Mit »Unlocking Paradise« bringt die Ruhrtriennale diverse Communities, eine Schauspielerin und zwei Musiker*innen gemeinsam auf die Bühne.
»Unlocking Paradise« ist ein interkulturelles Großprojekt – insgesamt 50 Menschen werden bei den drei Aufführungen im September gemeinsam auf der Bühne spielen, singen, tanzen, erzählen. Es sind Sänger*innen mit Wurzeln in Nahost des Ensembles »Orpheus XXI NRW«, Tänzer*innen der Dortmunder Sinti*zze-Rom*nja-Gruppe »Romano Than« und Schauspieler*innen der transgenerationalen Laiengruppe »The Remains«. Ohne ihr gemeinsames Projekt bei der Ruhrtriennale kämen diese Communities vielleicht nie zusammen.
Ruhrtriennale-Dramaturg Tomasz Prasqual hat die Recherche für das Projekt vor über einem Jahr begonnen. Seine Idee fußt auf Erika Runges »Bottroper Protokollen« – ein großes Werk der Dokumentarliteratur von 1968, für das die Schriftstellerin und Regisseurin Erfahrungsberichte von Arbeiter*innen aus dem Ruhrgebiet sammelte. »Protokolle aus’m Pott« heißt entsprechend das Ruhrtriennale-Projekt im Untertitel. »Die Menschen hier im Ruhrgebiet sind sehr divers, es gibt viele Nationalitäten durch mehrere Migrationswellen, es gibt die Nachfolger*innen der Arbeiter, es gibt die neu Zugewanderten«, sagt Prasqual. Was treibt die Menschen um im Ruhrgebiet? Was bringen sie mit? Und was können wir voneinander erfahren und lernen? Mit diesen Fragen gingen er und sein Team auf die unterschiedlichen Gruppen zu. Herausfinden wollen sie, was das Gemeinsame dieser Menschen ist: Vielleicht haben der rumänische Tänzer, die syrische Sängerin und der deutsche Laienschauspieler die gleiche Sehnsucht, die gleichen Träume? Das Nachsinnen über das Paradies – als einem Ort, an dem wir uns sicher fühlen – könne alle Kulturen verbinden, da ist Prasqual sich sicher. Alte Muster der Kommunikation, wie wir mit- und vor allem übereinander reden, will das Projekt hinfällig machen.
Auf der Bühne, die neben der Spiel-Fläche auch eine »halb-private Lounge-Area« bieten soll, legen die Performenden Objekte ab, Stellvertreter-Gegenstände wie ein Notizheft oder ein Paar Socken, die Teil ihrer Geschichten sind und von der Schauspielerin Harriet Kracht als einer Art Mnemosyne, der Göttin der Erinnerung, archiviert werden. Es wird nicht immer klar zuzuordnen sein, wem die Gegenstände gehören und wessen Geschichte da gerade erzählt wird. Das individuelle Schicksal erlebt als eine universelle Erfahrung – das möchte Prasqual mit dieser Stückentwicklung möglich machen. Dabei wird er von Jelena Ivanovic als Choreografin unterstützt, die Regie übernimmt Ivo Van Hove. Für den Ruhrtriennale-Intendanten ist Kunst immer auch eine Übung in Empathie: »Es gibt im Ruhrgebiet eine breite Mischung an verschiedenen Kulturen und das ist ein großer Vorteil, auch für mich als Künstler. Mit ‚Unlocking Paradise‘ sprechen wir eines der Kernthemen unseres Festivals an: Was verbindet uns über alle Generationen, Geschlechter, Religionen, ethnischen und sozialen Hintergründe hinweg? Wir wollen gemeinsame Erfahrungen schaffen und zum Austausch einladen».Tomasz Prasqual ist es im Gespräch anzumerken, dass dieses Projekt besondere Energie, Geduld und Sensibilität erfordert. Da gibt es die unterschiedlichen Feiertage der Kulturen, die reguläre Arbeit der einzelnen Beteiligten, die ja nicht als professionelle Künstler*innen beschäftigt sind, den Stolz und die künstlerischen Ambitionen jeder einzelnen Gruppe. Aber nicht weniger ist die Hoffnung zu spüren, die das Projekt mit sich bringt. Diese Pott-Protokolle erheben keinen Anspruch auf dokumentarische Vollständigkeit, sie glauben an die Kraft der Kunst, Utopien zu erschaffen.
7. und 8. September
Pact Zollverein, Essen
ruhrtriennale.de