»Roman« steht dran, Krimi ist drin: Mit »Die Frau mit den vier Armen« schreibt Jakob Nolte über einen Mordfall mit merkwürdigen Charakteren und lässt dabei Platz für Poesie und politisch-feministische Anspielungen. Ein gelungener Krimi für Menschen, die sich für Krimis eigentlich zu cool sind.
Wer mit der Krimi-Klaviatur von Mankell über Neuhaus bis Nesbø vertraut ist, kennt sie alle: die sonderbaren, mit der Welt überforderten Kriminaler*innen, die psychisch angeknackst sein müssen, um ihre Rolle als literarische Detektive adäquat auszufüllen. Und so wundert es nicht, dass auch Rita Aitzinger, Kommissarin in Jakob Noltes Roman »Die Frau mit den vier Armen«, auf sympathische Art eine Schraube locker hat: Sie trinkt Kaffee aus alten Olivengläsern, hat ein Faible für Modellautos, redet mit Fasanen und ruft »Halt dein Maul!«, wenn sie in Ermittlungen auf eine Spur stößt. Ab Seite 1 hat man diese schrullige Frau gern, die kein Blatt vor den Mund nimmt, und in ihrer Derbheit tatsächlich originell ist. Aitzingers Ermittlungsgebiet führt uns nach Hannover (als »Niedersachsen Noir« verkauft der Verlag den Roman). Hier findet sie mit zeitlichem Abstand zwei ermordete Männer. Ähnlichkeiten in der Inszenierung der Toten lassen auf einen Zusammenhang schließen. Beide haben ein Handy in der Hand, das einen Popsong abspielt. Sie sind vollgepumpt mit Drogen, waren jung und nicht gerade von Glück gesegnet. Es folgt die handelsübliche Suche nach Spuren, Indizien und Beweisen. Die Ermittlungen führen Aitzinger und ihren Kollegen Ilia Schuster in Studenten-WGs, Bahnhofskneipen, zu einem Weingut in den Pyrenäen und in die Oper Hannover. Nolte, der vor allem als Dramatiker bekannt ist, begibt sich hier auf bekanntes Terrain: Als Verdächtiger gehandelt wird unter anderem ein exzentrischer Chorleiter, der für machtmissbräuchliches Handeln in der Szene bekannt ist. Die Regieassistentin lässt dann gleich ihren Unmut aus über Macht-, Rassismus- und Sexismusprobleme in der Branche.
Theatraler Stil
Hier hätte die Distanz zwischen Autor und Figuren etwas schärfer sein können, denn die Ermittler*innen wissen erstaunlich viel über den Theaterbetrieb (weiß eine Kommissarin aus dem Stegreif über Bühnen-Tarifverträge Bescheid?). Doch nicht nur inhaltlich webt Nolte das Drama in seinen Roman ein. Stellenweise nutzt er theatrale Schreibweisen, um seinem Text einen ganz eigenen, innovativen Rhythmus zu verleihen. Charakteristisch dafür sind vor allem Aitzingers Befragungen, die einem Skript ähneln und als pure Dialoge verfasst sind. Mit ihrer forschen Befragungstechnik, die gerne mal übers Ziel hinausschießt, verleiht sie den Szenen ein rasantes Tempo ohne dabei den Faden zu verlieren: »Er hatte es nicht verdient zu sterben.« »Wer hat es Ihrer Meinung nach verdient?« »Niemand. Wahrscheinlich.« »Also ist der Tod ungerecht?« »Nein. Das nicht.« »Welcher Tod ist gerecht?« »Tyrannenmord.«
Doch ist diese Gattungsverschmelzung nicht das einzig Originelle an Noltes freiem Schreibstil. Einwände etwa an rassistischen Aussagen seiner Figuren markiert er mit einem (sic!) im Text. Sprachkritische und feministische Diskurse werden anhand der Begriffe Polizist und Polizistin unternommen. Und während das Ermittlungsteam den Plot vorantreibt, wechselt der Roman Perspektiven, beleuchtet das Leben der Befragten oder zoomt heraus, beschreibt absurde Szenarien in Hannover oder poetische Bewusstseinsströme (»Von außen kam viel. Aber im Innern war ein Loch, oder im Innern war etwas verschwunden. Oder da war gar nichts.«) Stellenweise ist es vielleicht zu viel Diskurs, den er wie nebensächlich unterbringen will, und somit nur oberflächlich behandeln kann. Die Geschichte wirkt so bisweilen intellektuell zu ambitioniert. Doch ziehen einen der spannende Plot und vor allem die starke Figur der Kommissarin in ihren Bann. Und obwohl Nolte vielleicht kein Krimiautor sein will, gelingt ihm eine fesselnde Kriminalgeschichte mit rhetorischer Kunstfertigkeit.
Lesung: 15. November, Theater an der Ruhr, Mülheim
im Rahmen der »ZwischenStücke« der Mülheimer Theatertage
Jakob Nolte: Die Frau mit den vier Armen, Suhrkamp Nova, 235 Seiten, 20 Euro