Kurz vor dem 150. Geburtstag des Jahrhundert-Schriftstellers aus Lübeck kommt André Schäfers Film »Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann« in die Kinos.
Wir hören die Stimme des betagten Literatur-Nobelpreisträgers, der über die Entstehung seines Romans »Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull« spricht, dem letzten, dessen Erzählung er für 40 Jahre unterbrochen hatte, um sie dann wieder aufzunehmen und als Fragment zu hinterlassen. Im nächsten Moment schon spazieren wir unter Palmen, den kalifornischen von Pacific Palisades hin zu der Adresse San Remo Drive, wo sich Thomas Mann (1875-1955), der »notorische Villenbesitzer«, das herrliche Bau-Haus hat entwerfen lassen.
Ein junger Mann (Sebastian Schneider), also nicht Ebenbild des Autors, der als Exilant in den USA in seinen sechziger Jahren steht, setzt sich in Szene, posiert, nonchalant und gestriegelt in fesch farbenfrohen Kleidern, mit geschminkten Wangen, Lippen und Augen, lackierten Fingernägeln und schwuler Attitüde, flaniert am Pazifik-Strand, in Lübeck, Paris, Lissabon, Zürich, an hübschen Schauplätzen der Alten und Neuen Welt und des Romans. Erscheint vor der Musterungsbehörde, wo Felix die furiose Gaukelnummer abzieht, oder in dem französischen Luxushotel, wo seine Karriere als Lift-Boy und Kellner beginnt. Auch sitzt er Porträt vor der Staffelei eines Malers, der Felix’ Pate Schimmelpreester sein könnte, der im Buch seine Rolle hat.
Die Hauptfigur in André Schäfers Film soll alles Mögliche sein und leisten: Alter Ego des Dichters und dessen jugendliche Spiegelung, Felix und viele Weitere, die sich der Schelmenroman erfindet, auch Wegweiser und Kommentator entlang des Films und Romans mit reichlich Zitaten aus dem »Krull« und Manns intimen Tagebüchern.
Hochstapler Thomas Mann? Was wäre ihm vorzuwerfen oder würde zur Kriminalisierung taugen? Anpassung, Camouflage, Künstlertum, Doppelleben aufgrund der ihm eigenen »sexuellen Problematik« und Leidenschaft fürs Jungmännliche? Deshalb muss unbedingt der Phänotyp der Schauspieler-Existenz auftreten und den Schein wahren. Thomas Mann hat selbst den »höheren Jokus« beschrieben mit Blick auf seine biblisch-mythologische Joseph-Figur, die mit Felix manches teilt.
Der im Rheingau geborene Felix, begünstigt und begabt, macht sich beliebt bei den Menschen. Ein Panerotiker, der Liebe erweckt und spendet, aber selbst für sich und allein bleibt. Bindungslos das Ethos freier Liebe verkörpernd. Der Film-Felix hingegen darf schlicht und banal mit einem Mann schlafen.
Zeitgeschichte blendet hinein. Die Nazis marschieren auf, gegen die der wahre Deutsche und von Hitler seines Deutschtums beraubte Thomas Mann die Stimme erhebt. McCarthy hetzt gegen die kommunistische Gefahr. Dramaturgisch hineinmontiert ist historisches Bild-, Film- und Tonmaterial, das nicht nur Thomas Mann zu Wort kommen lässt mit Erläuterungen, wie sein Felix zu verstehen sei. Stets war er darum bemüht, sein maßgeblicher Interpret zu sein. Auch Tochter Erika Mann und Sohn Golo Mann geben Auskunft, sprechen von »schwankender Realität«, der ihr Vater sich anvertraut habe.
Mehr Dokumentation, Filmessay für Eingeweihte und monologische Reflexion als Spielfilm beziehungsweise Biopic, weshalb zu fragen ist, was dieser vielleicht reizvolle, eigentümliche Zwitter bezweckt. Ambiguität und Zweideutigkeit sind zwar ein Stichwort für Thomas Mann und sein Werk. Aber Parallelisierung ist zu wenig. Tiefere Überlegungen wären produktiver und am Platz gewesen: Wie und wodurch gelingt es Krull, spielerisch sein fest umrissenes Ich und den Identitätskonflikt aufzulösen, ohne Selbstverneinung und Todesfolge? Was also macht das Wesen des Menschen aus, für dessen Gattung Felix besonders schmückend steht? ***
»Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann«, Regie: André Schäfer, D 2024, 90 Min.,
Start: 7. November