Der Dadaismus rebellierte gegen alles – auch gegen die starre Rollenzuschreibung von Mann und Frau. Das kreative Potenzial, das der dadaistischen »Unordnung der Geschlechter« entsprang, enthüllt jetzt eine Ausstellung im Arp Museum Rolandseck. Sie lenkt das Augenmerk auf die bislang unterschätzten Dada-Frauen.
Dass Julia Wallner an vorderster Front jener Ausstellungsmacher*innen agiert, die eine Lanze für bislang verkannte Künstlerinnen brechen, hat sie erst kürzlich mit ihrer Schau »Maestras« bewiesen. Von 1500 bis 1900 reichte der Radius dieser Würdigung unterschätzter Malerinnen. Mit ihrer aktuellen Präsentation nimmt die Direktorin des Arp Museums den feministischen Faden auf und spinnt ihn fort ins frühe 20. Jahrhundert. Der Dadaismus, 1916 in Zürich aus der Taufe gehoben, ist das Thema der Schau. Eine subversive, schrille Bewegung, der schon nach wenigen Jahren die Luft ausging – die bahnbrechende Idee, aus der statischen Kunst eine rasante Performance zu machen, wirkt jedoch bis heute nach.
Wer diese Kunstrichtung definieren will, begegnet Schwierigkeiten. Sie haben damit zu tun, dass der Dadaismus kein Stil war, sondern eine Haltung. Und diese hatte sich die Losung »Antikunst« auf die Fahnen geschrieben. Dem Massenmorden im Ersten Weltkrieg und dem rapiden Verfall althergebrachter Ordnungen und Werte begegneten die Dadaist*innen mit einer Totalopposition, die in gezielten Provokationen mündete: Die Revoluzzer*innen pfiffen auf Vernunft und zivilisiertes Benehmen; sie attackierten die bürgerliche Gesellschaft und ihre festgezurrten Geschlechtergrenzen. Sie praktizierten Crossdressing; sie liebten das Exzentrische, das Bizarre und Paradoxe. Die Collage, die zusammenbringt, was nicht zusammengehört, erwies sich als ideales Medium für die Darstellung einer als zersplittert empfundenen Welt.
Gemälde, Zeichnungen oder Skulpturen – bis dahin die Domäne der bildenden Kunst – taugten dagegen nur bedingt als Werkzeuge dadaistischer Agitation. Deshalb spielen sie eine Nebenrolle in der Ausstellung des Arp Museums, obwohl sie mit einigen eindrücklichen Bildern aufwarten kann. Beispielsweise mit Robert Delaunays »Porträt von Tristan Tzara«, den Selbstbildnissen des nachmaligen Expressionisten Fritz Stuckenberg, Kostümentwürfen von Sonia Delaunay, Arbeiten der Kölner Dadaisten Marta Hegemann und Heinrich Hoerle oder Hannah Höchs putzmunterer Allegorie »Vita immortalis (Werden und Vergehen)«.
Zwar sind auch die Herren der dadaistischen Schöpfung vertreten in dieser breitgefächerten Übersicht, die rund 200 Gemälde, Papierarbeiten, Fotografien, Filme und Texte aufbietet; allerdings erscheinen sie hier – anders als bei früheren Dadaismus-Präsentationen – eher als Wegbegleiter denn Wegbereiter. Als prima inter pares hingegen beherrschen Dadaistinnen wie Sophie Taeuber-Arp, Elsa von Freytag-Loringhoven, der Stummfilm-Vamp Musidora (eigentlich Jeanne Roques), Emmy Hennings oder Hannah Höch die Ausstellungsbühne des Richard-Meier-Baus. Dabei dienen die Dada-Zentren Zürich, Berlin, Köln, Paris und New York als Orientierungspunkte, um die Stoff-Fülle zu bändigen.
Dank seiner Sammlungspräsentation »Kosmos Arp. Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp – ein Künstlerpaar der Avantgarde« ist das Haus in Remagen, kurz hinter der NRW-Landesgrenze gelegen, prädestiniert für die Dada-Ausstellung. Schließlich sind die beiden Namenspatrone des Museums, die 1922 heirateten, Dadaisten der ersten Stunde: 1914 wandte Hans Arp Deutschland den Rücken, um dem drohenden Kriegsdienst zu entgehen. In Zürich gehörte der Deutsch-Franzose ebenso zum inneren Zirkel der Künstlerkneipe Cabaret Voltaire wie Sophie Taeuber, die als Ausdruckstänzerin in der Geburtsstätte des Dadaismus auftrat. Mit abstrakten Wandteppichen, Marionetten und ihren geometrischen Dada-Köpfen hat sich die Schweizerin in die Moderne eingeschrieben.
Ohnehin finden sich in den Reihen der Dadaisten erstaunlich viele Künstlerpaare. Emmy Hennings und Hugo Ball in Zürich, Hannah Höch und Raoul Hausmann in Berlin, Suzanne Duchamp und Jean Crotti in Paris – nur einige Beispiele der dadaistischen Lebens- und Arbeitsgemeinschaften. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Männer in der Regel das größere Sendungs- und Geltungsbewusstsein hatten. Einer der Gründe, weshalb ihr Anteil an dieser geschlechtsübergreifenden künstlerischen Revolte überbetont wird. Die Frauen dagegen tendierten dazu, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen.
Vom Dadaismus zum Katholizismus
So wie Emmy Hennings, als Schriftstellerin, Schauspielerin, Puppenspielerin, Sängerin und Kabarettistin die personifizierte Vielfalt. Auch der geniale Taufakt der Bewegung ging nach ihrer Aussage auf die Pionierin zurück: »Dada – das Wort stammt von mir und ich hab’s in einer Spielerei oft Hugo gesagt, wenn ich spazieren gehen wollte. Alle Kinder sagen zuerst ‚Dada‘.« Doch schon 1917 vollzogen die beiden den Bruch mit dem Dadaismus, verbunden mit der größtmöglichen Kehrtwende: Sie wandten sich dem Katholizismus zu.
Nach dem frühen Tod von Hugo Ball – er starb schon 1927 – setzte Emmy Hennings eigene künstlerische Ambitionen hintan, um sich ganz der Nachlassverwaltung zu widmen. Sie sah sich als »lebendiges Tagebuch von ihm«. Eine Definition, die an Selbstaufgabe grenzt. Ein 1915 entstandenes Foto, das in der Ausstellung zu sehen ist, zeigt Emmy Hennings bei einem Bühnenauftritt als gefährlich-verführerische Spinne. Am Ende hatte sie sich im Netz der Verklärung von Ball heillos verstrickt.
Da war Elsa von Freytag-Loringhoven von anderem Schrot und Korn. Die skurrile Deutsche, 1874 in Swinemünde als Elsa Hildegard Plötz geboren, schon 1927 in Paris gestorben, ist der eigentliche Star der Ausstellung im Arp Museum. 1913 heiratete sie den zehn Jahre jüngeren Leopold von Freytag-Loringhoven, gelangte so an den Titel »Baroness« und zog nach New York. Dort mischte sie an der vordersten Avantgarde-Front mit. Und das nicht allein wegen ihrer auf Schock setzenden Performances – als »lebende Skulptur« lief sie durch New York, bekleidet mit Tomatendosen als Büstenhalter, Gardinenringen als Armreifen und Löffeln als Ohrringen. Bisweilen gehörte ein künstlicher Penis zur Ausgehgarderobe. Hemmungen kannte sie keine: Sie drehte sogar einen Film mit dem Titel »Elsa, Baroness von Freytag-Loringhoven, Shaving Her Pubic Hair« – von der Schamhaar-Rasur ist nur ein einzelnes Standbild erhalten.
Nicht so spektakulär, aber mindestens ebenso kontrovers ist eine These, die ihre Biographin Irene Gammel verficht. Die Autorenschaft an dem berühmten und unsignierten Urinal »Fountain« (1917), das als erstes Ready-made unser Verständnis von Kunst auf den Kopf stellte, gebühre nicht dem berühmten Marcel Duchamp, dem Erfinder der Konzeptkunst, sondern der vorübergehend in Vergessenheit geratenen Dada-Baroness. Glaubt zumindest die Gender-Forscherin, ohne einen stichhaltigen Beweis vorlegen zu können. Schade, dass wir weder die Baroness noch den Künstler dazu befragen können. Duchamp, der Meister der Verstellung, dessen weibliches Alter Ego »Rrose Sélavy« perfekt zum Tenor der Schau im Arp Museum passt, hielt jedenfalls große Stücke auf seine Kollegin: »The Baroness is not a futurist. She is the future.«
»der die Dada. Unordnung der Geschlechter«
Arp Museum Rolandseck, Remagen
Bis 12. Januar 2025