Das Team des Kunstmuseums Gelsenkirchen hat den 40. Geburtstag seines Museumsgebäudes genutzt, um die Sammlung neu zu präsentieren. In ihr finden sich große Namen von Gerhard Richter bis Paula Modersohn-Becker – und erstaunliche Werke kinetischer Kunst.
Dass die Ruhrkunstmuseen Schätze in ihren Sammlungen beherbergen, ist längst kein Geheimnis mehr. In den vergangenen Jahren wurde es in der Region zu einem regelrechten Trend, Sammlungen neu aufzubereiten. Besonders überraschend ist das Ergebnis, das jetzt im Kunstmuseum Gelsenkirchen zu bewundern ist. Hier hat das Team stark in die Architektur des Gebäudes eingegriffen, um eine neue Dauerausstellung zu kreieren.
Franz von Stuck, Käthe Kollwitz, Paula Modersohn-Becker, Emil Nolde, René Magritte, Gerhard Richter, Rebecca Horn – Werke dieser berühmten Kyünstler*innen sind nun im Kunstmuseum Gelsenkirchen versammelt. Daneben erscheint die außergewöhnliche Sammlung kinetischer Kunst in neuem Licht.
Im Stadtteil Buer hat die Stadt vor 40 Jahren einen Museumsneubau bekommen, der sich organisch an die Alte Villa an der Horster Straße schmiegt. Der Gründerzeitbau ist die Urzelle des Kunstmuseums. 1957 wurde dort zum ersten Mal gezeigt, was die Stadt seit Beginn der 50er-Jahre als Querschnitt der Kunstentwicklungen seit dem 19. Jahrhundert gesammelt hatte. Auch nach Eröffnung des Neubaus im Jahr 1984 hieß das Haus schlicht »Städtisches Museum«. 2008 kam die Umbenennung. Und jetzt nutzt das Kunstmuseum Gelsenkirchen das Jubiläum – 40 Jahre sind nach Eröffnung des Neubaus vergangen –, um unter dem Motto »Das alles haben wir« eine Neupräsentation der Sammlung zu zeigen. Und die ist wirklich gelungen.
Wie der Museumsbau in Buer auf die Besucher*innen wirkt, kann man gut anhand eines Gemäldes von Gerhard Richter erzählen: Richter, der Anfang der 60er-Jahre aus der DDR nach Nordrhein-Westfalen floh, hat auch in Gelsenkirchen gearbeitet. Von einer seiner Fahrten existiert ein unscharfes Foto, das als sein Werk gehandelt wird. Er hat es aus dem Zug oder Auto von der Künstlersiedlung Halfmannshof geschossen, die in den 60er Jahren große Bedeutung hatte und wichtige Namen anzog.
1966 erwarb die Stadt Richters graues Gemälde »Korridor«, das wie viele zu dieser Zeit nach einer Fotografie entstanden ist und diese durch unscharfe Stellen leicht ins Irreale verschiebt. Der Amtskorridor korrespondiert nicht nur mit René Magrittes daneben hängenden »Le Grande Siècle«, das ebenfalls eine Raumflucht zeigt: Über den Rücken eines Mannes mit Melone schauen wir auf ein herrschaftliches Haus – der Himmel besteht allerdings aus einer tiefhängenden Zimmerdecke, was dem Ganzen einen surrealen Eindruck gibt.
Richters Bild korrespondiert auch mit dem gesamten Museumsbau. Der erinnert vielleicht nicht unbedingt durch seine verschachtelte Architektur an Amtshäuser, aber doch durch seine vielen Treppen und schmalen Türen. Kommt man hinein, ist nicht gleich klar, wo eigentlich die »bedeutenden« Kunstwerke hängen oder stehen. Jeder Mensch muss sich seine eigenen Schneisen schlagen. So verbergen sich auch die neuen Schatzkammern hinter unscheinbaren Türen: die Gemäldegalerie in der Mitte und ein großer Raum mit Nachkriegsmoderne und Pop-Art im Obergeschoss.
Skulpturen, Installationen und Objekte
Weil auch die Gelsenkirchener Sammlung, bedingt durch Zeit oder Zeitgeist nur wenig Arbeiten von Künstlerinnen beherbergt, sind zumindest Werke, die weibliche Figuren jenseits der klassischen Posen oder Akte zeigen, prominent vertreten. Der rheinische Maler Carl Barth etwa hat 1952 »Junge Frau am See (Anni in Hosen)« gemalt, ein ganzfiguriges Portrait seiner Ehefrau. Sie ist dargestellt in einem androgynen Stil, der in den 50er Jahren besonders modern und ausgefallen erschienen sein muss. Auch Lovis Corinth ist der Ehemann der Frau auf dem Gemälde »Die Malerin Charlotte Berend an der Staffelei« von 1902.
In einem schmalen Katalog für alle zum Mitnehmen geben Autor*innen über die Werke Auskunft. Man erfährt, dass sowohl Charlotte Berend als auch Anni Barth, die als Sekretärin an der Kunstakademie Düsseldorf arbeitete, ihren Männern den Rücken stärkten, indem sie etwa die Kinder betreuten, damit ihre Gefährten reisen konnten. Berend gab das Malen trotzdem nicht auf – allein die Tatsache, dass Corinth in Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts eine Malschule für Frauen betrieb, deutet auf eine moderne Haltung und den Aufbruch klassischer Geschlechterrollen hin.
Neben exzellenten Gemälden wartet die Gelsenkirchener Sammlung mit Skulpturen, Installationen und Objekten auf – im Raum mit Nachkriegskunst sind etwa auch Mineralien und Edelsteine ausgestellt, die durch ihre Licht brechenden Effekte mit Werken der Op-Art korrespondieren. Ein Herzstück der Sammlung war außerdem immer die kinetische Kunst – Kunst also, die in Bewegung gerät. Das geschieht meistens durch einen Knopfdruck und eine elektro-mechanische Konstruktion.
Früher lag die kinetische Sammlung ein bisschen versteckt im Untergeschoss. Jetzt dagegen ist sie prominent in den Hauptausstellungsräumen präsentiert. Schon nach dem ersten Treppenaufgang auf dem Weg zur Gemäldegalerie kommt man am ersten Werk vorbei: Die Rede ist von Vassilakis Takis‘ »Gruppe von Signalen« (1968) – Lichtsignale, die an Teleskopstangen montiert sind. Museumsdirektorin Julia Höner, die für die gesamte Neupräsentation verantwortlich ist, hat sie vor einem Vorhang inszeniert wie eine Rockband auf einer Bühne, die per Bewegungssensor automatisch zu spielen anfängt, wenn jemand den Raum betritt.
Es gibt in der kinetischen Sammlung auch sehr fragile Werke, die nur in größeren Intervallen in Bewegung geraten dürfen. Für Ferdinand Büttgens Installation »Pershing« von 1986 etwa mussten extra Teile im 3D-Drucker hergestellt werden, weil sie heute nicht mehr zu bekommen sind. Alle halbe Stunde lassen sich per Schaltung Antennen ausfahren, die indes weit mehr als an Funkamateure denken lässt. Die Assoziationskette führt schnell zu kriegerischen Auseinandersetzungen und dem Abfeuern von (ferngelenkten) Waffen.
Eine aktuelle Position kinetischer Kunst begegnet in Form der Arbeit »Serafina’s Lover« von Rebecca Horn, die Anfang September im Alter von 80 Jahren gestorben ist. Der Zwitter, bestehend aus originalen Schmetterlingsflügeln einer sehr großen, bereits ausgestorbenen Art und einer mechanischen Konstruktion, gerät sogar nur alle zwei Stunden in Bewegung. Es lohnt sich, länger im spannenden Museumsbau zu bleiben, um den Flügelschlag des filigranen Wunderwerks zu beobachten.
»Das alles haben wir: die Sammlung für Gelsenkirchen«
bis 31. Dezember 2025