Tobias Esch ist Professor für Gesundheitsförderung an der Uni Witten/Herdecke und erfolgreicher Autor. In seinem aktuellen Buch »Wofür stehen Sie morgens auf?« schlägt er vor, dass wir zur Definition von Gesundheit auch die subjektive Dimension von Sinn, Bedeutung und Glücksempfinden hinzufügen.
Wenn wir von Glück sprechen, kann vieles gemeint sein: Ein guter Moment, eine erfolgreiche Entwicklung, ein dauerhafter Zustand, ein Gefühl. Wenn Tobias Esch sich festlegen soll, was Glück ist, dann antwortet er: »Als Erforscher des Belohnungssystems im Gehirn sage ich erstmal: Es ist ein Gefühl.« Der 54-Jährige, der an der Uni Witten/Herdecke als Professor für Integrative Gesundheitsversorgung und Gesundheitsförderung wirkt und erfolgreiche Bücher unter anderem mit Eckart von Hirschhausen schreibt, mag es eigentlich nicht, Glücksforscher genannt zu werden. Das klingt ihm zu sehr nach Wellness und rosa-roter Brille. Glück ist für ihn eine ernsthafte Sache, ein Begriff, mit dem er unser Verständnis von Gesundheit auf eine neue Ebene heben will.
In seinem aktuellen Buch spielen Konzepte von Glück und Zufriedenheit eine große Rolle. Es heißt »Wofür stehen Sie morgens auf?« und erklärt, warum Sinn und Bedeutung entscheidend für die persönliche Gesundheit sind. Sinn und Bedeutung sind Dimensionen, die jeder Mensch für sich erfahren, sich selbst bilden muss. Es ist selten, dass man einen Menschen nach dem Sinn im Leben fragt und sofort eine griffige Antwort bekommt. Tobias Esch bietet in seinem Buch eine schöne an.
Erkenntnisse aus dem Krankenhaus
»Der Sinn des Lebens war das Leben an sich. Das Sinnliche im Leben. Das Menschliche. Die Begegnungen, Berührungen, auch die Natur«, schreibt er im Rückblick, weil ihm die Erkenntnis bei einem Praktikum im Krankenhaus kam: »Der Sinn war schlicht, dass man da war, Anteil nehmen konnte. Über alles andere ließ sich rätseln, über ein Leben nach dem Tod spekulieren, ob es eine Richtung gäbe, einen Gott, all diese Dinge. Doch letztlich blieb alles vage, wirklich definitive Antworten konnte einem keiner geben, auch man selbst nicht. Aber das eine, das wusste ich an jenem Tag glasklar, fühlte es mit meinem ganzen Körper: Das Jetzt, dieser eine Moment, das Leben als solches, das hier, das ist real! Und es genügt.«
Erst als Tobias Esch diesen Sinn und diese Bedeutung in seinem Leben, in seiner Tätigkeit erkannt hatte, konnte er ein klares Ja für den Beruf des Arztes entwickeln. Nach dem Studium in Göttingen, der Schweiz und Malaysia arbeitete er als Allgemeinmediziner. In dieser Zeit hat er einige Geschichten erlebt, die er als guter Erzähler anschaulich in seinem Buch ausbreitet. Da geht es zum Beispiel um einen Bauern aus dem Münsterland, der regelmäßig mit starken Rückenschmerzen in der Praxis auftaucht und jedes Mal einfach nur eine Spritze zur Entspannung möchte. Irgendwann kann er gar nicht mehr. Bei einem Hausbesuch erfährt der Arzt, dass er in einer verzweifelten Lage ist, sein Leben als unglücklich und in einer Sackgasse empfindet. Seine Frau weist Spuren einer Demenz auf, die Zukunft seines Hofes ist ungewiss.
Vor allem durch ein längeres Gespräch von Arzt und Patient, dadurch dass sich der Bauer seine Situation einmal klar vor Augen ruft, auch einen Sohn mit einbezieht, setzt sich eine Veränderung in Gang. Der Sohn stellt klar: Wir lassen dich hier nicht hängen, werden den Hof erhalten. Der Arzt, der weiß, dass sein Patient auch gerne singt, stellt den Kontakt zu einem anderen Praxisbesucher her, der einen Land-Chor gründen will. Ein Jahr später erfährt er mehr zufällig durch den Sohn des Bauern, dass der Vater wie ausgewechselt sei, im Chor singe, mit Glück und Zufriedenheit seiner Tätigkeit nachgehe und von Rückenschmerzen keine Rede mehr sei.
Der innere Arzt
Sicher ist es nicht immer so einfach möglich, zu Sinn und Bedeutung im Leben zu finden, nicht immer lassen sich körperliche Leiden durch eine neue Lebenseinstellungen so direkt aus der Welt schaffen. Tobias Esch plädiert jedoch darauf, die Dimension von Sinn und Bedeutung, vom persönlichen Lebensglück in die Definition von Gesundheit aufzunehmen: »In der Medizin ist Gesundheit genau definiert«, sagt er. »Da gibt es objektive Kriterien, Norm- und Referenzwerte. Weicht etwas ab von diesen Werten, schaut man nach im Bereich von körperlichen oder psychischen Symptomen oder von sozialer Teilhabe, wo die Gründe liegen könnten. Diese drei Bereiche kann ich objektivieren, operationalisieren und behandeln.«
Er möchte diesen drei Dimensionen nun noch eine vierte hinzufügen – die subjektive, die Bedeutungs-Dimension: »Es geht also darum, dass ich als Patient selbst gefragt werde, wie ich mich eigentlich fühle. Das kann man nämlich nicht sehen von außen. Neben dem äußeren Arzt, der mich behandelt und die drei bekannten Dimensionen prüft, sollte es also auch den inneren Arzt geben, mich selbst, die erste Person.«
Nur der Mensch selbst könne, wenn er morgens vor dem Spiegel steht, darüber entscheiden, ob das heute ein guter Tag ist oder nicht. Deshalb sei es so wichtig, zu überlegen: Was treibt den Menschen an? Was bringt ihn zu bestimmten Entscheidungen? Was bringt ihn dazu, abzugleichen und zu entscheiden: Mein jetziger Zustand ist nicht gesund.
»Wenn ich zwischen dem, wo ich sein möchte, und dem, wo ich bin, eine unüberbrückbare Lücke wähne, dann finde ich mich in meinem Tag nicht richtig wieder. Wenn das Tag für Tag passiert, werde ich chronisch unglücklich.«
Tobias Esch
Aus diesem Grund beschreibt Tobias Esch etwa Burn-Out als Unglückserkrankung. 70 bis 90 Prozent aller Menschen fühlten sich in ihrem Leben und ihrem Job nicht im Einklang, nicht am richtigen Ort, nicht richtig verwurzelt. Warum das so ist? Der Gesundheitsforscher glaubt, es liegt daran, dass wir Menschen oftmals im Außen versuchen, den Sinn und Glück im Leben zu finden, die aber am Ende nur in uns selber zu finden seien. »Ich glaube, wir alle merken: Die Welt, auf der ich gestern noch sicher stand, ist heute nicht mehr sicher. Die Deutsche Bahn kommt nicht mehr pünktlich, die Klimakatastrophe kommt, der nächste Krieg sowieso. Das heißt also, dass das Glück immer mehr vom Privaten abhängt. Die Leute, die es schaffen, sich im Biedermeier nett einzurichten, die können das unter der Glocke aushalten. Aber sobald man rausgeht – und wir leben in einer mobilen Welt – merken wir: Hier ist es schwer, zuhause zu sein.«
Aber wie kann man das Glück dann finden, das dauerhafte, das nicht von äußeren Umständen abhängig ist? Tobias Esch erklärt in seinem Buch, dass es von Lebensalter abhängig Unterschiede im Glückserleben gibt: In der Jugend suche der Mensch vor allem Vergnügen und Nervenkitzel. Glück sei in diesem Abschnitt geprägt durch Vorfreude, Lust und Ekstase. Im Erwachsenenalter erlebten die meisten Menschen Stress, etwa durch berufliche, finanzielle und familiäre Herausforderungen. Sie tendierten dazu, ihr Glück von der Vermeidung von Schmerz oder Bedrohung abhängig zu machen. Es sei ein Gefühl der Erleichterung, wenn dauerhafter Stress oder Unglück eine Pause einlegen.
Die erstaunliche These des Autors ist: Glück und Zufriedenheit steigen in einem Alter ab ungefähr 60 Jahren aufwärts. Es sei ein dauerhafter Zustand, der selbst Krisen im Außen oder Diagnosen chronischer Krankheiten standhalte. Die Menschen brauchten im Alter trotz körperlicher Beschwerden nur wenig, um zufrieden zu sein. »Dieser spätere Lebensabschnitt ist meist der Punkt, an dem die Euphorie und Stressvermeidung allmählich übergehen in ein tiefes, beruhigendes und dauerhaftes Gefühl von Glück und Zufriedenheit, auch Dankbarkeit. […] In dieser Phase geht es weniger um das Ich oder Ego oder den Schutz des bisher Erreichten, der eigenen Existenz oder der Familie, sondern mehr um das WIR, das Verbinden und Einsinken ins Große und Ganze, das Ankommen und Einlaufen in den Hafen.«
Tobias Eschs Buch »Wofür stehen Sie morgens auf?« ist in der Gräfe und Unzer Edition erschienen (240 Seiten, 24 Euro)