Caroline Wahl hat nur wenige Monate nach ihrem gefeierten Debüt die Fortsetzung ihrer anrührenden Familiengeschichte »22 Bahnen« vorgelegt: Beim Literarischen Sommer liest sie aus »Windstärke 17« und erzählt, wie es mit den beiden Töchtern einer Alkoholabhängigen weitergeht.
Am Ende kommt der Loverboy. Und dann auch noch mit einem Surfboard. Leif rettet die verzweifelte Ida vor dem Ertrinken in der tosenden Ostsee und ein Stück weit sich selbst mit. Klingt kitschig? Ist es aber nicht. Auch wenn Caroline Wahls zweites Buch an manchen Stellen dann doch an einen konventionellen Coming-of-Age-Film erinnert. Auch wenn »Windstärke 17« ein bisschen was von »Wohlfühlprosa« hat, wie zuletzt Melanie Mühl in der FAZ über das Buch schrieb. Klischees haben in dieser Liebesgeschichte nur begrenzt Platz. Dazu kreist ihr Plot zu sehr um einen ernsten, ja, manchmal schmerzhaften Kern.
Im vergangenen Jahr war Caroline Wahl mit »22 Bahnen« gleich auf der Spiegel-Bestsellerliste gelandet. Ein Überraschungserfolg, schließlich hatte es die erst 28-Jährige mit ihrem Debüt in die Top Ten der beliebtesten deutschen Bücher geschafft. Realistisch, hart, aber herzlich, in direkten, kurzen Sätzen wurde darin die Geschichte zweier Schwestern erzählt, die verzweifelt mit der Alkoholsucht ihrer Mutter und um kleine Ausfluchten kämpften. Aus der Ich-Perspektive berichtete die Mathematik-Studentin Tilda, wie sie sich und die kleine Ida durch den tristen Alltag manövrierte – auf der Suche nach gegenseitigem Halt und dem eigenen Glück. Geradezu trotzig rangen die beiden Mädchen dem »Mutter-Monster« doch noch Raum für Liebevolles ab.
Wut und Wärme
Das ist auch die große Leistung in Caroline Wahls zweitem Buch, in dem Traurigkeit mit Lebenslust, Wut mit Wärme so eng zusammenhängen: Tilda hat sich inzwischen ein eigenes Leben als Mathematik-Dozentin in Berlin aufgebaut. Ida hat die Schule zwar abgeschlossen, war aber immer bei der selbstzerstörerischen Mutter in der Kleinstadt geblieben – bis sie sie eines Tages tot auffindet. Kurzentschlossen reist sie daraufhin ans Meer, auf die Insel Rügen und lernt unverhofft das alte Ehepaar Marianne und Knut kennen, das das sperrige, traumatisierte Mädchen spontan bei sich aufnimmt. Ihr Leif, den Surfer, vorstellt. Und selbst feststellen muss, dass Wahlverwandtschaften vielleicht manchmal die innigsten Beziehungen ergeben. Dass die selbstgewählten Bande manchmal leichter geknüpft werden und dauerhafter halten als die auferlegten.
Wie schon zuvor spielt das Wasser auch in »Windstärke 17« eine zentrale Rolle: Zum Schwimmen hatte sich Tilda schon im ersten Band aus dem Alltag davon geflüchtet. Nun ist es Ida, die die akkuraten Bahnen ihrer Schwester im Freibad gegen die tosenden Massen der Ostsee tauscht und gegen »Windstärke 17«, ihre Wut und Traurigkeit anschwimmt. »Heute ist es leicht, einen Rhythmus zu finden. Ich gebe dem Meer alles, was ich habe, damit mein Körper warm und leer wird.« Ida taucht im Laufe der Geschichte ein in ein neues Leben, ohne das alte zu verleugnen. Schwimmt sich ein Stück weit frei und nach vorn, wie vielleicht auch die junge Autorin selbst: Ihr drittes Buch hat Caroline Wahl gerade abgeschlossen.
8. Juli, Altenberger Hof, Köln
9. Juli, Zentralbibliothek im Kap1, Düsseldorf (Literarischer Sommer)
Caroline Wahl: Windstärke 17, Dumont, 256 Seiten, 24 Euro