Lyschko erobert mit Wave und schlageresken Elementen der düsteren Art die Indierock-Welt. Dass die Band aus Solingen stammt, spielt für ihren Erfolg durchaus eine Rolle und macht ihre Geschichte noch wundersamer. Fortgeschrieben werden soll sie nun mit ihrem zweiten Album: »Niedergang II«.
Untypischer als Lyschko kann eine erfolgreiche Band, die mittlerweile in den größeren Hallen des Landes spielt, eigentlich nicht sein. Aus zwei Gründen. Erstens: Auch wenn Lukas Korn und die beiden Geschwister Lina und Jonah Holzrichter mittlerweile die meiste Zeit in Berlin leben, so stammen sie doch aus Solingen. Hier, zwischen stillgelegter Industrie, dezentem Provinz-Muff, geschlossenen Jugendzentren und dichtgemachten Clubs, muss man sich erstmal Gehör verschaffen. Zweitens spielen Lyschko – benannt nach einem Charakter in Otfried Preußlers Roman »Krabat« – einen Stil von Wave mit Goth-Elementen und düster-schlageresk-romantischen deutschen Texten über gebrochene Seelen und die verkorkste Welt, der normalerweise keine Charts erreicht.
Aber Lyschko haben ein Pfund, mit den sie wuchern können: Sie widmen sich seit Teenagertagen schon ihrer Musik. Gemeinsam. Selbstorganisiert. Und rund um die Uhr, wie Lina jüngst erst in einem Interview mit dem Musikmagazin »Ox« sagte. Das Trio hat keinen Plan B im Klopf, sondern nur den Gedanken, wie sich Plan A – eigene Songs in die Köpfe und Herzen der Menschen zu verpflanzen – umsetzen lässt. Und die Antwort auf die Frage, wie Plan A aufgeht, ist: mit Verve. Mit Schlagermomenten der intelligenten, reflektierten und düster-melancholischen Art. Mit Soundteppichen, die gerne an The Cure, an modernen Post-Punk oder den befreundeten Musiker Max Gruber alias Drangsal erinnern. Und mit einer Hingabe an die eigene Sache, die jedes Lyschko-Stück zu einer eigenen kleinen Erfahrung der Intensität macht.
Das zeigen Lukas Korn, Lina und Jonah Holzrichter nun auch auf ihrem neuen Album »Niedergang II«, das noch ein Stück reifer, konsequenter und dunkler als das Debüt »Brennen« von 2022 klingt. Und mit dem sie nun endgültig in Sphären der Bekanntheit vorstoßen, die weit über das Bergische und das Rheinland und somit jene Zone hinausgehen, die zu verlassen Lyschko sich 2019, nach der EP »Stunde Null«, gerade angeschickt hatten, als ihnen wie allen anderen die Pandemie in die Parade fuhr und Plan A von jetzt auf gleich auf Eis legte. Irgendwie ist es auch gerade dieser brutalen Unterbrechung der eigenen Umtriebigkeit, diesem Herunterfahren des gesellschaftlichen Lebens von 200 auf Null binnen kürzester Zeit geschuldet, dass Lyschko nun so einen atemberaubenden Werdegang hinlegen und Songs wie »Im April«, »Sag mir, was Stille heißt« oder »Lauter« schreiben, die in ihrer emotionalen Wucht und Eindringlichkeit gefühlt bersten.
»Das erste Album war noch gar nicht fertig abgemischt, da haben sie mir einen weiteren geschickt.« Und schon wieder hatte ich 20 Songs vorliegen.«
Tobias Siebert, Produzent von Lyschko
Wie die neuen Songs entstanden sind, erklärt Produzent Tobias Siebert: Sie seien von Anfang an schlichtweg da gewesen. »Das erste Album war noch gar nicht fertig abgemischt, da war da dieser Ordner. Ohne Kommentar haben sie mir den geschickt.« Und prompt habe er eben »schon wieder« 20 Songs vorliegen gehabt. Noch während des Veröffentlichungsprozesses ihres Debütalbums schlossen sich Lukas Korn, Lina und Jonah Holzrichter dann in jeder freien Minute in ihrem Proberaum ein. Und zwischen Festivals und Support-Touren mit Mia Morgan, Drangsal, Love A oder Messer verarbeiteten Lyschko all das, was ihnen gerade passierte, mit neuer Musik. Diese unermüdliche Produktivität sei für die Band ein Mittel gewesen, die Angst zu bekämpfen, dass nach der Aufnahme des ersten Albums eine allzu lange Pause folgen könnte. »Sie hatten Sorge, dass die Musik nicht mehr den Raum in ihrem Leben einnehmen würde, den sie sich wünschten.« Und dass Lyschko nicht mehr die Zeit oder Inspiration finden würden, um gemeinsam an ihren Ideen zu feilen.
Umtriebigkeit der maximalen Sorte. Man könnte auch sagen: Der Hunger nach eigenem Pop, die Gier nach relevanter Musik, nach eindringlicher Kunst aus eigener Feder und aus dem Umfeld des eigenen Mini-Proberaums trieb Lyschko raus in die Welt. Und rein nach Berlin, von wo aus die drei seit kurzem ihre Karriere verfolgen und den Radius immer weiter ziehen, in dessen Mitte sie die Menschen erreichen.
»Der Schritt, nach Berlin zu gehen, war wichtig für uns. Aber aus Solingen zu sein, gehört zu uns und zu unserer Geschichte.« So hatte es Lina Holzrichter im Gespräch mit dem »Ox«-Magazin erklärt. Sie glaube jedenfalls, es wäre einiges anders passiert, wenn wir nicht von dort wären.« Denn: »Wären wir in einer Stadt aufgewachsen, in der man sechs Abende pro Woche hätte ausgehen können, weiß ich nicht, ob wir dann sechs Tage die Woche im Proberaum abgehangen hätten.« Der Output wäre womöglich ein anderer gewesen. Kleiner. Übersichtlicher. Und weniger zwingend.
Insofern ist es gut, wie es gekommen ist mit Lyschko. Und auch wenn das dichte, neue Album das Wort »Niedergang« im Titel trägt – zu erwarten ist von dieser Band das Gegenteil.
30. November, Zakk Düsseldorf