Wo ist NRW am glücklichsten? Und was sorgt überhaupt für Lebenszufriedenheit? Das wird jedes Jahr von einem Forscherteam analysiert.
In den 70er/80er Jahren setzte sich in der Glücksforschung die Erkenntnis durch, dass ein höheres Bruttoinlandsprodukt nicht unbedingt mit mehr Lebenszufriedenheit zusammenhängt. Der Politikwissenschaftler und Ökonom Max Höfer sowie der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen wunderten sich darüber und wollten dem scheinbaren Widerspruch mit empirischen Daten auf die Schliche kommen. Sie untersuchten Glücks- und Unglücksfaktoren und initiierten den sogenannten Glücksatlas. Die erste Ausgabe erschien 2011, beide sind auch heute noch Teil des Leitungs- und Redaktionsteams. Weitere Partner und Mitarbeitende kamen hinzu: Heute werden die Daten hauptsächlich vom Institut für Demoskopie Allensbach geliefert, dessen Mitarbeitende monatlich 1000 Menschen nach ihrer Lebenszufriedenheit befragen. Andere Institute werden zudem mit kleineren Sonderumfragen beauftragt.
Nach einem Sponsoring durch die Deutsche Post ist seit 2022 ausgerechnet die Süddeutsche Klassenlotterie (SKL) an Bord. Laut Eigendarstellung steht die SKL »für die tägliche Chance auf Glück in Form von Geld- und wertvollen Sachgewinnen«. Die Diskussion, ob mehr Geld glücklicher macht, ist für das Unternehmen also entsprechend relevant – ebenso wie Studien, wie man mit einem Gewinn am sinnvollsten umgeht, um nachhaltig zufriedener zu sein.
Sozialer Zusammenhalt zählt
Im deutschlandweiten Ranking 2024 landeten diesmal gleich fünf NRW-Städte in den Top Ten, die von Kassel auf Platz 1 und Erfurt auf Platz 2 angeführt wird: Aachen kam auf Rang 3, gefolgt von Krefeld (5), Münster (6), Düsseldorf (8) und Mönchengladbach (10). Auf der Glücksatlas-Website gibt es detaillierte Factsheets zu den 40 größten Städten bundesweit. Von Over- und Underperformern ist dort die Rede – gemessen an der Gegenüberstellung von sogenannten objektiven und subjektiven Glücksfaktoren. Die objektiven Daten speisen sich aus amtlichen und weiteren öffentlich verfügbaren Statistiken, subjektive Faktoren erfassen das empfundene Lebensglück in regelmäßigen Umfragen. Daraus ergibt sich mitunter allerdings auch ein Kontrast: Duisburg liegt mit Rang 13 im Mittelfeld, die Lebensqualität dort müsste aber laut objektiven Daten auf dem letzten Rang liegen: »Ähnlich wie in Mönchengladbach und Krefeld sind die Einwohner offenbar deutlich glücklicher, als es die Statistiken der Wohlfahrtsindikatoren erfassen«, ist auf der Glücksatlas-Website zu lesen.
Eine umfangreichere Fassung des Glücksatlasses erscheint jährlich als Buch. »Am Ende wird meist nur das Ranking in der Öffentlichkeit wahrgenommen – dabei sind die anderen Analysen oft noch spannender«, sagt Timon Renz. Der 33-jährige wissenschaftliche Mitarbeiter gehört zum Team hinter dem Glücksatlas und betont, dass es dabei nicht um individuelles Glück im Sinne eines psychologischen Ansatzes geht. Vielmehr betrachte man das Land volkswirtschaftlich wie aus der Vogelperspektive mit dem Ziel, unterschiedliche Entwicklungen in Deutschland nachzuvollziehen.
Mit den jährlich 12.000 Datensätzen nimmt das Glücksatlas-Team auch Zusammenhänge zwischen Zufriedenheit und Lebensumständen wie etwa dem Einkommen und der Haushaltsgröße unter die Lupe. Die Erkenntnisse: Fehlender sozialer Zusammenhalt ist der Zufriedenheitshemmer Nummer 1, gefolgt von Arbeitslosigkeit. Die Zunahme von Eine-Person-Haushalten ist ein Trend, der schon seit Jahrzehnten anhält: »Die Menschen leben immer häufiger allein und pflegen immer weniger enge Kontakte. Früher waren es fünf bis sechs enge Freunde, heute sind es zwei bis drei«, führt Renz aus. Kommunalpolitisches Engagement etwa könne helfen, ein Verbundenheitsgefühl herzustellen.
NRW stünde als Gesamtbundesland im Ranking allerdings vergleichsweise recht gut da, vor allem die Regionen rund um Köln, Düsseldorf und das Münsterland seien weit vorn. Laut Renz‘ Prognose werden sie das auch bleiben. Mehr noch: »NRW-Städte werden von außerhalb völlig unterschätzt«, sagt er. Renz spricht von NRW als »kleines Deutschland«, da das Bundesland sehr heterogen sei. Eines von sechs sogenannten Glücksgebieten sei der Landkreis Düren: Der Grund läge in einer vergleichsweise hohen Vereinsdichte, die soziale Verbundenheit der Menschen untereinander wäre dadurch hoch. Zudem liegt Düren günstig zwischen den Metropolen Aachen und Köln – ländliche Strukturen in unmittelbarer Nähe zu Großstädten und attraktiven Arbeitgebenden. »Man trägt sich hier gegenseitig und trifft bei Festen immer wieder die gleichen Leute, die meist vergleichsweise sichere Jobs haben«, so Renz.
Insgesamt gibt es aktuell einen Aufschwung bei der Lebenszufriedenheit in Deutschland, eine Erholung nach der Covid-19 Pandemie. Wie lange der Trend angesichts steigender Arbeitslosenzahlen und schwächelnder Wirtschaft anhält, ist allerdings fraglich. »Die große Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist nicht generell unzufrieden«, sagt Renz. »Eine Konzentration auf die spezifischen Herausforderungen des kleineren Teils unzufriedener Menschen wäre umso wichtiger.« Dazu liefert der Glücksatlas zumindest eine Datengrundlage, mit der das Team auch immer wieder aktuelle Entwicklungen genauer betrachten kann: Die Pandemie etwa beeinträchtigte das Glück von Frauen mehr als das von Männern – was Anlass für die Veröffentlichung einer Sonderstudie war.