der Kölner Konzeptkünstlerin sicher sein. Möglicherweise Beifall von der falschen Seite, denn Mields verteufelt die Rechenkunde keineswegs. Im Gegenteil: Sie ist fasziniert von Zahlen. Deshalb bilden mathematische Symbole wie +, -, x oder ÷ die Bausteine ihrer Werke, die nun im Aachener Ludwig Forum für Internationale Kunst präsentiert werden.
Bei dieser Ausstellung – eine Hommage zum 90. Geburtstag, den Mields 2025 feiern kann – spielt die komplexe Beziehung zwischen Zahlensystemen und kulturellen Weltbildern eine zentrale Rolle. Zahlreiche Zeichnungen und Bilder, die seit den späten 1960er Jahren entstanden sind, umkreisen das Zwitterwesen der Mathematik – einerseits gilt sie als Inbegriff der Rationalität, andererseits eignet ihr etwas Mysteriöses oder gar »Teuflisches«. Um ein Beispiel zu nennen: Obwohl unter Expert*innen Einigkeit darüber herrscht, dass es unendlich viele Primzahlen gibt, rätselt die Fachwelt bis heute über ihre genaue Verteilung.
In den weitläufigen Hallen des Ludwig Forums, das seit 1991 in einer ehemaligen Schirmfabrik an der Jülicher Straße untergebracht ist, wird der Besucher unversehens zum Zahlen- und Zauberlehrling, wenn er sich in die nur scheinbar spröde Ziffernmagie von Rune Mields vertieft. Beispielsweise in ihre künstlerische Interpretation der chinesisch-japanischen Sanju-Primzahlen: Auf Schriftrollen notierte die Künstlerin 1976 mit Tusche sämtliche Kandidaten von 0 bis 120.000 – je größer der Zahlenwert, desto dichter reihen sich die Ziffern aneinander. Höhere Mathematik im Medium der Zeichnung. Zugleich eine Übung im Sehen und Denken.
Magie der Zahlen
Deutlich handgreiflicher ihr Kinderbuch »10 Finger und die Zahlen 1 bis 10« (1984), das in Aachen auf einem Tisch so auseinandergefaltet ist, dass man alle Seiten betrachten kann: Hier macht die Künstlerin die Finger einer gespreizten Hand zum Bildträger verschiedener Zahlensysteme, darunter Hieroglyphen, Keilschrift, römische Ziffern und Maya-Symbole. Eine separate Zeichnung unterhalb der Hand versorgt einen mit knappen Infos zum Zahlenwerk und seiner Herkunft.
Am stärksten an den klassischen Mathe-Unterricht erinnert ihre Arbeit »Die vier Grundrechenarten« von 1999. Auf ein Prägeschild ließ Rune Mields eine einfache Rechnung drucken, die wie ein Perpetuum Mobile ewig um sich selbst kreist – und immer stimmt: »0 + 1 = 1 ÷ 1 = 1 x 1 = 1 – 1 = 0«. Was Wunder, dass die Künstlerin gerne Augustinus zitiert: »Alles hat Formen, weil es Zahlen in sich hat, nimm ihnen diese, und sie sind nichts mehr«, schrieb der Kirchenvater, der Zahlen als Ausdruck der göttlichen Ordnung verstand.
Bei Rune Mields dagegen verbleibt die Zahlenakrobatik im irdischen Bereich. Auch hier gibt es Staunenswertes genug. Nehmen wir Zylinder, Kegel und andere geometrische Körper – mit mathematischen Formeln lassen sie sich präzise berechnen. Und weil Rune Mields ein Faible für Präzisionsarbeit hat, erstaunt es nicht, dass ihre ersten künstlerischen Hervorbringungen, die seit 1968 gezeichneten und gemalten »Röhrenbilder«, anmuten, als seien sie am Reißbrett entworfen.
Erstmals präsentierte sie diese Serie 1970 im Aachener Kunstverein »Gegenverkehr – Zentrum für aktuelle Kunst e. V.«. Eine Art Werbung in eigener Sache, zählte Rune Mields, die 1935 in Münster geboren wurde und dort 1952 eine Lehre als Buchhändlerin machte, doch zu den Gründungsmitgliedern des multidisziplinären Vereins. Ihre Mitstreiter waren der Kunstkritiker Klaus Honnef, zu jener Zeit Chef der Kulturredaktion der »Aachener Nachrichten«, ihr Künstlerkollege Benno Wert sowie der Schriftsteller Helmut Walbert.
Parallel zu der Werkübersicht von Rune Mields zeigt das Ludwig Forum im Untergeschoss eine Kabinettausstellung, die der kurzen, aber nachhaltigen »Gegenverkehr«-Geschichte gewidmet ist. Nicht nur, dass dort bis 1972, als sich der Verein auflöste, 30 Avantgarde-Ausstellungen gezeigt wurden. Auch als Wegbereiter der noch jungen Konzeptkunst sowie der Kunst im öffentlichen Raum (durch Mitwirkung am Monschauer Projekt »Umwelt-Akzente. Die Expansion der Kunst« von 1970) hat sich der Verein bleibende Verdienste erworben.
Zu seinen Unterstützern gehörten die Aachener Megasammler*innen Irene und Peter Ludwig. Deren global zugeschnittene Kollektion mit mehr als 14.000 Kunstwerken ist heute in knapp 30 Einrichtungen weltweit zugänglich. Keine Überraschung, dass das Sammlerpaar 1970 eines der »Röhrenbilder« kaufte. Erst kürzlich erwarb die Peter und Irene Ludwig Stiftung 92 Studienzeichnungen von Rune Mields, ist also in Bezug auf das Œuvre der Künstlerin bestens aufgestellt.
Inspiriert durch Fotografien von Raketenstufen, Öltanks oder industriellen Steuerungsapparaten, entwarf Rune Mields zu Beginn der 1970er Jahre in etlichen Vorzeichnungen ein ganzes Arsenal von Rohrdarstellungen. Einzelne Motive fanden Eingang in großformatige, monochrome Gemälde. Durch Tonabstufungen und Glanzstreifen erwecken diese illusionistisch gemalten Röhren den Anschein realer Objekte.
Eine in der Ausstellung laufende Fernsehdokumentation über Rune Mields, gedreht in ihrem Aachener Atelier, betont den aggressiven Charakter dieser »Röhrenbilder«. Womöglich ein Grund, weshalb Mields in der Folgeserie der »Tangenten« schlichten Linien den Vorzug gab. Aus heutiger Perspektive, gestählt durch ein mediales Dauerbombardement aggressiver Bilder, geht von diesen Darstellungen zwar ein kalter, technoider Glanz aus, aber nichts Bedrohliches.
Bei der oben erwähnten Monschauer Outdoor-Schau »Umwelt-Akzente« brachte die Künstlerin an einer Fußgängerbrücke ein Schild an, das die aktuelle Hommage im Ludwig Forum als Motto aufgreift: »Der unendliche Raum – dehnt sich aus« ist darauf zu lesen. In der Ausstellung hängt die lakonische Metalltafel mit der weitreichenden Botschaft neben einer jüngeren Arbeit, einem Diptychon, das die Galaxie und die griechische Antike in einen Zusammenhang bringt.
Was hat es mit diesem Zitat auf sich? Es basiert auf einem Gespräch, das die Künstlerin damals mit ihrem Bruder führte. Es ging um eine hart zu knackende Nuss: die Relativitätstheorie von Albert Einstein. Eine ihrer Implikationen besagt, dass wir in einem expandierenden Universum leben. Durch die Rotverschiebung des Lichts von entfernten Galaxien, die Edwin Hubble 1929 als Erster entdeckte, ist Einsteins theoretische Annahme, die unsere Phantasie übersteigt, zur unvorstellbaren Gewissheit geworden. Kühne Analogie, zugegeben, aber womöglich nicht fehl am Platz: Was das Weltall kann, das vermag auch Rune Mields. Auch ihr Werk dehnt sich aus. Hoffentlich noch recht lange.
»Rune Mields. Der unendliche Raum – dehnt sich aus«
Ludwig Forum für Internationale Kunst, Aachen
Bis 2. März 2025