Bochum, Düsseldorf, Köln: Die drei großen Schauspielbühnen in NRW bekommen 2025, 2026 und 2027 neue Intendanten. Was bedeutet das? Kontinuität, Neubesinnung, Aufbruch oder Bruch? Diese Fragen sind für die Wahl von Andreas Karlaganis, Nicolas Stemann, Kay Voges jeweils anders zu beantworten.
Jede Stadt operiert bei der Intendantensuche auf eigene Faust (nur in Düsseldorf hat das Land NRW seine Hand mit im Spiel). Dabei könnte der Gedanke reizvoll sein, für die drei sehr voneinander verschiedenen Stadtgesellschaften die Theaterlandkarte mit der geografisch gekrümmten Banane – Köln, Düsseldorf, Bochum – übergeordnet zu entwerfen. Austausch ist zwischen den 50 bis 100 Kilometern entfernt gelegenen Häusern selten (übrigens auch beim wechselseitigen Publikumsbesuch), produktive Reibung entsteht, wenn überhaupt, zufällig.
Weiter wird es die ‚Metropole’ Rhein-Ruhr nicht bringen. Bochum hat seit 2018, nachdem sein Stadttheater gut ein Jahrzehnt auf mittlerer Flamme geschmort hatte, mit Johan Simons ein Theater des heißen Herzens, wobei der Zuschauerstrom irritierend flau bleibt. Stefan Bachmanns Jahrzehnt in Köln war weit mehr als eine Übergangslösung, wie sie die fatale Baupolitik hätte befürchten lassen können. Auch Wilfried Schulz wird vertragsgemäß ein Jahrzehnt amtiert haben, wenn er das Haus finanziell solide übergibt. In Köln wird 2025 kein Generationenwechsel eingeläutet, in Bochum und Düsseldorf aber sehr wohl. Frauen mögen zur Auswahl gestanden haben (wie die Regisseurin Jette Steckel, die Bochum gut angestanden hätte); doch geworden sind es Männer. Auch eine Aussage. So viel zum Allgemeinen. Nun zu den Aussichten für die drei wichtigsten Bühnen des Landes und ihre neuen Theatermacher, bei denen sich, bedingt durch deren künstlerische Vorgeschichten und Profile, zweimal kritische Skepsis einem berechtigten Hoffen gegenüberstehen.
Vor einem Jahr bereits waren in Köln die Würfel gefallen, nachdem sie zuvor (schon 2019) hastig wieder eingesammelt worden waren und die Ernennung eines gewissen Carl Philip von Maldeghem als Nachfolger von Stefan Bachmann für die Schauspiel-Intendanz blamabel daneben ging (um von den Peinlichkeiten des Kölner Sanierungsfalls der Großbaustellen Oper und Schauspiel gar nicht zu reden). Im zweiten Versuch verließ man sich auf eine Findungskommission. Die ist dem Gerücht über den Erfolg gefolgt und hat den gebürtigen Düsseldorfer Kay Voges (Jahrgang 1972) benannt, der mit der Digitalen Revolution für seine Inszenierungs-Installationen und Bildbefragungen Dortmund zu einem Punkt auf der Theaterlandkarte gemacht hatte. Wobei der Hype um den Ansatz und Einsatz der visuellen Kommunikationsmittel und deren theoretisch akademische Aufrüstung mit ihrer eindimensionalen Schlichtheit konkurriert. Viel Aufwand bei geringem Ertrag. Eher Bruch als Aufbruch? Die Bühne als Techniklabor. Das Theater steht hintan.
Bei Nicolas Stemann, der das Schauspielhaus Bochum 2027 übernimmt, steht das Theater neben sich, hat vor sich den Mikrofonständer und hinter sich Bildschirm oder Leinwand. Nicht, dass er als Theatermacher nicht Kenntlichkeit hätte. Im Gegenteil. Er hat sie und hat damit eine ganze Generation beeinflusst und Epigonen produziert, nicht zuletzt dank seiner methodischen Aneignungen von Elfriede Jelineks dramatischen Texten und Textflächen für die Bühne. Es mag Verengung sein, das Performative und eine gewisse coole Saloppheit als stilbildend zu bezeichnen. Prinzip jedenfalls ist die Ablösung des Schauspielers von der Figur und der Identifikation mit dem darzustellenden Charakter.
Stemann (Jahrgang 1968) will in Bochum seine »Setzungen«, die in Zürich umstritten, wo nicht gescheitert waren, »weiterentwickeln«. Die FAZ spricht von einer »Hiobsbotschaft«. Bochum, das unter Johan Simons, der das Haus an der Königsallee wahrlich nicht als Altersruhesitz betreibt, sondern forciertes, wagemutiges, auch strapaziöses, formvollendetes Erzähltheater macht, steht vermutlich ein Bruch bevor. Während sich Innovation, Diversität und Internationalität, die man sich mit der angejahrten Avantgarde Stemanns, der in Berlin, Hamburg, München, Salzburg und Wien inszeniert(e), einkauft, längst und noch bis 2027 bei Simons ohne Postulat leger erfüllen. Wiederum: eher Bruch als Aufbruch?
Wenn man über das Schauspielhaus Bochum spricht, meint man den Intendanten: Zadek, Peymann, Steckel, Haußmann, nun Simons. Die Bochumer ‚Freiheit’ ist Marke und Signatur. Behauptet und gelebt von starken Künstlerpersönlichkeiten, die neben sich andere zulassen. Bei Steckel etwa bekamen Andrea Breth und Jürgen Gosch Raum. Und man meint die Schauspieler*innen. Um nur ganz wenige zu nennen: Margit Carstensen, Kirsten Dene, Hannelore Hoger, Sandra Hüller, Dörte Lyssewski, Rosel Zech und Wildgruber, Gert Voss, Wolfram Koch, Fritz Schediwy, Jens Harzer. Das ist der Goldstandard. Der will gehalten sein.
Zürich gibt nun auch für Düsseldorf das Stichwort. Nicht erst seit 2016 mit dem Antritt von Wilfried Schulz sind in dem von Stadt und Land je zur Hälfte getragenen Schauspielhaus Profil, Anspruch, Erwartung diffuser, unspezifischer. Der letzte bedeutende Regie führende Intendant war am Gründgens-Platz Karl-Heinz Stroux (bis 1972). Für Anna Badora, Amelie Niermeyer, Waldemar Holm trifft dieses Prädikat nicht zu. Der Gedanke, dass Düsseldorf eher einen Dramaturgen- und Manager-Intendanten brauche, der den weißen Koloss lenkt, hat sich bewährt mit Günther Beelitz und Volker Canaris. Beide ermöglichten die Idee von parallel existierenden Regie-Familien (bei Canaris waren das etwa Dimiter Gotscheff, David Mouchtar-Samorai, Werner Schroeter, Karin Beier) und konnten damit corporate identity schaffen. Das ist verloren gegangen, vermutlich auch zeitbedingt, aber nicht nur. Wilfried Schulz hat sich verdient gemacht, hat das schwer angeschlagene Theater gerettet und gesellschaftlich neu verankert, die Interimszeit am Un-Ort des Central am Hauptbahnhof hat er überstanden, die Auslastung enorm gesteigert, wobei der Höhenrausch und Instinkt für Zahlen und Bilanzen (2023/24 mehr als 250.000 Besucher*innen) in die künstlerische Ohnmacht und Lethargie führten. Der Mangel an Pfleglichkeit, der Eindruck des Zufälligen und Beliebigen, intellektuelle Ermattung und ästhetische Wohlstandsverwahrlosung sind spürbar.
Wo Stemann es gegen die Schatten der und des Vorgängers schwer haben wird, kann Andreas Karlaganis, wenn er 2026 das Düsseldorfer Schauspielhaus leitet, nur gewinnen. Nimmt man zum Maßstab, was der gebürtige Berner (Jahrgang 1975) etwa während der Intendanz von Barbara Frey in Zürich und danach ebenfalls in leitender Funktion am Burgtheater mitverantwortet hat, zeichnet sich ein Bild: Experiment, ja, aber ausgehend vom Text und seiner Ausforschung, hinführend zu seiner Ausgestaltung durch die Individualität der Schauspieler-Persönlichkeit. Neubesinnung aufs Wesentliche. Das Theater steht für sich.