Die Schnecke sitzt schon im Startloch. Ende September macht sie sich auf den Weg zur »Grand Snail Tour«. Die »Große Schneckentour«, das neue Projekt der Urbanen Künste Ruhr, bereist alle 53 Städte des Ruhrgebiets. Überall wird Station gemacht. Was hat das unternehmungslustige Kriechtier vor? Darüber sprachen wir mit Britta Peters, künstlerische Leiterin von Urbane Künste Ruhr und Initiatorin des Projekts.
kultur.west: Wir kennen das »Ruhr Ding«, mit dem die Urbanen Künste Ruhr die vergangenen Jahre über unterwegs waren im Revier. Nun haben Sie sich ein neues Format ausgedacht, das die Gegend noch gründlicher durchkämmt. Über 50 Städte wird die »Grand Snail Tour« bereisen und drei Jahre lang unterwegs sein. Die Schnecke im Titel bezieht sich aber sicher nicht zuerst auf das Tempo der Tour?
PETERS: Die Tour startet in Xanten und reist an den Rändern des Ruhrgebiets entlang, um sich dann wie in einer Spirale der Mitte zu nähern – wie eine Zimtschnecke, um noch einmal eine andere Assoziation zu wecken. Alle zwei bis drei Wochen werden wir einen Stopp einlegen, immer donnerstags ein Programm bieten, das wir zusammen mit Künstler*innen und den Menschen vor Ort entwickelt haben. Endpunkt ist 2027 Herne im Zentrum des Ruhrgebiets. Auf der Reise werden wir im Laufe der drei Jahre einen Wandel erfahren. Die geografische und urbane Landschaft wechselt, aber auch das politische Klima.
kultur.west: Wie kam es zu dieser doch eher ungewöhnlichen Idee einer künstlerischen Ruhrgebietsreise?
PETERS: Bisher haben wir unsere Veranstaltungen häufig sinngemäß beworben mit: »Kommt zu uns!«. Jetzt wollten wir die Sache einmal umgekehrt angehen und damit auch mehr und andere Menschen erreichen, immerhin leben hier ja fünf Millionen. Wir kommen auf die öffentlichen Plätze in den Städten und bringen unsere Bühne, unseren Ausstellungsraum gleich mit. Denn wir reisen mit einer Art Markttrailer.
kultur.west: Kennen Sie bereits alle Städte des Ruhrgebiets, waren Sie schon dort, oder betreten Sie Neuland?
PETERS: Ich bin noch nicht überall gewesen. Aber es kommen jetzt bei den Vorbereitungen der »Grand Snail Tour« immer mehr Orte hinzu. Das war auch eine Motivation dieser Reise – das Revier näher zu erforschen. Mit den Menschen, Gruppen, Institutionen in Kontakt zu kommen und Einzelheiten, kleine ungewöhnliche Geschichten zu erfahren. Jeder, mit dem man spricht, hat eine andere Story auf Lager. So entsteht mit der Zeit eine Sammlung von Gegenkulturgeschichten. Der historische Kanon im Revier ist ja durch Männer bestimmt, die harte Arbeit verrichtet haben. Wir hoffen auf neue Geschichten, die Vergangenheit und Gegenwart auch aus migrantischer und feministischer Perspektive betrachten.
kultur.west: Die »Grand Snail Tour« ist also auch so etwas wie eine Expedition, die lange vor der eigentlichen Darbietung beginnt?
PETERS: Genau. Es ist nicht so, dass wir irgendwohin fahren, und zack stehen wir mit unserem Trailer auf dem Marktplatz oder anderswo – wie ein UFO. Gemeinsam mit Julian Rauter als Kurator für Outreach und dem Team bereiten wir das Programm in jeder Stadt gründlich vor und setzen dabei immer auf eine Mischung: Wir laden Künstler*innen ein, bestimmte Projekte für die Tour zu entwickeln, aber wir schauen auch immer, welche Gruppen oder Akteure wir vor Ort treffen können und wer mit uns zusammenarbeiten möchte.
kultur.west: Wie könnte so eine Kooperation mit den Akteuren vor Ort aussehen? Welche Rolle spielen sie zum Beispiel beim Tour-Start am 26. September in Xanten?
PETERS: Bei unseren Recherchen in Xanten haben wir erfahren, dass die letzte Trinkhalle in der Innenstadt vor einiger Zeit geschlossen wurde und dass diese Kultur dort nun gar nicht mehr stattfindet. So kamen wir auf die Idee, unseren Trailer zur temporären Trinkhalle umzubauen. Dafür arbeiten wir in Xanten mit zwei Künstlerinnen zusammen, Paula Erstmann und Lisa Klosterkötter, die vorab in Workshops mit Jugendlichen ein spezielles Sortiment für die Trinkhalle entwickeln. Wir stellen uns morgens mit dem Kiosk bereits auf den regulären Wochenmarkt, später am Tag kommt noch die Künstlerin Mona Schulzek hinzu, die mit ihrem Outer Space Transmitter Botschaften ins All sendet.
kultur.west: Haben die Themen immer etwas mit den Orten zu tun?
PETERS: Ja, das beginnt schon mit der Fragestellung, wo denn in der betreffenden Stadt ein öffentlicher Platz ist. Für kleinere Städte ist das einfacher zu beantworten als für eine Stadt wie Duisburg oder Essen. Da gibt es, je nach Perspektive, mehrere konkurrierende Standorte, aus denen wir wählen müssen. Das Programm ist dann jeweils maßgeschneidert. Gleichzeitig gibt es serielle Momente, die die ganze Tour begleiten. Die Duisburger Autorin Lütfiye Güzel zum Beispiel destilliert aus den Lokalzeitungen durch Schwärzungen für jede Stadt einen kurzen poetischen Text, ihre so genannten Local Blackouts. Und vieles mehr.
kultur.west: Bei solch temporären Projekten drängt sich die Frage nach einer nachhaltigen Wirkung auf. Was bleibt zurück, wenn die Schnecke weiterzieht in die nächste Stadt?
PETERS: Nachhaltig kann die »Grand Snail Tour« auf unterschiedlichen Ebenen sein: Zum einen werden wir begleitet von sogenannten Chronist*innen – Künstler*innen, Zeichner*innen, Autor*innen – die zur selben Zeit am selben Ort sind wie wir und ihre Eindrücke und Erlebnisse verarbeiten. Nachhaltig sind aber auch die Netzwerke, die bei der »Grand Snail Tour« geknüpft werden, unter den Menschen und Institutionen in einer Stadt, aber auch von einem Ort in den nächsten. Ein weiterer Effekt ist, dass wir nicht nur etwas über die Orte und ihre Geschichte erfahren, sondern dass die Menschen auch die Arbeit der Urbanen Künste Ruhr kennenlernen. Die Tour ist ein großes Abenteuer, bei dem alle Beteiligten viel lernen werden. 53 Städte, 53 Chancen wie Lütfiye Güzel es formuliert hat.
Zur Person
Britta Peters arbeitet als Kuratorin mit Schwerpunkt Kunst im öffentlichen Raum. Seit Januar 2018 ist sie Künstlerische Leiterin von Urbane Künste Ruhr. Zuvor war sie als Kuratorin im Team mit Marianne Wagner und dem kürzlich verstorbenen Kasper König als künstlerischem Leiter für die Skulptur Projekte Münster 2017 verantwortlich. Die Kulturwissenschaftlerin hat verschiedene größere Ausstellungsprojekte in Hamburg kuratiert, unter anderem 2008 bis 2011 als Leiterin des Kunstvereins Harburger Bahnhof.
Ein Festakt zur Eröffnung der »Grand Snail Tour« findet am 26. September
auf dem Marktplatz in Xanten statt.